Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 4, Kapitel 135


Der Wiederbelebungsversuch des Rabbi an der Leiche des alten Lazarus.

01] (Mathael:) ”Als mein Vater solches vernommen hatte von mir, wandte er sich gleich an den schon etwas ungeduldig werdenden kleinen Rabbi und sagte: "Freund, wie ich die Sache nun beobachtet habe, so wäre es da für jeden Tropfen selbst des stärksten Lebensbalsams schade; denn seine Seele schwebt bereits manneshoch über dem schon so gut wie vollkommen toten Leibe. Darum stimme nun nur deinen Klagepsalter an, und zeige es als ein Priester den Menschen an, dass hier keine irdische Hilfe etwas vermag!"

02] Bei dieser Erklärung machte der kleine Rabbi ein etwas saures Gesicht und fragte den Vater, wie er das zu merken imstande wäre. Der Vater aber war niemals von einer zu großen Höflichkeit und sagte dem kleinen Rabbi so ganz trocken ins Gesicht: "Wie und woher ich das sehe und weiß, geht dich nichts an; tue du nur das Deinige, und ich kenne recht genau und gut, was ich zu tun habe!"

03] In diesem Moment ward die Seele ganz vom Leibe gelöst, und mehrere sehr erhaben und weise aussehende Geister nahmen sie gleich in ihre Mitte, gaben ihr wie aus weißestem Bissus ein wunderherrliches Faltengewand, und einer nahm die Lichtsäule, bog sie um die Lenden der nun freien Seele, und es ward daraus ein gleich der Sonne mächtig strahlender Gürtel. Zugleich setzte ein mächtiger Geist der freien Seele einen ebenso mächtig strahlenden Hut aufs Haupt und sagte: "Sei, Bruder, für ewig geschmückt mit dem Lichte deiner aus Gott in dir leuchtenden Weisheit!"

04] Mit dem verließen aber auch augenblicklich alle hohen anwesenden Geister samt der nun frei gewordenen Seele das Haus, was ich dem Vater sogleich mitteilte, und der Vater sagte zum Rabbi: "Nun, weil die Seele des Alten von dem Leibe vollends abgelöst ist, wirst du etwa doch hingehen und den sich nahe blind Weinenden den vollkommenen Tod des Alten ankündigen?!"

05] Sagte der kleine Rabbi: "Ei warum nicht gar! Jetzt werde erst ich ihm ein belebendes Tröpflein auf die Zunge lassen, und wir werden dann gleich sehen, ob seine Seele - vorausgesetzt und angenommen, dass es eine besondere Seele im Menschenleibe gibt - wohl wirklich schon aus dem Leibe gefahren ist! Nach meiner wohlgeprüften Ansicht hat kein Mensch eine Seele, die über das Leben des Blutes und der Nerven hinausreichte mit einem besonderen spirituellen Leben. Der Mensch, wenn er einmal tot ist, da ist er ganz tot wie ein Stein oder ein dürres Stück Holz, und bei allem, was ich heilig nennen kann, schwöre ich dir, dass dann im Menschen nichts mehr am Leben bleibt. Es gibt aber noch Arkana (Geheimmittel) in der Natur, das Leben im nahe schon toten Leibe von neuem zu wecken; und das will ich nun tun und werde dir als einem steifen Juden beweisen, dass die Seele noch lange nicht aus dessen Leibe gefahren ist und auch nicht fahren kann, weil niemals eine eigentliche Seele darin gewohnt hat!"

06] Hier zog der Rabbi ein goldenes Fläschchen aus seiner Rocktasche, zeigte es meinem Vater und sagte: "Da, Freund, sieh her! Darin sitzt die Seele eines schon tot gewordenen Menschen!"

07] Sagte mein Vater lächelnd: "Nur zu! Meine ganze, große Besitzung, die du kennen dürftest, ist dein, wenn der Tote auf deine ihm gegebenen Tropfen sich rührt nur auf ein paar Augenblicke lang; denn dein Arkanum ist mir bekannt. Ich besitze es auch, und es hat mir bei Scheintoten schon ganz gute Dienste geleistet; aber bei Scheintoten ist die Seele noch lange gut im Leibe. Es ist darum dieses Arkanum bei allen Verstorbenen, bei denen sich noch keine hippokratischen Symptome zeigen, mit vielem Nutzen anzuwenden; aber wenn einmal aus dem Gesichte eines Verstorbenen der allerausgebildetste Hippokrates herausschaut, da ist die Seele entflohen, und du kannst dem Toten zehntausend solche Fläschchen eingießen, so wird sich der Leib dennoch nicht rühren, sondern völlig tot und unempfindlich daliegen wie ein Stein oder ein dürres Stück Holz. Nun gehe aber deine Probe an mit deinem echt persischen Farrenkrautöle, und wie ich hier vor vielen Zeugen gesagt habe: meine Besitzung ist von dem Augenblick an vollkommen dein, wenn dieser Tote, um den sich nun schon ganz leise der Verwesungsgeruch zu entwickeln beginnt, auch nur einen Rührer auf deine Tropfen machen wird!"

08] Der kleine Rabbi ist auf diese ganz energische Einsprache von seiten meines Vaters zwar etwas betroffen, tritt aber dennoch zum Toten hin, öffnet ihm den Mund und läßt ihm zehn Tropfen statt der gewöhnlichen ein, zwei bis höchstens drei auf die schon ganz verdorrte Zunge fallen. Er schließt ihm darauf den Mund wieder und harrt nun mit großer Aufmerksamkeit, bis sich der Tote etwa doch nur ein bißchen irgend zu rühren beginne. Allein es vergeht eine Vollstunde und noch eine Vollstunde, es fängt schon an sehr zu tagen, und der Tote macht noch keine Miene von einer Bewegung.

09] Nun fragt mein Vater den kleinen Rabbi, ob er noch der Meinung sei, dass sich der Tote auf seine echt persischen Farrenkrauttropfen zu rühren anfangen werde und vielleicht auch gar zu reden.

10] Sagt der Kleine: "Warten wir nur noch eine Stunde, warten wir ab den Aufgang der Sonne, und der Tote wird sich schon zu rühren anfangen; auch reden wird er!"

11] Sagt mein Vater, abermals lächelnd: "Nur zu, ich werde nichts dagegen haben; im Gegenteil opfere ich gerne mein Hab und Gut für die Wiedergewinnung des Lebens dieses alten, mir überaus wohlbekannten, gottergebenen Biedermannes! Und verlierst du gegen mich, so verlange ich von dir nichts, als dass du glaubst an den wahren, ewig lebendigen Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs und an die vollste Unsterblichkeit der menschlichen Seele!"

12] Sagt der Rabbi: "Ja, Freund, das will und werde ich; aber ich sehe es im voraus, dass du bei diesem Handel eingehen wirst! Denn ich gehöre geheim zur vernünftigen Sekte der Sadduzäer und möchte meine Templerschaft in die große Sandwüste Afrikas verwünschen! Aber solltest du nun im Ernste über mich siegen, dann werde ich wieder recht froh sein, dem Tempel mit Haut und Haaren anzugehören!"

13] Nun ward alles still und harrte mit großer Begierde auf den Augenblick der Wiederlebendigwerdung des alten Lazarus.“



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