Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 9


Kapitelinhalt 95. Kapitel: Das Mittagsmahl.

01] Bei diesen unseren Reden aber war es auch in die Nähe des Mittags gekommen, und Ich sagte zu den Jüngern: »Ihr könnt euch nun zur Abreise bereiten; denn wir haben heute noch einen weiten Weg zu machen!«

02] Der Wirt aber sagte: »O Herr und Meister, das Mittagsmahl, das nun bald vollends bereitet sein wird, wirst Du mit Deinen Jüngern doch bei mir einnehmen wollen?«

03] Darum baten Mich auch der Pharisäer und der Schriftgelehrte.

04] Und Ich sagte zum letzteren: »Freund, da sieh hinaus, wie deine Gefährten mit Hilfe vieler gedungener Arbeiter sich dort im Schutte der abgebrannten Synagoge herumtummeln und ihre vorgefundenen Schätze sammeln und in Verwahrung bringen. Wirst du dich nicht auch beteiligen?«

05] Sagte der Schriftgelehrte: »O Herr und Meister, ich habe hier den endlos besseren Schatz gefunden und werde mich in der Folge wohlweislich hüten, mich den Weltschätzen zu sehr zu nahen; denn so ich das täte, da könnte an mir das, was ich in dieser Nacht geträumt habe, wohl zur vollen und lebendigen Wahrheit werden. Daher mögen sich die Weltlinge im Brandschutte herumtummeln, wie sie es nur immer wollen, und sollten sie sich auch meinen Teil zueignen; mir ist nun Deine Gegenwart endlos lieber denn alle Schätze der Erde. Daher wolle Du gnädigst doch nur noch über den Mittag hier verweilen!«

06] Sagte Ich: »Aus Liebe zu euch, weil auch ihr Mich liebet, will Ich wohl noch über den Mittag hier verweilen! Du aber gedenke nur stets Deines Traumes, und bleibe Deinem Vorsatze getreu, so wirst du bald im helleren Lichte wandeln! Was du aber von deinem a irdischen Schatze noch vorfinden wirst, das nimm und verteile alles an die Armen, und Ich werde dir darum einen andern Schatz aus den Himmeln zukommen lassen! Wer in Meinem Namen vieles gibt, dem werde auch Ich vieles geben; wer aber in Meinem Namen alles gibt, dem werde auch Ich alles geben für die Ewigkeit!«(a  Matthäus.05,42; = Lukas.06,30jl.ev04.062,01-05;  b Lukas.06,34;  ⇒ jl.ev04.098,01-07*;  ⇒ jl.ev01.046,08jl.ev01.058,02-08;  jl.ev01.222,08jl.ev07.092,01-093,11;  jl.ev07.094,16)

07] Auf diese Meine Worte sagten der Wirt und der Pharisäer: »Herr und Meister, warum sagtest Du das denn nicht auch uns?«

08] Sagte Ich: »Ihr wisst es ja ohnehin schon, was ihr zu tun habt! Wer den guten Willen hat, der hat auch schon das Werk für sich. So ihr der Armen wegen gute Hauswirte macht, da tut ihr auch so viel, als hättet ihr alles hergegeben, und Mein Segen für euch wird nicht unterm Wege verbleiben. Gedenkt vor allem der armen Witwen und Waisen, und Ich werde euer gedenken und euch nicht als Waisen auf dieser Erde belassen, sondern im Geiste bei euch verbleiben fortan! Aber nun sieh, du Wirt, wie es mit dem Mittagsmahle steht!«

09] Darauf eilte der Wirt schnell in die Küche und sah nach, wie es mit der Bereitung des Mittagsmahles stehe. Es stand damit ganz gut, und der Wirt beeilte sich denn auch, um den Tisch neu zu decken.

