Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 1, Kapitel 9


Familie und Heimat des Petrus. Berufung des Philippus und des Nathanael. Im Elternhaus zu Nazareth. Hochzeit zu Kana. Reise nach Jerusalem zum Osterfest.

  • Johannes.01,43a] Am nächsten Tag wollte Jesus wieder nach Galiläa ziehen

01] a Am Morgen sage Ich zu den beiden: »Meine Zeit in dieser Wüste ist zu Ende; Ich werde nach Galiläa ziehen, von wo Ich hierher kam. Wollt ihr mitziehen? Ich stelle es euch frei; denn Ich weiß es, dass ihr Weib und Kind habt und diese nicht leicht verlasst. Doch niemand, der Meinetwegen etwas verläßt, wird das Verlassene verlieren, sondern es nur vielfach wieder gewinnen.« (a Johannes.01,43*)

02a] Spricht darauf Petrus: »Herr! Dir zuliebe verlasse ich mein Leben, geschweige denn mein Weib und Kind! - Die werden leben auch ohne mich; denn ich bin ein Bettler und kann ihnen wenig Brotes schaffen; unsere Fischerei trägt kaum für den halben Mund eines Menschen, geschweige für eine Familie eine ersprießliche Nahrung! Mein Bruder Andreas ist mir ein guter Zeuge.

  • joh.01,44] Philippus aber war aus Bethsaida, aus der Stadt des Andreas und Petrus. (a jl.ev01.009,02b)

02b] a Zu Bethsaida sind wir wohl geboren; aber die Nahrung mußten wir hier an diesen wüsten, aber dennoch ziemlich fischreichen Ufern des Jordans suchen, allwo wir nun auch vom Johannes getauft wurden. Unser Vater Jonas aber ist wohl bei Kräften und unsere Weiber und Schwestern auch; dazu den Segen von oben, und sie werden sich schon durchbringen!« - Ich belobe darum beide, und wir machen uns auf den Weg. (a Johannes.01,44*)

  • Johannes.01,43b] und findet Philippus und spricht zu ihm: »Folge mir nach!« (a jl.ev01.009,03)

03] Auf dem Wege, der sich eine Zeitlang noch an den Ufern des Jordans hinzog, a treffen wir Philippus, der, ebenfalls aus Bethsaida gebürtig, sich mit einem schlechten Netze schon in aller Frühe in den Wellen des Jordans ein Frühstück suchte. - Petrus machte Mich auf ihn aufmerksam und sprach: »O Herr! Dieser Mann leidet viel und ist sehr arm, aber dabei der ehrlichste und redlichste Mensch, voll wahrer Gottesfurcht in seinem Herzen! Wie wäre es denn, so Du ihn auch mitziehen ließest?« (a Johannes.01,43-44*)

04] Auf solch lieblichen Antrag Petri aber sage Ich nichts als: a »Philippus, folge Mir nach!« Dieser läßt sich die Sache nicht zweimal sagen, wirft sein Netzwerk vor sich hin und folgt Mir, ohne zu fragen wohin. Am Wege erst sagt zu ihm Petrus: »Dem wir folgen, ist - der Messias!« Philippus aber sagt: »Das hat mir schon mein Herz gesagt in dem Augenblick, als Er mich allerliebreichst berufen hat.« (a joh.01,43b-44*)

