Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 10


Kapitelinhalt 76. Kapitel: Die Sturmnacht.

01] Als Ich diese Worte noch kaum ausgesprochen hatte, da kam auch schon ein erster mächtiger Windstoß, worauf sich auch gleich ein leichtes Beben des Erdbodens verspüren ließ.

02] Darauf erhob sich ein großes Sausen und Brausen, wie aus einer Entfernung von einer halben Stunde Weges vernehmbar, das von Augenblick zu Augenblick an Heftigkeit zunahm. Nur zu bald kam es in die volle Nähe der Stadt und weckte durch sein gewaltiges Geheule, Gerassel, Gepolter und Gekrache gar viele Bewohner dieser Stadt, die sich aus ihren Wohnhäusern auf die Straßen und Plätze der Stadt begaben aus großer Furcht, in ihren Häusern, die zusammenzustürzen drohten, begraben zu werden.

03] Viele eilten trotz des tobenden Orkans, heulend vor großer Angst und Furcht, auf das offene Feld. Als aber der Wind stets heftiger ward, da kamen mehrere wieder in die Stadt und sagten es ihren Nachbarn, daß auf dem offenen Felde noch um vieles schlechter zu bestehen sei denn in der Stadt irgend hinter festen Mauern.

04] Viele, die an unserer Herberge vorübereilten, verwunderten sich über unseren Mut und unsere Standhaftigkeit, und ein paar Nachbarn der Herberge kamen zu uns in den Speisesaal und riefen dem Wirte zu, sich auch ins Freie zu begeben, die Erde bebe von Zeit zu Zeit ganz gewaltig, daß es zu befürchten sei, daß bald ein Haus um das andere einstürzen werde. Denn es müßten alle jüdischen Teufel und heidnischen Furien losgeworden sein, ansonst es nicht zu begreifen wäre, wie nach einem so ruhigen Tage eine solche Sturmnacht sich hätte einstellen können.

05] Sagte der Wirt: »Liebe Nachbarn, mein Haus ist schon sehr alt und hat schon viele solcher Proben durchgemacht, und so wird es auch hoffentlich auch diese ohne Schaden bestehen! Ich vertraue auf meinen Gott und Herrn, der allmächtig und voll Liebe ist, und der wird meinem Hause durch eure losgewordenen Teufel und Furien kein Leid zufügen lassen.«

06] Sagten die beiden Nachbarn: »Ah, höre mir auf mit allen Göttern, ob's nun jüdische oder heidnische sind! Was haben sie denn davon, so sie für nichts und wieder nichts die arme, schwache Menschheit in der Nacht so quälen? Wir Römer haben alle Götter angerufen, und etliche Priester machen ein großes Geplärr, ebenso schreien auch die Juden dieser Stadt in ihrer Synagoge zu ihrem Jehova um Hilfe, Hilfe, Hilfe; aber der Sturm und das starke Beben des Erdbodens hören nicht auf, sondern werden von einem Moment zum andern nur noch stets ärger. Da heißt es: Mensch, hilf dir selbst, so gut, so viel und so weit du das vermagst; denn die Götter hören nicht auf dein Flehen und schauen nicht auf deine Angst und Not!«

07] Sagte der Wirt: »Freunde, bei solch einer Schwäche eures Glaubens und Vertrauens auf einen Gott bleibt euch freilich wohl nichts übrig, als euch selbst zu helfen, so gut es nur immer gehen mag; mir aber hat mein allein wahrer Gott und Herr treust angezeigt, daß dieser Sturm in dieser Nacht aus wohlweisen Gründen über diese Gegend kommen werde, und daß ich vor ihm keine Angst haben solle, - und seht, wie es mir angezeigt worden ist, also ist es auch gekommen, und ich habe darum denn auch keine Angst!

08] Ihr führt doch stets euren stolzen Mutspruch: Si totus illabatur orbis, impavidum ferient ruinae (Wenn die ganze Erde in Trümmer ginge, so werden sie mich als einen Unerschrockenen finden)! Wo zeigt sich nun in euch die Wahrheit desselben?

09] Ich aber als ein gläubiger und auf meinen allein wahren und lebendigen Gott vertrauender und bauender Jude habe mich mit solch einem Mute noch niemals gebrüstet, sondern lebe dafür stets nur in der gerechten Gottesfurcht, und seht, diese gibt mir nun mehr Mut und rechte Fassung als euer hochtrabender Mutspruch. Tätet ihr wie ich, so hättet auch ihr ganz ruhig in euren Häusern verbleiben können!«

10] Sagten die beiden: »Freund, du hast im Grunde recht, - doch wir können nichts dafür, daß wir nicht deines Glaubens sind; doch was deinen Glauben betrifft, davon wollen wir morgen ein näheres Wort miteinander reden, so wir's Leben erhalten!«

11] Es merkten die beiden beim schon schwach gewordenen Lampenlicht in unserem Saale auch die andern Gäste und wollten den Wirt fragen, wer die Gäste wären; aber ihre Weiber und Kinder riefen vor der Hausflur nach ihnen ob ihrer Furcht und Angst, und die beiden gingen wieder hinaus auf die Straße und besahen ihre Häuser, ob sie noch keinen Schaden gelitten hätten. Es war derlei beim schwachen Mondlicht zwar nicht zu entdecken, aber sie getrauten sich dennoch nicht in die Häuser, da der Erdboden von Zeit zu Zeit noch immer sehr fühlbar erbebte.

12] Der Wirt aber fragte Mich, wie lange der Sturm noch andauern werde.

13] Und Ich sagte zu ihm: »Noch eine Stunde, und es wird durch ihn diesmal niemandem ein Schaden angerichtet werden! Du aber hast zu deinen Nachbarn ein rechtes Wort geredet, und sie werden morgen auch zu uns aufgenommen werden. Nun aber dürfen wir schon bis zum Morgen ruhen, und der Morgen wird uns schon eine rechte Arbeit geben.«

14] Darauf schliefen bald alle ein und ruhten bis zum Morgen, der diesmal trübe war.



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