Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 10


Kapitelinhalt 99. Kapitel: Der Priester will sein weltliches Leben rechtfertigen.

01] Sagte der Priester: »Du wahrlich übermenschlich weiser Meister, ich habe dich wohl verstanden und sehe nun noch mehr ein denn zuvor, daß dir ein wahrhaft daseiender, lebendiger Gott sehr stark helfen muß, da es dir sonst allerunmöglichst sein müßte, von meinen Jünglingsverhältnissen eine so genaueste Kunde zu haben, wie sie in ganz Rom aber auch gar kein Mensch je besessen hat und noch um vieles weniger jetzt irgend besitzt!

02] Du hast in allem, was du zu mir sagtest, vollkommen recht, und ich könnte sagen: Nicht du als ein Mensch mir gleich, sondern ein Gott hat aus dir nun geredet.

03] Aber bedenke du alle unsere menschlichen und daneben die uns mit ehernen Mußketten fesselnden Staatsverhältnisse, die wir nun lebenden Priester sicher nicht geschaffen haben!

04] Ein jeder Mensch, der ohne sein Wissen und Wollen in diese Welt gekommen ist und schon gleich nach der Geburt genährt werden muß, um das höchst fatale Leben zu erhalten und nach den starren Gesetzen der Natur ein kräftiger Mensch zu werden, ist, nach der Vernunft beurteilt, ein ärmstes Wesen.

05] Ist man einmal so weit im Wachstum gediehen, daß man den Tag von der Nacht und das Rot vom Grün unterscheiden kann, so wird von seiten der Eltern mit der Erziehung, die sich kein Kind bestimmen kann, emsigst begonnen.

06] Ist man durchs viele Lernen endlich ein gebildeter Mann geworden, so heißt es dann, sich einen Stand wählen, in welchem man sich für sein ganzes Leben seinen Unterhalt verschaffen kann. Man möchte aber in der Welt nicht schlecht, sondern so gut als möglich leben, weil man schon überhaupt einmal leben muß, und so wählt man sich denn auch nach seinen Fähigkeiten vernünftigermaßen einen Stund, in dem man unter den Fesseln der Staatsgewalt noch am freiesten und auch am besten leben kann. Und das war für mich der Priesterstand; ich ward Priester, gleichviel, ob das, dem ich vorstand, auf den Grund der Lüge und des Volksbetruges oder auf den irgendeiner Wahrheit gestellt war, - kurz, ich mußte laut den Staatsgesetzen sein, was ich nun noch bin.

07] Die Welt und die eigene möglichst beste Versorgung war denn doch schon von der Kindheit an das Allernächste, um das man sich vor allem zu kümmern hatte. Dazu erwachten in mir natürlich bald noch andere Bedürfnisse aller Art und Gattung, und da man die Mittel dazu besaß, um auch diese Bedürfnisse - freilich stets nur auf dem staatsgesetzlichen Wege - zu befriedigen, so befriedigte man sie denn auch nach Möglichkeit, und es erschien da keine Gottheit irgend aus dem Himmel oder aus der Erde, die da gesagt hätte: "Höre, du Priester, du lebst und handelst da gänzlich wider Meinen Willen und wider Meine Ordnung! Lebe in der Folge so und so, ansonst Ich dich auf das gewaltigste züchtigen werde!"

08] Daß man unter solchen Lebensverhältnissen im Herzen und Gemüt nur mit der materiellen, unreinen und ungeistigen Liebe erfüllt worden ist, da man dagegen von nichts rein Geistigem und Göttlichem ist angeregt worden, so blieb man dem Außen nach zum mindesten denn auch, wie man bleiben konnte und am Ende laut den Staatsgesetzen auch bleiben mußte, obschon man nach und nach sich innerlich stets mehr und mehr, besonders im vorgerückteren Alter, zu fragen anfing: Ja, ist aber da auch nur ein Fünklein Wahrheit darin, dem du vorstehst, und das du pflegst? Alles, was ich lehre und tue, ist offenbar selbstverständlich Lüge und Trug. Gibt es denn keine Urwahrheit mehr auf der ganzen Erde?

09] Ich forschte, suchte und forschte und suchte gleichfort nahe bis jetzt - und fand nichts! Wie hätte ich einer wahren Gottheit je mit der reinsten Liebe entgegenkommen können, die sich mir niemals hatte auf irgendeine Weise offenbaren wollen? Was nicht da ist, das kann man auch nicht lieben, ob nun ein Gott oder irgendein anderer durch die Einbildung der Menschen höchst werter Gegenstand.

10] Und siehe nun, du höchst weiser Meister, kann ich nun dafür, daß ich am Ende denn doch das lieben mußte, was für mich als mein Lebensvergnügen erreichbar da war; denn die Bilder seiner eigenen Phantasie lieben, heißt nach der natürlich reinen Vernunft: ein Narr sein!

11] So ich denn den einen, allein wahren und lebendigen Gott schon seit langem über alles hätte lieben sollen und die vor jedermanns Sinnen daseienden Annehmlichkeiten der Welt verachten und fliehen, so hätte sich mir entweder ein solcher Gott offenbaren sollen, oder meine Phantasie hätte mir in aller Lebensglut einen schaffen sollen; es geschah aber weder das eine auch das andere, und so war es denn auch selbstverständlich, daß man die Welt und ihre die Menschheit nährenden und ergötzenden Schätze und Güter, für deren Genuß man geboren und erzogen worden ist, nicht einem Wesen, das für mich gar nicht und nirgends da war, nachsetzen (hintansetzen) konnte.

12] Aber sei es nun, wie es wolle, - ich bin wahrlich noch voll Welt in meinem Herzen; heute, in diesem Augenblick, offenbare sich mir eine allein wahre Gottheit und verlange, was ich tun soll, und alle meine alte Welt ist auf einmal aus mir verbannt!

13] Hätte mir die gewisse Perle von Rom nur einmal eine gewisse Zusicherung gegeben, daß sie mein werde, so ich dies oder jenes tue oder unterlasse, - und ich wäre schon der Mann gewesen, dem kein Opfer zu schwer geworden wäre! Aber da so etwas nicht stattgefunden hat, so blieb ich denn auch bei dem, was für mich leichter erreichbar war.

14] Ich sehe und weiß es gar wohl, daß alle Menschen, die ich kennengelernt habe, schon seit Menschengedenken in einer großen Trübsal und Wirrnis leben und endlich auch oft verzweiflungsvoll sterben; aber was nützt dieses Sehen und Wissen, so da niemand kommt, der ihnen die volle Wahrheit zeigt?

15] Siehe, du weisester Meister, du hast wahrlich in allem, was du mir gesagt hast, vollkommen recht; aber auch ich habe nach der menschlichen Vernunft nicht unrecht! Können denn die armen Menschen darum, daß sie in aller Blindheit in diese Welt geboren worden sind und sich in aller Lüge und allem Trug haben erziehen lassen müssen? - Habe ich recht oder nicht?«



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