Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 3, Kapitel 141


Der Bote Herme erzählt sein Erlebnis in der Stadt.

01] Als Julius den Willen des Cyrenius erfüllt hat und die beiden Kohorten abgehen, kommen auch die beiden früher abgesandten Reiter zurück und sagen dasselbe aus, was soeben der Bote ausgesagt hat. Zugleich berichten sie von seiten des Stadtpflegers die alleruntertänigste Versicherung, dass er, sobald sich der Sturm nur ein wenig gelegt haben wird, herauseilen und dem hohen, hohen Gebieter die genauesten und gewissenhaftesten Berichte über alles erteilen werde. Cyrenius beschenkt die beiden Reiter und heißt sie Ruhe nehmen, und sie salutieren den Cyrenius und begeben sich zu ihren Gefährten. Cyrenius aber wendet sich darauf wieder zum Boten und fragt ihn, wer ihn denn so ganz eigentlich als Boten herausgesandt habe.

02] Sagt der Bote, nun etwas mutiger denn früher: ”Herr Herr, die Notwendigkeit! Ich selbst, ein Bürger der Stadt, habe bei der Gelegenheit, da das Feuer am Ende zwischen unsern und den jüdischen Häusern keinen Unterschied machte, meine ganze Habe eingebüßt und bin nun ein Bettler. Diesen Mantel, der nun zur Not meinen Leib bedeckt, zog ich einem erschlagenen Juden vom Leibe und warf ihn über meine Schultern, sonst wäre ich nackt, so wie mein Weib und meine drei schon ziemlich erwachsenen Töchter, die sich nun alle vier mit einem großen Leintuche hinter dieses alten Markus Hütte befinden.

03] Ich aber erließ einen Ruf zur Flucht für allenfalls hier anwesende Juden aus der Stadt, damit sie flüchtig würden und ich sie daraus leichter erkannt hätte, um mich dann nach meiner Herzenslust an diesen Hauptspitzbuben mit diesem schaffen Spieße zu rächen. So sie aber fliehen würden, da könnten sie nur per mare (auf dem Seewege) weiterkommen; sonst sind von der Stadt aus schon von seiten des Pflegers überall Wachen ausgestellt, und diese würden die Spitzbuben in den Empfang nehmen, worauf es ihnen wahrlich nicht gut ergehen möchte!

04] Herr Herr! Ich bin ein Grieche und kenne mich noch so ein wenig in der Kriegslist aus; aber jetzt ist es schon gut, von da gehen uns diese Spitzbuben nimmer durch! Es würde übrigens auch gar nicht schaden, so ein paar Wachen uns Meeresufer zu stellen; denn sonst könnten die Kerle etwa doch ein Schiff schnell in den Besitz nehmen und damit abfahren.“

05] Sagt Cyrenius: ”Sorge dich darum nicht; für das ist bereits bestens gesorgt!“

06] Hierauf wendet sich Cyrenius zum Mathael und sagt: ”Nun, was sagst du jetzt zu dieser Nachricht dieses Boten?! Ich werde nun aber dennoch zuvor den Stadtpfleger abwarten und bin sehr begierig zu vernehmen, was diese Erz - - dagegen einwenden werden.“

07] Sagt Mathael: ”Viel wirst du dadurch nicht gewinnen; denn du kennst alle die tausend Löcher noch viel zuwenig, durch die sie in die schönste Freiheit gelangen können. Aber besser bist du nun daran denn früher!

08] Aber jetzt muß vor allem dafür gesorgt werden, dass des Boten Weib und Kinder versorgt werden! Helena, du wirst wohl einige Tageskleider bei dir haben, und wenn es nur Hemden sind, damit man sie nur vorderhand vor der Nacktheit schützt!“

09] Helena ruft sogleich eine ihrer Dienerinnen und befiehlt ihr, das Gehörige zu verfügen. Die Dienerin begibt sich gleich in ein Zelt des Ouran und bringt vier gute Hemden und vier kostbare griechische Frauenröcke. Als sie damit zur Helena kommt, sagt diese: ”Laß dich von dem Boten hinführen zu dessen Weib und Töchtern, bekleide sie und führe sie hierher zu diesem Tische!“

10] Dem Boten kommen über diese Güte der Helena Tränen des Dankes in die Augen, und er führt freudigen Herzens die Dienerin dahin, wo sein weinendes Weib und seine traurigen drei Töchter seiner harren. Als er aber zu den noch in das Leinentuch eingewickelten Weinenden sagt: ”Weint nicht mehr, meine Teuersten; denn seht, wir haben schon einen mächtigsten Retter gefunden! Der Oberstatthalter Cyrenius ist hier, und wahrscheinlich seine Tochter überschickt euch feinere und kostbarere Kleider, als ihr je ähnliche nur gesehen habt!“, da springen Weib und Tochter vor Freuden hervor und bekleiden sich schnell. Der Bote aber legt das Leinentuch zusammen und steckt es unter seinen Judenrock. Darauf führt er sie alle zur Helena, und sie benetzen ihre Kleider mit Tränen des wärmsten Dankes.

