Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 3, Kapitel 150


Raphael und Stahar.

01] Sagt Cyrenius: ”Der Meinung bin ich wieder durchaus nicht; denn ich glaube fest daran, dass es einen Gott gibt, der alle Geister- und Sinnenwelt aus Seiner höchst eigenen Machtvollkommenheit, und zwar aus Sich heraus, erschaffen hat, nur natürlich in einem etwas längeren Zeitraume als in dem von Moses, schlecht oder gar nicht verstanden, angegebenen. Es gibt aber hier Männer, die Moses besser verstehen denn du!

02] So glaube ich auch an ein ewiges Leben aller Menschen, die aus gutem Willen das Gebot Gottes tatsächlich erfüllen, glaube auch vollkommen an die formelle Persönlichkeit aller Geister und somit auch der Engel Gottes, glaube fest an eine wirkliche Offenbarung Gottes durch den Mund der Propheten und glaube sogar an eine gottmenschliche Persönlichkeit!

03] Und ich glaube dies alles nicht bloß nur vom Hörensagen, sondern aus meiner innersten und lebendigsten Überzeugung, und es befremdet mich darum sehr, dass du von all dem gar nichts glaubst!

04] Was würdest du denn sagen, so ich ganz ernstlich zu dir spräche: 'Siehe, dieser liebliche Jüngling hier ist eben solch ein von dir nie geglaubter Engel Gottes und kann sich dir auch als solcher allzeit durch die Taten erweisen?' - Was wirst du mir dagegen einwenden können?“

05] Sagt Stahar: ”Hoher Herr, darauf kann ich nichts anderes sagen als: Dir ist es nun gefällig, mich ein wenig vor allen Menschen durchzulassen! Dieser liebliche Junge ist sicher nur ein hoffnungsvoller Sohn von dir, und es wird sich nicht fehlen, dass du ihn schon von frühester Kindheit an in allen möglichen Künsten und Wissenschaften hast unterweisen lassen, und es sollte da schon alles zur Null werden, wenn der Junge nicht gewisse Fertigkeiten besäße, von denen unsereinem noch nie etwas geträumt hat.

06] Wenn ich so ein leichtgläubiger Ochse wäre, so könntest du mir damit schon so einen frommen Bären anhängen; aber so dürfte es sich wohl schwer machen. Denn ich weiß, was ich weiß, und bei dir wird's geheim auch derselbe Fall sein, - nur scheinst du mich hier wieder auf eine neue Probe stellen zu wollen.“

07] Sagt Cyrenius: ”Nun, wenn du es dafür hältst, als hätte ich dich zum besten, so stelle im Namen Gottes des Herrn mit ihm eine Probe an, und es wird sich dann ja zeigen, ob ich dir recht berichtet habe oder nicht!“

08] Stahar sagt: ”Gut, wenn du mir das zugestehst, so werde ich dir mit deinem Engel sogleich die dreifache Mosisdecke vom Gesichte heben, dass du darauf gleich wirst klar sehen können, wie es mit dem Engel steht! - Komm demnach her, du mein holder, junger Engel!“

09] Raphael tritt hin zum Stahar und sagt: ”Was willst du, Glaubensloser, das ich dir tun soll?“

10] Sagt Stahar: ”Sieh, in diesem Meere hausen eine Menge Fische; könntest du mir wohl einen besten aus der Tiefe herausholen und mir ihn aber auch zugleich schon gebraten und recht wohl zugerichtet auf einer Schüssel vorstellen?“

11] Stahar hatte dies noch kaum ausgesprochen, als Raphael ihm schon den verlangten Fisch auf einer großen Schüssel vorhielt und ihn dazu einlud, den Fisch nun auch zu verzehren.

12] Als Stahar solches ersah, da wurde er ganz entsetzlich verlegen und wußte nicht, was er auf diese unbegreifliche Erscheinung sagen sollte.

13] Raphael aber ladet auch Cyrenius dazu ein, den Fisch, der sehr wohl zugerichtet ist, zu verkosten. Der Fisch ward in Stücke zerteilt. Cyrenius nahm sich gleich ein gutes Stück heraus, aß es und rühmte überaus den Wohlgeschmack. Darauf versuchte auch Stahar ein Stück, aß es und fand das Lob des Cyrenius bestätigt, und endlich nahmen noch mehrere Gäste sich Portionen vom Fische und fanden sie überaus wohlschmeckend.