05] Philippus aber war ledig und bei den armen Fischern ein Lehrer, da er sich auf die Schrift so ziemlich verstand, und war mit Joseph von Nazareth persönlich bekannt, kannte somit auch Mich und wußte so manches, das sich bei Meiner Geburt und in Meiner Jugend zugetragen hatte. Er war auch einer von den wenigen, die in Meiner Person heimlich den Messias erhofften; aber da Ich von Meinem zwölften Jahre an nichts Wunderbares mehr verrichtete, sondern also lebte und arbeitete wie ein jeder andere ganz gewöhnliche Mensch, so verlor sich auch bei gar vielen Menschen der erste wunderbare Eindruck, den Meine Geburt bewirkte, ganz und gar; selbst die damals am meisten Erregten sagten, Meine Geburt sei bloß durch ein an sich selbst merkwürdiges Zusammentreffen aller möglichen Umstände und Erscheinungen also wunderlich berühmt geworden, mit denen aber Meine Geburt sicher in keinem Verbande stehe; auch habe sich das geniale Wesen Meiner Jugend derart gänzlich verloren, dass von selbem in Meinen männlicheren Jahren keine Spur irgend mehr anzutreffen sei! - Aber Philippus und noch einige wenige hielten bei sich eine gewisse Hoffnung auf Mich fest; denn sie wußten um die a Weissagung Simeons und der Anna (Hanna), die bei Meiner Beschneidung im Tempel geschah, und hielten darauf große Stücke. (a Lukas.02,25-38)

06] Als nun a Philippus, der Mir folgte, auf dem Wege eigens suchend den Nathanael antrifft, als dieser unter einem Feigenbaume sitzend sein Fischergerät ausbessert, sagt er voll Inbrunst zu ihm: »Bruder, ich habe dich mit meinen Augen längs des schon ziemlich gestreckten Weges gesucht und bin nun von ganzem Herzen froh, dich gefunden zu haben; denn sieh', wir haben Den gefunden, b von welchem Moses im Gesetze und die Propheten geschrieben haben; es ist dennoch Jesus, Josephs Sohn von Nazareth!« (a Johannes.01,45*; Jesaja.53,02; b 5. Mose.18,18; Jeremia.23,05; Hes.34,23)

07] Nathanael wird darauf fast ein wenig unwillig und sagt: »Wer kennt das schlechte Nest Nazareth nicht?! - a Was Gutes kann wohl von diesem Neste kommen?! - Und (gewisserart von selbst verständlich) der Messias schon am allerwenigsten!« Philippus aber sagt: »Ich weiß wohl, dass du in dieser Hinsicht stets mein Gegner warst, obschon ich dir meine Gründe dafür hundertmal vorgestellt habe. Aber komme nun und überzeuge dich selbst, und du wirst es selbst sagen, dass ich vollends recht gehabt habe!« (a Johannes.01,46*; Johannes.07,41)

08] Nathanael erhebt sich nachdenkend und sagt: »Bruder, das wäre ein Wunder der Wunder! Denn das Gesindel von Nazareth ist doch sicher das schlechteste von der ganzen Welt! Kann man mit einem Stücke römischen Blechs aus einem Nazaräer nicht alles machen, was man nur will?! In diesem Neste ist ja lange schon kein Glaube mehr, weder an Moses noch an die Propheten! Kurz, aus einem Nazaräer kannst du machen, was du willst, und es ist ja schon zu einem alten Sprichwort geworden, dass man sagt: »Dieser oder jener ist noch schlechter als ein Nazaräer!« Und du sagst, von dort ist der Messias, zu Dem du mich führen willst, dass ich Ihn sähe?! - Nun, nun, bei Gott ist wohl kein Ding unmöglich! Wir wollen es sehen!«

  • Johannes.01,47] Jesus sah Nathanael zu sich kommen und spricht von ihm: »Siehe, ein rechter Israelit, in dem kein Falsch ist.« (a jl.ev01.009,09)

09] Mit diesen Worten begibt sich Nathanael mit Philippus zu Jesus hin, Der unterdessen bei hundert Schritte dem Orte entlang ein wenig Ruhe genommen hatte. Als aber beide sich schon in der Nähe Jesu befinden, sagt Dieser laut: a »seht, ein rechter Israelite, in welchem kein Falsch ist!« (a Johannes.01,47*)

  • Johannes.01,48] Nathanael spricht zu ihm: »Woher kennst du mich?« Jesus antwortete und sprach zu ihm: »Bevor dich Philippus rief, als du unter dem Feigenbaum warst, sah ich dich.« (a jl.ev01.009,10)

