Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 3, Kapitel 157


Floran philosophiert über Gott.

01] Sagt Stahar: ”Freund, ich weiß, dass du ein großer Weltweiser bist, und dass man dir schwer etwas entgegenstellt; aber die sonderbaren Taten des Engels können dir doch unmöglich entgangen sein! Wirkte er diese für unser Naturleben oder allein nur für unsern Geist?“

02] Sagt der Redner: ”Wir sahen es mit unsern Augen; sahen es die zu Jerusalem auch? Nein! Weil sie es nicht sahen mit den sinnlich lebenden Augen und also auch gar nicht glauben können, so man sie auch davon benachrichtigen würde, können wir ihnen darum als vernünftige Menschen gram werden oder sie gar zu allerlei Strafen verdammen?!

03] Uns ist erst durch unsere Sinne des Glaubens Notwendigkeit aufgebürdet worden; ohne Augen wären wir so gar verlesen als die nun zu Jerusalem. Sage mir, wo hier der eigentlich sittliche Stand seinen Anfang nimmt! Streiche die Augen und ihre notwendige Sehkraft hinweg, und bestimme mir dann den absoluten moralischen Standpunkt!“

04] Sagt Stahar: ”Freund, ich sehe es schon, dass wir nicht leichtlich je gleich werden! Solches muß uns ein höherer Geist völlig klarmachen! Ich sehe nun den Engel auf uns zukommen; mit dem mußt du reden, und ich wäre nun sehr begierig zu erfahren, wie ihr diese Sache miteinander abmachen werdet!“

05] Sagt der stets gleich nüchterne Redner: ”Lieber Freund! Der Engel kümmert mich nicht um ein Haar mehr als du, und ich werde mit ihm reden wie mit dir, und werde ihm um so weniger etwas schenken als dir, indem er ein seligster Geist ist und sich jeglicher Vollendung erfreut, während wir noch als Würmer im Staube der Nichtigkeit den harten und schmutzigen Boden dieser Erde bekriechen müssen! Wahrheit gibt es nur eine, und die trifft einen Engel so gar wie den schmutzigsten Lumpen der Welt!“

06] Mit diesen Worten was der Engel auch schon bei der Hand und sagte: ”Floran, du fürchtest mich alsonach gar nicht?“

07] Sagt der Redner: ”Kennst du meinen Namen, so wirst du auch die Gründe in mir kennen, aus denen ich keine Furcht vor Gott haben kann, sowie auch vor dir nicht, und wenn du noch tausend der größten Wunder leisten würdest! Ich kann mir auch tausend Wunder denken, aber nicht effektuieren; was liegt denn da daran?! Könnte ich sie auch ausführen, so kämen mir dann die deinen sicher nimmer wunderbar vor! Ich bin schon mit dem Zuschauen zufrieden, - das Effektuieren geht mich nichts an! Oder sollte ich darum trauern, wenn ich nicht so glänze wie die Mittagssonne, oder dass ich nicht gleich einem Vogel in der Luft umherfliegen kann?! Ich bin mit dem zufrieden, was ich weiß, was ich bin, und was ich kann, und mehr brauche ich wenigstens für diese Welt nicht!

08] Was ich aber weiß, bin und kann, ist eine Gabe Gottes für mein Individuum, für die ich dem Schöpfer dankbar bin; mehr aber brauche ich nicht und beneide auch niemand, der mehr hat!

09] Sollte ich etwa darum eine Furcht vor dir haben, weil du endlos mächtiger bist als ich? Oh, mitnichten! Wärest du dümmer als ich, so hättest du entweder keine Macht oder sie wäre roh, der ich dann mit meiner reinen Vernunft so gar wie der Kraft des Sturmes begegnen könnte; du bist aber auch um ebensoviel weiser als mächtiger denn ich, und das gibt mir die Zuversicht, dass du mit mir keinen Mutwillen treiben wirst, zumal ich dir nirgends einen Schaden habe zufügen können und noch weniger wollen. Und wolltest du dir mit mir auch einen Scherz erlauben, so würde ich dir darum gerade nicht gram werden, aber dich auch nicht als einen Löwen in der Weisheit preisen, von dessen Ernst man sagt, dass er kein Mückenfänger ist. Gott ist aber noch endlos weiser und mächtiger denn du, darum fürchte ich Ihn noch weniger als dich.“