10] Ich aber sagte: »Laß das, diese Schüsseln, die noch vom Morgenmahle her auf dem Tische stehen, sind noch nicht so verunreinigt, daß man aus ihnen die Mittagsspeisen nicht sollte genießen dürfen; was für Mich rein ist, das sei auch für euch rein!«

11] Da nahm aber der Wirt dennoch reine Tücher und reinigte die völlig leeren Schüsseln; denn Meine Jünger verstanden sich wohl aufs vollkommene Leeren der Schüsseln. Darauf nahmen der Wirt und seine Diener die gereinigten Schüsseln, gingen damit in die Küche und brachten bald darauf eine Menge der wohlbereiteten Fische, und so auch des Brotes und mehrere Krüge voll des Wunderweines; und wir fingen denn auch sogleich an, das Mahl zu genießen.

12] Während des Essens wurde noch über so manches gesprochen, was auch schon bei andern Gelegenheiten besprochen worden ist und daher -Nota bene - nicht abermals erzählt zu werden braucht.

13] Als wir aber mit dem Mahle zu Ende waren, da kamen ein paar von jenen Pharisäern in den Speisesaal, welche den ganzen Vormittag ihre Schätze aus dem Brandschutte ausgesucht und in sichere Verwahrung gebracht hatten.

14] Diese verwunderten sich sehr, als sie den einen Pharisäer und sogar den Schriftgelehrten an unserem Tische ganz wohlgemut speisen sahen, und sagten zum letzteren: »Oh, ihr macht es euch ja ganz bequem! Wir arbeiten draußen den ganzen Vormittag, um noch etwas von den durch Feuer zerstörten kostbaren Schätzen aufzufinden und in Verwahrung zu bringen, und ihr lasst euch da um uns ganz unbekümmert wohlgeschehen! Wohin gehört denn solch euer Benehmen?«

15] Sagte der Schriftgelehrte, ganz erbost über diese Anrede: »Hört! Erstens haben wir das, was wir unser nennen durften, schon lange ganz in der vollsten Ordnung und sehen nun ganz und gar nicht ein, warum wir euch auch das Eurige hätten aufsuchen und in Ordnung bringen helfen sollen, da auch euch es noch niemals eingefallen ist, uns mit etwas behilflich zu sein. Und zweitens haben wir bei dieser Gelegenheit einen ganz andern Schatz nebenher entdeckt und gefunden, der uns nun ums Endlose lieber ist als all euer zusammengerafftes Gold und Silber; doch von diesem Schatze werdet ihr schwerlich je Besitzer werden. Und drittens haben wir hier einen wahren Lebenswein zum Genießen bekommen, wie eure vielsüffigen Kehlen noch niemals etwas zum Verkosten bekommen haben werden! Und so sind wir beide nun ganz wohl versorgt in allem und jedem und haben euch darob keine Rechnung zu legen. Wenn ihr mich verstanden habt, so könnt ihr euch alsbald wieder dahin zurückwenden, von woher ihr wahrlich ganz unberufenermaßen gekommen seid!«

16] Als sich die beiden Pharisäer gegen diese Antwort streng aufzuhalten anfangen wollten, da erhob sich der Wirt, der als ein Samariter und römischer Bürger mit den Pharisäern niemals viel Aufhebens machte, und sagte: »Hier bin in irdischer Beziehung noch ich der Herr, und es ist mir ein jeder friedliche Gast lieb, wert und teuer, ob er nun ein Heide oder ein Jude ist; denn der Heide hat sich nicht selbst zum Heiden und der Jude sich wahrlich nicht selbst zu einem Juden gemacht. Aber wenn mir solche Stänker über die Schwelle meiner Haustür kommen, so braucht es gar nicht zu besonders viel, um mich zum Gebrauche meines alten Hausrechtes zu nötigen! Wollt ihr etwas zu essen und zu trinken, so begebet euch in euer gewöhnliches Speisegemach, und verlangt, was ihr wollt, und es wird euch das Verlangte auch alsbald verabreicht werden. Aber hier habt ihr nichts zu tun, nichts zu reden und nichts zu schaffen; denn dies ist keine jüdische, sondern eine römische Herberge, in der alle Reisenden gleich behandelt und bedient werden.«



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