14] Als sogestaltig der ganze Fisch verzehrt war, wandte sich Stahar erst ganz demütig an den Raphael und sagte: ”Bist du wirklich ein Engel des Herrn, oder bist du nur so ein junger, außerordentlicher Zauberer aus Europa oder Afrika oder aus dem großen Hinterasien? Die Tat ist zwar unbegreiflich und nie dagewesen wunderbar; aber es gibt auch Zaubereien und große Zauberer unter den Menschen, durch die ein Laie in derlei Dingen sehr leicht irregeführt werden kann. Darum sage du mir vollwahr, ob du wohl möglicherweise ein Engel des Herrn bist - oder vielleicht doch ein Zauberer?!“

15] Sagt Raphael: ”Was würde dir da mein Ja oder Nein nützen?! Der Zweifler braucht handgreifliche Beweise! Prüfe mich und erkenne daraus, ob das, was ich tue, auch irgendein Zauberer tun kann!“

16] Sagt Stahar: ”Ja, ja, es wäre gut prüfen, wenn man nur wüßte, womit man mehr mit so etwas - hm, - ja, mir fällt nichts ein, womit ich dich, du holdester Junge, noch weiter prüfen könnte, und zudem ist die Effektuierung des von mir eigentlich lächerlich verlangten ersten Probestückes selten so außerordentlich, dass sich etwas noch unmöglicher Ausführbares gar nicht mehr denken läßt! Deiner unendlich lieblichen Gestalt zufolge aber möchte ich schon wahrlich nun eher glauben, dass du im Ernste ein Engel Gottes denn ein Zauberer seiest! Nur scheinst du wirklich einen Leib zu haben, und da schaut denn doch kein so rechter Geist heraus. Laß dich doch von mir anfühlen, ob du auch Knochen hast!“

17] Der Engel läßt sich nun von Stahar anfühlen, und Stahar findet alles gediegen und kompakt beim Raphael; da zuckt er gewaltig mit den Achseln und sagt: ”Hm, hm, da strotzt ja alles in der ganz verzweifelt üppigsten Fleischesfülle; da sieht es eben nicht sehr geistig aus! Die Tat, ja, gegen die läßt sich nichts einwenden; aber der ganz verzweifelt schöne, volle, weit über alle Jungfrauen hinaus üppige Leib, dieser wunderherrliche Arm, und so gediegen und kompakt, ja, da schaut denn doch gar nichts Geistähnliches heraus! Man könnte in dich, ganz offen zu gestehen - abgesehen, dass man schon ein alter Esel ist, und abgesehen, dass du dem Männerstande angehörst -, sogar mit der größten Leichtigkeit ganz mörderisch verliebt werden und so sinnlich als nur immer möglich! Und siehe, da schaut denn schon wieder nichts von so etwas heraus, das man mit vollstem Rechte rein und himmlisch Geistiges nennen könnte! Es müßte denn nur also sein, dass du gleich einem jungen Tobias geheim, uns sterblichen Menschen unsichtbar, von einem Engel unterstützt wirst, das heißt, so du schon von Geburt an gleich einem Samuel ein überaus frommer Knabe warst! Wäre aber dies nicht der Fall, so könntest du auch ebensogut im geheimen Verbunde mit dem 'Jehova-steh-uns-bei' stehen, was ich freilich um so weniger vermute, da du sonst ein zu himmlisch frommes und schönes Aussehen hast, und weil ich, offen gestanden, an den 'Jehova-steh-uns-bei' eigentlich noch nie so recht fest geglaubt habe. Es ging mir sogar mit dem Vollglauben an einen Gott schlecht, um so mehr dann erst an dessen Gegenpart!

18] Daher bin ich trotz meiner äußerlichen Strenge bei mir selbst dennoch kein Zelote, sondern ein vernünftiger Naturalist und nehme darum so lange irgendeine Erscheinung nicht als geistig an, als sie sich nur im geringsten noch natürlich erklären läßt!

19] Deine nun vollbrachte Tat läßt meinem Verstande freilich wohl keine natürliche Erklärung zu; aber ich habe es mir auch noch nie eingebildet, alles zu verstehen, was irgendwo im großen Gebiete der Natur zum Vorschein kommt. Es kann daher deine Wunderkunst auch noch irgendeinen natürlichen Grund haben, der dir wohlbekannt sein wird und vielleicht noch manchem andern. Mir wirst du ihn schwerlich kundgeben; allein das macht eben nichts, denn es geschieht in der Natur gar manches, das an und für sich auch ein Wunder ist, dessen Grund wir nicht einsehen. Sollten wir es darum sogleich etwa als ein volles Wunder ansehen?!“



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