10] Nathanael verwundert sich höchlichst über diese höchst wahre Zumutung, die ihm aus Meinem Munde laut entgegenkommt, a und fragt sogleich: »Woher kennst du mich denn, dass du solches von mir aussagen kannst? Denn mein Inneres kann nur Gott und ich allein kennen; ich aber war niemals ein Prahler und ein offener Lobredner meiner Tugenden. Woher alsonach weißt du denn, wie ich beschaffen bin?« - Ich aber sehe ihn an und sage: »Eher, als dich Philippus rief, da du unter dem Feigenbaume warst, sah Ich dich!« (a Johannes.01,48*)

11] Diese Meine Aussage über ihn setzt den Nathanael ins höchste Erstaunen, und alsogleich sagt er, durch und durch erregt in seinem Herzen: a »Meister! Ganz abgesehen von dem, dass Du ein Nazaräer bist, bist Du dennoch wahrhaftig Gottes Sohn! Ja, Du bist unfehlbar der lange sehnsüchtigst erwartete König Israels, Der Sein Volk aus den Klauen der Feinde befreien wird! O Nazareth, o Nazareth, wie klein warst du, und wie groß wirst du nun! Die Letzte wird zur Ersten erhoben werden! O Herr! Wie schnell gabst Da mir den Glauben! - Wie ist das nun, dass aus mir jeder Zweifel wich und ich nun glaube in der Fülle, dass Du der verheißene Messias bist!« (a Johannes.01,49*; Johannes.06,69; Psalm.002,07; Jeremia.23,05; Matthäus.14,33; Matthäus.16,16)

  • Johannes.01,50] Jesus antwortete und sprach zu ihm: »Du glaubst, weil ich dir gesagt habe, dass ich dich gesehen habe unter dem Feigenbaum. Du wirst noch Größeres als das sehen.« (a jl.ev01.009,12)

12] Auf diese Frage Nathanaels antworte Ich erst also, wie es der vorliegende 50. Vers angibt, und zeige dadurch dem Nathanael, a dass er zwar nun wohl glaubt, dass Ich der verheißene Messias bin; aber zu solchem Glauben ist er nun genötigt durch die in Mir entdeckte Allwissenheit, die nur in Gott sein kann, bemerke aber zu dem noch hinzu, wie er in der Folge noch Größeres sehen werde, womit Ich ihm aber soviel sagen will als: Du glaubst nun durch ein Wunder, in der Folge aber wirst du frei glauben! (a Johannes.01,50*)

13] a Und wahrlich, wahrlich, Ich sage es euch: Von nun an werdet ihr alle die Himmel offen sehen und die Engel Gottes hinauf- und herabfahren auf des Menschen Sohn, - was alles soviel sagen will als: In der Folge, so ihr aus Mir die Wiedergeburt eures Geistes werdet erlangen, dann werden die Pforten des Lebens aufgetan werden, und ihr werdet dann, als selbst Engel, eben die durch Mich in der Wiedergeburt zu Engeln und somit auch in diesen Engeln zu »Kindern Gottes« gemachten Menschen vom Tode zum ewigen Leben (hinauf)wandeln sehen, im Gegensatze auch viele urgeschaffene Engelsgeister aus allen Himmeln herab zu Mir, dem Herrn alles Lebens, fahren sehen und allda treten in Meine, in des Menschensohnes Fußstapfen, - folgend Meinem Beispiel und Zeugnis. (a Johannes.01,51*; 1. Mose.28,12; Matthäus.04,11; jl.ev01.009,13-14; jl.ev10.197,10; jl.ev07.056,11-15 )

14] Das ist demnach nun ein rechtes Verständnis des ersten Kapitels; aber danach glaube ja niemand, als sei das Verständnis, das hier gegeben ist, ein schon alles erschöpfendes! Oh, das ist es nicht; wohl aber ist diese Gabe ein praktischer Wegweiser, nach dem ein jeder, der eines guten Willens ist, in allerlei Tiefen der göttlichen Weisheit eingeführt werden und allda ersehen und erkennen kann allerlei Lebenssinn in jedem einzelnen Verse. Zu allem dem aber ist, wie gesagt, diese Gabe eine wahre Hauptrichtschnur, nach der alles bemessen und gerichtet werden kann.



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