Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 10


Kapitelinhalt 175. Kapitel: Verstorbenenschilderung über Führungen im Jenseits.

01] (Der Vater): »Ich trat darauf wieder aus meiner Hütte und fand alles noch so wie früher. Da dachte ich mir aber: "Es wäre alles recht also; aber ich bin und bleibe dennoch allein! Wenn ich nur jenen früheren Freund mir jetzt herbeiwünschen könnte, damit ich ihm meinen Dank abstatten könnte für seinen mir gegebenen guten Rat!" - und sah bei diesem Wunsche nach jenem schon vorher erwähnten entfernten Orte hin, und sah, wie sich bald darauf von jenem Ort mehrere Menschen in der Richtung zu mir zu bewegen anfingen.

02] Sie kamen bald in meine Nähe, und unter ihnen erkannte ich auch bald jenen Freund, der mir in der früheren Sandwüste den guten Rat erteilt hatte, und er sagte zu mir: "Nun erwecke du in dir recht lebendig das Gefühl der Liebe, des Mitleids, der Erbarmung und des Wohltuns, und es werden bald mehrere zu dir kommen, denen es jetzt noch so geht, wie es dir ergangen ist! Teile dann mit ihnen dein Lebensbrot und deinen Lebenswein, und sie werden bald darauf deine glücklicheren Nachbarn werden! Die aber von dir nichts annehmen werden wollen, die lasse du nach ihrem Willen wieder weiterziehen und einen Ort und ein Unterkommen suchen, und es wird ihnen fürder geradeso ergehen, wie es dir ergangen ist bei deinem Suchen! Da aber bleibe von nun an fortwährend wachsend in der Liebe, in der Erbarmung und in der lebendigen Sehnsucht, den armen Blinden nach Möglichkeit Gutes zu erweisen; dadurch wirst du selbst fort und fort reicher und dadurch auch glücklicher werden!"

03] Darauf kehrten die mich in meiner Einsamkeit Besuchenden wieder zurück, und ich befolgte abermals meines noch unbekannten Freundes weiteren Rat. Und siehe, es kam bald darauf eine recht große Menge dürftiger Seelen zu mir, und ich fragte sie, ob sie etwas sähen und wahrnähmen.

04] Und sie antworteten: "Bis jetzt noch nichts als unter unseren Füßen eine endlose Sandsteppe und über uns ein graues Genebel!"

05] Ich aber ging in meine Hütte und brachte ihnen Brot und Wein.

06] Einige von ihnen ersahen alsbald das Brot und den Wein, als ich zu ihren sagte: "Da habt ihr Brot und Wein, und stärket euch!"

07] Viele andere aber merkten es nicht, da sie in sich der Meinung waren, ich treibe mit ihnen etwa einen mutwilligen Scherz, und zogen wieder weiter.

08] Die aber Brot und Wein nahmen, ersahen auch alsbald meine Hütte und die ganze schöne Landschaft und blieben bei mir, und ich unterwies sie in der Weise, wie ich selbst unterwiesen worden war, und bald ward meine früher einsame Hütte mit einer Menge anderer wohleingerichteter Hütten umgeben, und ich fand und kam dadurch zu meinem ersten Orte und zu meiner ersten Gesellschaft und blieb so lange daselbst, bis ich mein Inneres durch die Liebe zu meinem Nächsten stets mehr und mehr erweitert hatte.

09] Nach solcher Erweiterung erweiterte sich auch bald die Gegend, wurde lebhafter und schöner und ich in ihr stets glücklicher und erleuchteter; und je mehr sich das innere Licht in mir ausbreitete und mir etwas vorstellte, so war es auch schon bald da.

10] In solchem Zustande fing ich auch an, meiner in der Welt zurückgelassenen Angehörigen zu gedenken und mich ihnen mitzuteilen, daß es nach dem Abfalle des Leibes ein unverwüstbares Fortleben der Seele gibt.

11] Und siehe, bald darauf kamen deine Mutter und etliche Geschwister zu mir, und ich konnte mich ihnen ebenso mitteilen, wie nun dir! Sie glaubten meinen Worten, teilten dir solches auch mit, was aber bei dir bis jetzt keinen Glauben fand, indem du zu sehr mit allem deinem Denken, Lieben und Willen dich in die starre und tote Außenwelt begeben hast.

12] Schließlich mache ich dir noch diese Bemerkung, daß eben derjenige gute Freund, der mir in der Wüste zuerst den guten Rat erteilte, diesem Herrn, an dessen Seite du sitzest, in der Physiognomie sehr ähnlich sieht, und ich in mir bei Seinem ersten Anblick eine lichte Idee entstehen sah, daß Er der Herr von dieser und auch von unserer Welt sei. Ich rede zwar nun mit dir, - aber nicht als in einem andern Ort, sondern nur in dem, den ich bewohne, und du kannst daraus für dich den Schluß machen, daß ich es nicht notwendig habe, um mit jemandem in dieser Welt zu verkehren, meinen Ort zu verlassen, - sondern wo ich bin und rede, da ist auch der Ort mit mir.

13] Übrigens mache ich dich nun noch darauf aufmerksam, daß du auf der Außenwelt, deiner Seele nach, nun auch auf lauter Sand einherwandelst und über dir, das heißt in deinem Verstande, nichts hast als dunkelgraues Genebel.

14] Diese Erde aber, und was du auf ihr und über ihr siehst, ist auch nur ein von einem allerhöchsten Geiste aus geschaffener Ort, geradeso, wie im kleinen Maßstabe mein kleiner Ort von mir aus geschaffen ist.

15] Die Liebe des großen Geistes, Seine überaus hellen Lichtgedanken, Sein allmächtiges Wollen und Seine große Barmherzigkeit sind die Urelemente, aus denen Er solche wunderbaren Orte herstellt und sie auch erhält, solange Er will. Du siehst demnach in dieser Welt nichts anderes als einen solchen Ort, der aus dem großen Geiste in einer gewissen Ordnung ins Dasein gesetzt wurde; für deine Seele aber bleibt er nur so lange ersichtlich und ein Etwas, solange deine Seele noch mit einer Materie umhülst ist.

16] Wird dir diese Umhülsung genommen, dann bist du ohne Ort, ohne irgendeinen festen Boden und ohne ein bestimmtes Licht über dir, - außer du hast schon in dieser Welt den Weg in dein Inneres gefunden. Dann geht es jenseits freilich anders; denn da kommt alles, der Ort und was dir nötig ist, schon mit dir herüber, und du brauchst da nicht erst jenseits durch einen Freund zu erfahren, wie man jenseits bei uns zu einem Wohnorte und zu einer Gesellschaft gelangt. - Das merke dir, du mein Sohn!«

17] Hier wollte der Sohn noch weiter mit seinem Vater sprechen.

18] Dieser aber sagte noch im Scheiden (der Vater): »Um alles andere, um was du noch weiter wissen willst, wende dich im Herzen an Den, der neben dir sitzt; denn Ihm sind alle Dinge bekannt, auf dieser Welt und in der unsrigen!«

19] Auf diese Worte verschwand der Geist.



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