Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 3, Kapitel 56


Suetal spricht von Jesus.

01] Hierauf wendet sich Suetal zu Ribar, ihn am Rocke zupfend und sagend: ”Du, Ribar, es handelt sich hier um eine äußerst wichtige Frage und Sache, namentlich für uns Juden; vielleicht kannst du uns darüber auch einen eben nicht unwichtigen Aufschluß gehen, indem du meines Wissens doch etwas besser als ein ganz laier Jude (Laienjude) in der Schrift bewandert bist. Sieh, es sind uns bekannt alle die großen Verheißungen von - sage Adam angefangen bis auf nahe unsere Zeiten herab; laut diesen durchaus nicht aus purer Luft gegriffenen Verheißungen erwarten wir einen Messias, der namentlich die Juden als das alte Volk Gottes von allen wie immer gearteten leiblichen und geistigen Übeln befreien soll! Nun, die Werke des berühmten Heilandes haben wir mit eigenen Augen gesehen und noch mehr aus der jüngsten Gegenwart von Augen- und Ohrenzeugen mit unsern höchst eigenen Ohren vernommen, was er alles tut und getan hat. Ich frage, ob Gott Selbst, aus Seinen höchsten Himmeln auf die Erde herabsteigend, mehr tun würde, und Wunderbarstes, als da eben der Heiland aus Nazareth tat! Die Antwort auf diese Frage kann nur 'Nein!' lauten.

02] Vor ungefähr drei Wochen wurde uns das ganz wie vom Grunde aus neu gestellte Haus, das nun dort eben auch einem Heilande - glaube mit dem Namen Joab oder auch anderslautend - gehört, dahin als etwas Außerordentliches gezeigt, das der Nazaräer in wenigen Augenblicken also aus einem förmlichen Steinhaufen von einer Ruine bloß durch seinen Willen hergestellt habe.

03] Man erzählte uns auch von einem Kaufmanne in der Nähe von Sichar, dessen Haus auch auf eine ähnliche Weise vergrößert und sehr geschmückt worden ist.

04] Die Heilungsgeschichten von Genezareth sind uns auch bekannt. Wir alle haben den geheilten Bruder unseres Gefährten aus den Bergen im Bezirke Genezareth selbst gesehen und gesprochen; nun haben wir die außerordentliche Heilung der gestern uns begleitenden fünf Rasenden so gut wie mit angesehen. Die unbegreifliche Weisheit Mathaels, der sich mit seinen Gefährten nun mit dem Hauptmann Julius und mit noch einem hohen Römer bespricht, ist uns davon mehr als ein sicherster Bürge!

05] Nun kommen noch die zwei Wunder, von einem - sage - Jünger ausgeführt, hinzu. Frage: Berechtigt uns dies alles nicht zu der Annahme, dass der große Heiland aus Nazareth eben der verheißene Messias ist? - Was meinst du da?“

06] Sagt Ribar: ”Ja, ja, du möchtest schier recht haben! Weißt du, so ganz heimlich bin ich auch schon mit diesem Gedanken umgegangen, wie ein schwangeres Weib mit ihrer Frucht. Aber das ist ein doppelt heikler Punkt, sowohl gegenüber dem Tempel als auch gegenüber den Römern, denen so ein echter Messias der Juden, wie er verheißen ist, gewiß sehr ungelegen käme. Der Tempel aber setzt des Messias Ankunft nach seiner kabbalistischen (auf die Geheimlehre bezüglichen) Rechnung aus wohlweisen Gründen noch wenigstens gleich auf ein paar Jahrtausende hinaus; der würde jetzt, wo es ihm gar so gut geht, einen Messias gar nicht brauchen können. Den Römern aber dürfte es offenbar lieber sein, so er an ihrer Seite wäre, als an der Seite der Juden!

07] Daher bin ich hier offenbar dieser Meinung: Man glaube bei sich schön im stillen, was man will in Hinsicht des Verheißenen; aber man predige seinen Glauben nicht eher offen aus, als bis die Sache noch evidenter (augenscheinlicher) am hellen Tage liegen wird! Jetzt dürfte man mit diesem Glauben so gut von der einen wie von der andern Seite her sehr bedeutende Anstände bekommen. Im übrigen bist du mit deiner Meinung wie mit deinen Gründen dafür durchaus nicht auf irgendeinem falschen Wege, sondern ganz nach meinem Sinne und nach meinen innersten Gedanken auf der rechten Spur; aber liebwerteste Freunde, unseres Heiles willen bleibe das vorderhand noch streng unter uns!

08] Aber du, Bruder Suetal! - betrachte du mit einiger Aufmerksamkeit nur den jungen, wundertätigen Jünger! Was er etwa doch wieder im Sinne haben mag? Fürs erste geht er nimmer zu seiner Gesellschaft zurück, und fürs zweite sieht er uns stets so gewisserart etwas fein spitzbübisch lächelnd an, als wenn wir so ein paar recht dumme Tölpel wären. Was er etwa doch haben mag? Sieh nur, nun kehrt er sich gar um und lacht förmlich in die Faust hinein! Wenn der Junge nur nicht gar so entsetzlich allmächtig wäre, so würde ich ihn zur Rede stellen; aber es ist mit so einem Menschen rein nichts mehr zu machen; denn dem wäre es nur so ein Scherz, unsereinen so in einen ganz gemütlichen Esel zu verwandeln, und wie stünde man nachher da?“