10] Sagt der Engel: ”Weißt du aber nicht, dass Gott dich vernichten kann für ewig, oder dass Er über dich eine ewige, höchste Plage verhängen kann, so du Sein Gesetz nicht achtest?! Und in dieser Hinsicht sollte denn Gott auch nicht zu fürchten sein?!“

11] Sagt Floran: ”Ohne deiner Weisheit nur im geringsten zu nahe zu treten, muß ich dir offenherzig bekennen, dass diese deine Frage an mich deiner Weisheit - geradeheraus geredet - keine besonders himmlische Ehre gemacht hat! dass mich Gott als das grundallmächtigste Wesen vernichten kann, daran zu zweifeln wäre eine noch größere Torheit als deine stark ans Läppische streifende Erinnerung an meine sub- und objektive Nullität. Was wird's denn sein, wenn ich zu abermaligem Nichts würde, wie ich auch vor diesem Sein ein ewiges Nichts war?! Das Nichts ist nichts, braucht nichts und hat ewig für nichts zu sorgen! Also nur her mit der ewigen Vernichtung meines ohnehinigen Nichts, und ich gebe dir nun schon zum voraus die Versicherung, dass ich als ein reines Nichts dich darum nie vor ein Gericht fordern werde! Sollte es aber Gott, dem sicher allerweisesten Wesen, ein Vergnügen machen, mich ewig zu peinigen und zu martern, da ist Seine Weisheit auch gar nicht weit her; denn eine solche Sehnsucht würde man kaum bei einem Tiger von einem Tyrannen antreffen.

12] Die Geschichte weist uns aber kein Beispiel auf, dass je irgendein Tyrann ein Weiser gewesen sei; und was könntest du und dein Gott mir erwidern, so ich euch bewiese, dass ihr höchst unweise statt höchst weise wärt?! Das aber kann niemand von Gott behaupten, der nur je einen Blick in die höchst weise Einrichtung eines jeglichen Geschöpfes getan hat! Gott ist demnach höchst weise und darum sicher auch höchst gut.

13] Mit solchen allervollkommensten Eigenschaften ausgerüstet, kann Er aber auch unmöglich je irgend in der ganzen Unendlichkeit ein Geschöpf für eine ewige Qual geschaffen haben! Ah, durch allerlei bittere und schmerzhafte Erfahrungen ein Wesen reinigen, hier oder jenseits, das ist ganz etwas anderes; denn der Mensch ist ein Gotteswerk, das sich nach der weisesten Ordnung Gottes selbst in der sittlichen Sphäre zu vollenden hat, um das zu werden, wozu es vom Schöpfer bestimmt ist!

14] Aber solche nur kurz dauernden schmerzlichen Besserungsmomente läßt der Schöpfer nur zu und erschafft sie nicht eigens, um zu Seinem Vergnügen einen Menschen für einen Fehltritt dann eine Zeitlang zu plagen, sondern um ihn nur zur nüchternen Erkenntnis der Ordnung zurückzuführen und ihm dadurch die Selbstausbildung zu erleichtern. Aber als eine diktatorische Strafe kann ich solch eine rein göttliche Vorsichtsmaßregel, aus der nur Liebe und ein höchstes Wohlwollen strahlen, ewig nie ansehen!

15] Du kannst daher Gott nicht ärger beschimpfen, als so du Ihn als einen ewigen Tyrannen mir vorstellst! - Ich meine, dass du mich wirst verstanden haben!

16] Ich kann Gott nur über alles lieben und Ihn als das heiligst beste und weiseste Wesen anbeten; aber fürchten ewig nimmer!“

17] Hier klopfte der Engel dem Floran auf die Schultern und sagte lächelnd: ”Gut hast du es gemacht, und glaube es ja nicht, als wollte ich mich mit dir in irgendeinen Wortkampf einlassen; denn du hast recht, wie auch ich recht habe! Ich wollte durch meine etwas seichten Fragen dir nur Gelegenheit bieten, deine Ansichten auch vor deinen Brüdern etwas offener auszusprechen, als so etwas bei dir ehedem der Fall war, und sage dir, dass du nun schon reif bist, dem Herrn zu begegnen! Folge mir darum, - ich selbst werde dich Ihm vorführen!“

18] Sagt Floran: ”Es ist sonach vollster Ernst, dass hier die alte Weissagung erfüllt ist?“

19] Sagt der Engel: ”Ja! Die vollste Wahrheit, wovon ich doch sicher ein sprechendster Zeuge aus den Himmeln bin; darum folge du nun noch allein mir!“



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