Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 10


Kapitelinhalt 100. Kapitel: Die früheren Offenbarungen Jesu dem Priester gegenüber.

01] Sagte Ich: »Du hast wohl in mancher Hinsicht recht, aber im ganzen dennoch völlig unrecht; denn du beschuldigst die Gottheit der Fahrlässigkeit und vollen Gleichgültigkeit gegen die Menschen, - und das, Freund, ist nicht wahr, wenn es deiner Vernunft auch also vorkommt!

02] Gott hat Sich den Menschen allzeit geoffenbart, und so auch dir schon in Rom, und noch deutlicher in Theben, und du hast einmal, als du am Ufer des Nils dich befandest, eine laute Stimme also vernommen: "Lies Moses, und lebe nach den Gesetzen, die darin geschrieben sind, und du wirst finden, was du suchst!"

03] Darauf fingst du wieder an, Moses und auch die andern Propheten zu lesen; aber nach den Gesetzen zu leben und zu handeln, hast du aus allerlei Gründen dennoch unterlassen.

04] Ein Jahr darauf kamst du abermals an dieselbe Stelle des Stroms, vernahmst abermals die gleiche Stimme und dachtest lange darüber nach. Aber zum Handeln kamst du dennoch nicht; denn fürs erste warst du ja ein römischer Priester und wolltest deiner Idee nach nicht den Gesetzen Roms zuwiderhandeln, weil dir daraus ein weltlicher Nachteil hätte erwachsen können, obschon du wohl wußtest, daß es eben nicht verboten war, daß ein Priester auch an den Gott der Juden halten (glauben) dürfe, und fürs zweite kam dir das Handeln nach den Gesetzen Mosis zu unbequem vor, und die von dir vernommene Stimme hieltest du am Ende doch nur für einen leicht möglichen Sinnentrug und dachtest dir, so an dieser Stimme etwas Wahres sei, da werde sie sich wohl zu öfteren Malen vernehmen lassen.

05] Und so hattest du darauf wohl noch fortgeforscht und gesucht, aber zum Handeln kamst du nicht und glichest einem Baumeister, der einen Bauplan um den andern macht; aber so es zum Ins-Werk-Setzen des Bauplanes kommen soll, da läßt er sich von der Mühe und den Unkosten abschrecken und es kommt zu keinem Bau.

06] Freund, das Denken, Sinnen, Urteilen, Forschen und Suchen ist keine Tat, sondern pur nur eine Vornahme zur Tat, - da aber das Leben selbst keine Vornahme zum Tatleben, sondern das Tat- und Wirkungsleben selbst ist, so muß die Lebensvornahme auch zur Lebenstat werden, so man durch sie das Gesuchte erreichen will.

07] Du hast zwar dann und wann wohl etwas getan, aber das war zu wenig, um deiner inneren Gesinnung eine andere Richtung zu geben, und so bliebst du stets auf einem und demselben Fleck stehen; nun erst hast du zum ersten Male einen völlig festen Willen gefaßt, ein völlig anderer Mensch zu werden, und zwar nach dem dir von Mir bekanntgegebenen Willen des einen, allein wahren Gottes der Juden, und so wirst du auch das finden in der Fülle der Wahrheit, was du so lange vergeblich gesucht hast.

08] Du hast es aber eigentlich schon gefunden; nur bist du jetzt noch einem Menschen zu vergleichen, der mitten in einem dichten Walde eben den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht.«

09] Sagte der Priester: »Höre, du wahrlich weisester Meister, wie soll ich das verstehen und nehmen?«

10] Sagte Ich: »Siehe her! Da steht ein leerer Becher. Ich aber will es, daß er voll Weines werde, und du sollst von diesem Weine trinken! Da nimm ihn hin und trinke, und beurteile dann, ob das auch einem Magier zu bewirken möglich ist!«

11] Als der Priester das sah und den Wein, der den allerwürzhaftesten Geschmack hatte, kostete, da sah er Mich groß an und sagte: »Du wahrlich gottähnlichst weisester Meister, das ist von einem Menschen noch nie bewirkt worden! Du mußt mit dem allein wahren Gott der Juden in einem gar mächtigen Verbande stehen; denn dein Wille und der Wille deines Gottes scheinen schon völlig geeint zu sein.

12] Der Becher war doch vollkommen leer, und du hast ihn bloß durch deinen Willen, und das mit einem so auserlesenen besten Weine voll angefüllt, wie ich einen ähnlichen, der den Namen Vinum Olympicum (Götterwein) hatte, nur ein einziges Mal in Rom beim obersten Priester gekostet habe.

13] Weil dir das möglich war, so wird dir noch gar vieles andere möglich rein! Wer es mit der Freundschaft der Gottheit so weit wie du gebracht hat, dem ist es am Ende freilich auch möglich, sich völlig unsterblich zu machen.

14] Ja, wäre ich auch als ein Jude in diese Welt gekommen, so hätte ich es vielleicht auch auf eine hohe Stufe in der Einung mit Gott bringen können - denn am Willen und am Fleiß hätte es bei mir keinen Mangel gehabt -; aber als ein Heide, in aller Nacht in diese Welt kommend, konnte ich den rechten Weg niemals finden, und so blieb ich denn auch in der stets gleichen Nacht haften und konnte bis jetzt zu keinem Wahrheitslichte gelangen. Doch von nun an soll es anders werden!

15] Nun aber erlaube mir, daß ich zu meinen Kollegen gehe und es auch ihnen mitteile, was ich hier erfahren habe; denn auch sie fühlen gleich mir, was ihnen abgeht.«

16] Sagte Ich: »So gehe denn hin, und rede die Wahrheit!«



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