09] Spricht Raphael, sich umkehrend und noch mehr lachend, und zugleich mit Meiner Zulassung einen ganz gesunden Esel neben den Ribar hinstellend: ”Siehe, gerade also, wie nun ein wirklicher neben dir steht!“

10] Ribar sieht sich um, erschrickt ganz gewaltig und sagt nach einer Weile seines sich immer mehr entsetzenden Staunens: ”Oh, oh, oh, was ist denn das?! Von woher kam denn nun auf einmal dieser ganz wohlgenährte Esel?“

11] Sagt Raphael: ”Von daher, von woher der Fisch gekommen ist! Aber jetzt frage ich dich, aus welchem Grunde geniere ich euch denn? Habe ich euch denn schon irgend etwas zuleide getan?“

12] Sagt Ribar: ”Liebster und zugleich allerschönster junger Freund! Sieh, du bist uns zu allmächtig und siehst dabei so ein wenig spitzbübisch aus; daher haben wir einen eigenen Respekt vor dir, und es wird uns ganz entsetzlich angst und bange in deiner Nähe! Weil du aber schon einmal da bist und nicht zu deiner Gesellschaft zurückkehren willst, so tritt näher und beschreibe uns wenigstens, wie da aussieht der große göttliche Meister aus Nazareth; denn von den unbegreiflichen Wundertaten, die du vor uns ausgeübt hast, werden unsere Seelen nicht gesättigter! Wenn du, was durchaus nicht zu bezweifeln ist, irgend auch so zu reden verstehst, als wie fertig dir die rein göttlichen Wundertaten gelingen, da öffne du deinen schönen Mund und rede, beschreibend die äußere Gestalt!“

13] Sagt Raphael: ”Wenn ich dürfte, so würde ich das auch recht gerne tun; aber ich darf bei aller meiner allmächtigen Kraft, die ich von dem ewigen Meister aller Dinge habe, nicht vor der Zeit aus der Schule schwätzen.

14] Es hat euch, und namentlich dich, geärgert, weil ich zuvor notgedrungen über euch habe lächeln müssen. Ich versichere euch, dass dahinter durchaus keine sogenannte Knabenspitzbüberei steckt; denn es gibt denn doch oft Gelegenheiten unter den sterblichen Menschen, besonders bei denen, die noch so in einem Zwielichte wandeln, dass ein durch und durch erleuchteter Geist, wie ungefähr ich einer bin, darob sich denn doch nicht so ganz des Lächelns enthalten kann. Für mich zum Beispiel ist das immer etwas, worüber ich noch allzeit zum Lächeln genötigt wurde, wenn irgend schon so recht weise und verständig sich Dünkende in einem Walde beisammenstehen und am Ende den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen und ihn als solchen erkennen! Ja, Freunde, wenn mir so etwas unterkommt, da muß Ich lachen, und es hilft nichts dagegen!“

15] Sagt Ribar, etwas große Augen machend: ”Stehen denn wir nun etwa auch in einem Walde und erkennen den Wald vor lauter Bäumen nicht?“

16] Sagt Raphael: ”Materiell nicht, aber geistig ja, und deshalb mußte ich lachen. Sagt mir, weshalb fürchtet ihr denn gar so die Bekanntschaft mit dem großen Meister aus Nazareth?“

17] Sagt diesmal Suetal: ”Siehe, lieber, weiser Jünger des großen Meisters, wir haben uns schon gegen diesen Freund hier, der dich hierher berufen hat, ganz unverhohlen ausgesprochen, aus was für einem Grunde es uns lieber ist, die persönliche Bekanntschaft mit ihm nicht zu machen, und es soll wohl bei diesem unserem sicher durchaus nicht schlechten Wunsche verbleiben!

18] Du stehst für uns arme Sünder schon viel zu hoch, und es wird uns darum ganz entsetzlich unheimlich in deiner Gesellschaft; denn von deiner Weisheit und Wissenschaft können wir doch unmöglich auch nur einen allerleisesten Dunst von einer Ahnung haben, und es wird uns darum ganz sonderbar in deiner Gesellschaft. Was ist aber ein Jünger gegen seinen Meister? Kannst du aber schon als ein jüngster Jünger des großen Meisters solch unerhörte Wundertaten verrichten, was wird erst deinem Meister alles möglich sein?! Uns aber ist es schon in deiner Nähe darum ganz entsetzlich unheimlich; wie unheimlich würde es uns dann erst in der Nähe des großen Meisters werden?! Das würden wir gar nicht aushalten! Darum bleibt es vorderhand dabei, die persönliche Bekanntschaft mit dem großen Meister nicht zu machen.

19] Nützen kann uns nur seine Lehre, deren Grundzüge wir bereits von diesem Freunde hier vernommen haben; damit sind wir vorderhand auch ganz zufrieden. Würden wir einmal durch die möglichst genaue Beachtung dieser göttlich reinen Lehre vollkommener als wir jetzt sind, so wird es uns dann sicher zur größten Seligkeit gereichen, mit dem großen Meister irgend auch die persönliche Bekanntschaft zu machen. Den hierher gezauberten Esel aber schenke dem hiesigen Gastwirte für uns; denn wir haben ohnehin nichts, womit wir ihn für das uns Dargereichte bezahlen könnten!“

20] Sagt Raphael: ”Nun, so schenkt ihr ihm das ganz gesunde Lasttier und den Fisch; denn die beiden Tiere sind ja für euch geschaffen worden!“



Home  |    Inhaltsverzeichnis Band 3  |   Werke Lorbers