11] Helena läßt die vier Weiblein an ihrer Seite Platz nehmen und bewirtet sie sogleich mit Brot und Wein; denn auch die vier Weiblein waren schon sehr hungrig und durstig. Helena und Ouran unterhalten sich mit den vieren, und die erzählen ihnen so manches von den Bedrückungen der Pharisäer gegen ihre Gläubige. Darauf sagt Cyrenius zum Boten: ”Freund, ich habe dich gleich anfangs mit dem etwas entehrenden Namen >Bursche< etwas hart angeredet; da ich dich aber nun besser kenne, so reut es mich, dich auf solche Weise auch nur einen Augenblick lang entehrt zu haben. Dafür sollst du von mir nun aber auch gleich mit einem Ehrenkleide angetan werden!“

12] Hierauf befahl Cyrenius seinen Dienern, sogleich ein feinstes römisches Ehrenkleid hervorzuholen, bestehend in einem feinsten, faltenreichen Hemde aus Byssus (Byssus war im Altertum ein feines Gewebe, wurde in der Pharaonenzeit auch zum Einhüllen der ägyptischen Mumien benutzt.), bis an die Knie reichend, dann aus einer Toga, die mit Goldborten verbrämt und aus indischer Seide in schönster blauer Farbe gewebt und angefertigt war, und aus der edelsten römischen Fußbekleidung und aus einem feinsten ägyptischen Turban mit Federschmuck und Agraffe, die aus einem wertvollen Smaragd bestand. Dazu ließ unser Cyrenius dem Boten noch sechs feinste Unterhemden und hundert Pfunde Silbers zukommen. Der Bote war dabei freilich außer sich vor Freude und wußte kaum, wie er für alle diese Wohltaten dem Cyrenius hätte sollen zu danken anfangen.

13] Cyrenius lächelte aber selbst vor Freude und sagte zum Boten, der Herme hieß: ”Gehe hin ins Haus meines Markus, wasche dich, zieh dich dann an und komme als ein edler Römer wieder; da wird es gerade an der Zeit sein, dass wir die Pharisäer zu einem Hauptverhöre herziehen werden! Denn diesmal kommen sie mir nicht mehr aus, dafür stehe ich! Und du, mein edler Freund Herme, wirst mir einen guten Dienst leisten!“

14] Herme sagt: ”Mein Wille ist es, und an der Kriegslist hat es mir noch nie gemangelt! Aber diese Menschen sind für die Furien zu schlau, geschweige für uns auf dem Wege einer ordentlichen Gerichtsverhandlung! Wenn man diese Menschen fangen will, muß man nur auf das halten, was sehr verläßliche Zeugen über sie aussagen; denn wie man auch sie anhört, so wird man verwirrt, hält sie am Ende noch für unschuldig und willigt in ihr Begehren. Darum wäre meine Meinung, diese Hauptspitzbuben zusammenzufangen und ins Meer den Fischen zum Fraße vorzuwerfen, dass darauf kein Hahn mehr nach ihnen krähen kann! Da hat man als Richter allem Rechte genug getan! Wenn in einer Gegend sich Tiger, Hyänen und Wölfe niederlassen und dadurch die Menschheit in große Ängste und Schaden kommt, soll man darüber etwa noch diese Bestien vorher ordentlich ins Verhör nehmen?! Nein, sage ich! Ihre Schädlichkeit ist zu bekannt; darum hinweg mit ihnen, wo sie sich der menschlichen Gesellschaft zu gefährlich zu zeigen anfangen! Herr Herr! Diese Menschen sind Proteusse, die gar nicht zu fangen sind! Je mehr wir uns bemühen, sie zu fangen auf dem politischen Wege, desto mehr werden wir selbst gefangen werden von ihnen! Ich kenne sie, wenn ich auch ein Grieche bin! - Aber nun, du gnädigster Herr Herr, erlaube mir noch eine Frage!“

15] Sagt Cyrenius: ”Was ist es denn? Rede!“



Home  |    Inhaltsverzeichnis Band 3  |   Werke Lorbers