Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 8


Kapitelinhalt 156. Kapitel: Rat Jesu für die Essäer.

01] Sagte Ich: »Ich weiß und sehe es, daß ihr nun vor den Menschen in eine große Verlegenheit geraten seid und auch habt geraten müssen; aber es muß das schon also kommen, wenn ein Mensch, der früher durch allerlei List, Klugheit der Welt und durch Betrug sich vor den Menschen geltend und wichtig gemacht hat, um von ihnen sich große Schätze zu erschleichen, selbst die Wahrheit zu seiner inneren Besserung ergriffen hat. Denn er will die Menschen nicht mehr täuschen und betrügen, die Wahrheit aber getraut er sich ihnen nicht zu sagen, auf daß sie zu ihm nicht im Zorne sagen: "O du elender Betrüger! So du nun die Wahrheit bekennst und nach ihr reden und handeln kannst, warum hast du denn das nicht schon zu Anfang deines Unternehmens getan? Was haben wir dir je zuvor Arges getan, daß du dich jahrelang als ein schnöder Betrüger gegen uns erwiesen hast? Mache nun all den an uns verübten Betrug gut, sonst wirst du unserer gerechten Rache nicht entgehen!"

02] Ja, Freunde, diese sehr böse Sprache spricht zwar das innere Gewissen stets zu dem, der sich durch List und Betrug die leichtgläubige Menschheit zum Nutzen machen will und durch seine verschlagene Weltklugheit auch macht; aber ein solcher Mensch betäubt am Ende sein Gewissen, welches da ist der innerste Lebens und Wahrheitsgeist im Menschen, und betrügt dann die blind gemachten Menschen noch immer mehr und mehr.

03] Aber was nachher dann, wenn der Tag der vollen Wahrheit für alle Menschen aufgehen wird? Wohin werden sie fliehen vor denen, die sie so oft und so schonungslos betrogen und angelogen haben? Wahrlich, das wird eine arge Flucht sein, und die Fliehenden werden schreien und werden sagen: "Berge, fallet über uns her, auf daß uns nicht ereile das Wahrheitslicht des großen Tages und uns enthülle vor den Augen derer, die wir so oft auf die schnödeste Art betrogen und angelogen haben!"

04] Ich sage es euch aber, die ihr von den großen Betrügereien um der reinen Wahrheit willen nun zurückgetreten seid; denn hier läßt sich noch gar manches durch die rechten Werke der Liebe vollends ausgleichen, doch in der andern Welt, in der alles offenbar wird, sogar der Seele geheimste Gedanken, wird das nicht mehr angehen, und der Betrüger und Lügner wird sich dort die bittersten Demütigungen gefallen lassen müssen und wird übergroß zuschanden werden vor den Augen aller Gerechten.

05] Für euch nun einen rechten Rat zu ermitteln und euch auch eine rechte Hilfe zu bieten, ist selbst Mir eine schwere Sache; denn Ich als die lebendigste Wahrheit Selbst kann doch nicht über euer vergangenes Tun und Treiben eine dasselbe beschönigende Decke werfen und die Menschen in ihrem Wahne belassen, in den sie durch euch gebracht worden sind! Redet die Wahrheit nun zu allen, die zu euch kommen, belehrt sie recht, und saget, daß Ich solches euch geboten habe, und gebet ihnen auch den wahren Grund an, warum ihr nun anders denkt, wollt und handelt als ehedem, wo ihr selbst der Wahrheit noch ferne gestanden seid, und sagt ihnen auch, daß euch nicht ein böser Wille, sondern nur ein gewisses Wohlwollen für die lichtlose und leidende Menschheit dazu bestimmt habe, durch eure Wissenschaft und erlernte Geschicklichkeit Dinge, Künste und Lehren aufzustellen, in denen gar viele Menschen ihren Trost gefunden haben! Da ihr aber nun durch Mich zur reinen Wahrheit vorgedrungen seid, so wollt ihr ihnen, die allzeit ihr Vertrauen auf euch gesetzt haben, denn nun auch die reine und lebendige Wahrheit nicht vorenthalten, die ihnen für ewig mehr nützen wird als alles, was ihr ihnen früher erwiesen habt.

06] Wenn ihr alle also die Wahrheit den Menschen verkünden werdet, da werden sie nicht zornig von euch scheiden, sondern werden euch hören und später als ihre wahren Freunde leben. Denn was ihr ehedem selbst nicht hattet, das konntet ihr auch niemandem geben, was ein jeder mit einiger Vernunft begabte Mensch einsehen wird, und er wird euch darum auch nicht gram werden.

07] Haltet euch nun nur allein an die Wahrheit, denn nur diese kann und wird euch frei machen und euch für die Folge allen Schutz und alle Hilfe bieten! Aber einerseits selbst in der Wahrheit sein, sich daneben aber doch das tägliche Brot mit der Lüge erwerben wollen, das verträgt sich ebensowenig wie Tag und Nacht oder Leben und Tod. - Habt ihr Mich wohl verstanden?«

08] Sagten die drei Essäer: »Herr und Meister, verstanden haben wir Dich wohl und sehen es auch ein, daß Du in allem völlig recht hast; aber was werden wir mit den fünfhundert toten Kindern machen? Sollen wir sie beerdigen oder unter irgendeinem Vorwande den noch zumeist im Orte harrenden Eltern oder Anverwandten zurückstellen? Denn das drückt uns nun am meisten: Wir möchten einesteils die Hoffenden nicht ungetröstet und voll Trauer wieder heimziehen lassen, andernteils aber sagt es uns nun unser Gewissen, daß wir, die wir die reine Wahrheit überkommen haben, die ohnehin von allen Seiten zu viel betrogene und gedrückte Menschheit nicht noch weiter betrügen und drücken sollen. Geben wir ihnen nun aber auf einmal die volle Wahrheit, so werden sie unglücklich, - üben wir aber nach Möglichkeit noch das aus, was wir ehedem ausgeübt haben und machen dadurch die Traurigen glücklich und vergnügt, so haben wir sie und durch sie viele andere von neuem wieder im alten Aberglauben bestärkt und sie noch tiefer in die Finsternis getrieben. Herr, was wäre denn da der goldene Mittelweg, auf daß die Harrenden nicht trauernd und auch nicht von neuem betrogen von uns scheiden?«

09] Sagte Ich: »Auch da ist schwer ein rechter Mittelweg zu finden; aber da ihr nun ernstlich alle eure alten Betrügereien hintansetzen und weiterhin wandeln wollt auf den Wegen der vollen Wahrheit aus Gott, die nun in Mir in diese Welt gekommen ist, so will Ich Selbst etwas für euch tun. Ich werde in wenigen Tagen zu euch kommen, und es wird sich dann schon zeigen, was sich da alles wird machen lassen. Nun aber mögt ihr gehen und das euren Brüdern verkünden, und sie werden dann schon das Weitere der Wahrheit getreu anzuordnen verstehen!«

10] Mit diesen Meinen Worten waren die drei vollends zufrieden, dankten Mir für die Belehrung, für den wahren Rat und für die Verheißung, dernach Ich sie Selbst im Verlaufe von wenigen Tagen besuchen werde, erhoben sich dann und zogen noch vor dem Aufgange (Aufgang der Sonne.) ihres Weges weiter. Sie nahmen in Bethanien denn auch kein Morgenbrot zu sich; erst beim Talwirte kehrten sie ein, nahmen Brot und Wein zu sich und besprachen sich daselbst mit den Dienstleuten über vieles, was diese ihnen von Mir kundzugeben wußten, und zogen erst nach ein paar Stunden den Weg über Bethlehem weiter.



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