Jakob Lorber: ''Das große Evangelium Johannes', Band 2, Kapitel 98


Johannes und Bartholomäus klären Judas über die Scheinwunder der Essäer auf.

01] Sagt Johannes: »Das, was du uns jetzt von den Essäern erzählt hast, habe ich, und so mancher von uns, schon lange gewußt! Aber wir wissen noch mehr als du, und das besteht darin, daß wir wissen, daß eben deine uns angerühmten Essäer noch viel großartigere Betrüger und Halunken sind als die bekannten, jetzt schon nahezu allen Glauben verloren habenden Seher von dem Orakel zu Delphi!

02] Denn diese Menschen - noch ein Überbleibsel aus der alten ägyptischen Priesterkaste, versehen mit großen Schätzen, bestehend in Gold und Silber und den kostbarsten Edelsteinen und Perlen - haben sich an der Grenze zwischen unserem gelobten Lande und Ägypten eine wahre Wundermühle errichtet und besitzen eine zweite nun schon in der Nähe von Jerusalem, mit der sie auch schon die besten Geschäfte machen! Siehe, das wissen wir, und es wundert uns sehr, daß du, der du doch sonst nicht auf den Kopf gefallen bist, das nicht wissen solltest!«

03] Sagt Judas: »Ich habe doch allzeit meine gesunden fünf Sinne bei mir gehabt!«

04] Sagt Johannes: »Und hast dennoch nichts gesehen und gehört und nichts gefühlt und begriffen! Meinst du denn, daß die Toten, die du hast erwecken sehen, wirkliche Tote waren?«

05] Sagt Judas: »Was sonst?«

06] Sagt Johannes: »Siehst, wie du da in der eigens dafür dunklen Kammer nichts gesehen hast!? Die dir gezeigten Toten waren als dir gezeigte Tote ebenso lebendig wie du, und der Erweckungsruf war nichts als ein Zeichen, wann sich diese von ihren scheinbaren Totenbetten zu erheben hatten. Da frage unsern guten Bruder Bartholomäus, der zwei Jahre lang als Toter bei den Essäern in gutem Dienste war, aber nach zwei Jahren endlich dennoch eine gute Gelegenheit fand, ganz geheim aus dem furchtbaren Kloster dieser Betrüger zu entkommen; der wird es dir schon erzählen, auf welche Art und Weise die Essäer ihre Toten erwecken!

07] Er war, wie er mir oft erzählt hat, alle Wochen hindurch viermal tot! Zuerst in der Kammer der jüngst Verstorbenen und darauf gleich noch einmal in der Kammer der Totengerippe, wo die schwarzen Gestelle, auf deren Deckeln die Gerippe zumeist nur gemalt und nur auf den ersten, wegen des Anfühlens seitens der eingeführten Fremden, aus Holz geschnitzt angeheftet sind, in Reihen angebracht sind. Diese Gestelle sind Bänke mit halbrunden Überdeckeln, die mit der Unterbank mit Bändern zum Auf- und Zumachen versehen sind. Die lebendigen Menschen müssen sich auf die Unterbank legen; dann werden über sie die beiden Seitenflügel, die auf der Außenseite mit der Totengerippgestalt zumeist nur bemalt sind, geschlagen. Kommen dann ein oder mehrere Fremde, und zwar in die sehr dunkel gehaltene Kammer, so wird die Erweckung bewerkstelligt. Der Erweckungsruf ist dann wieder nichts anderes als ein Zeichen zuerst für die zwölf außerhalb der Wände der Gruft vor den bestimmten Öffnungen harrenden Knechte, die auf solchen Ruf fein gepulvertes Harz, das in eine Röhre gestreut ist, über kleine, flammende Pechpfannen in die Öffnungen hinein- und hindurchzublasen haben, was allzeit einen großen Flammenqualm verursacht.

08] Wenn nun auf den Ruf diese Flammen aus den Wänden hervorschlagen, so erschrecken die Fremden, und in diesem wohlberechneten Verwirrungsaugenblick müssen die auf den Bänken Liegenden schnell die Deckel auseinanderreißen und sich dann langsam von ihren Bänken erheben und darauf des Scheines halber in aller Zerknirschtheit ihrem Erwecker den Dank und den Preis darbringen. - Siehe, darin besteht die Totenerweckung in der Gerippekammer! Da aber steht der Bruder Bartholomäus als Zeuge!«

09] Sagt Judas, die Posserei einsehend, ganz verdutzt: »Nicht übel! Der Betrug ist fein ausgedacht und muß diesen Lumpen sehr viel Geld eintragen. Aber, wie machten sie denn hernach aus dem Felsberge den Palast?«

10] Sagt nun Bartholomäus: »Der Palast ist schon lange erbaut! Hast du aber über dem Palaste auf einem starken und hohen Pfeiler nicht eine große Kuppel gesehen?«

11] Sagt Judas: »O ja, die habe ich wohl gesehen und bewundert!«

12] Sagt darauf Bartholomäus: »Siehe, in der Kuppel liegt das leinwandene Geheimnis, wie die Essäer diesen Palast in einer halben Stunde in einen scheinbaren Berg und in einer gleichen Zeit den Scheinberg wieder in den wirklichen Palast verwandeln können! - Verstehst du mich, oder muß ich mich deutlicher ausdrücken?«

13] Sagt Judas: »Oh, ich verstehe dich nur zu gut! Aber wer sollte das meinen, daß diese so fromm und weise tuenden Kerle mit gar so lumpigen Salben gesalbt sein sollen? - Ja, wie ist es denn dann mit der Schrift im Vollmonde und mit der totalen Verfinsterung der Sonne?«

14] Sagt Bartholomäus: »Das geht gar ins Lächerliche, und ich habe diesen künstlichen Mond mit fünfzig andern starken Männern gar oft auf einer ungeheuer langen Stange vom Erker des Schlosses in die freie Luft in einer schiefen Richtung hinaushalten müssen! Der Mond selbst aber besteht aus einem bei zwei Spannen breiten Siebreife, der zu beiden Seiten mit weißem Pergamente überzogen ist. Der Reif hat einen Durchmesser von zehn starken Handspannen und ist inwendig, das heißt innerhalb der beiden Pergamentdeckel - und zwar in der Mitte des Kreises - mit vier Öllampen versehen, die, angezündet, innerhalb der beiden weißen Pergamentdeckel einen starken Schein verbreiten. Die dem Schlosse zugekehrte Seite ist mit ziemlich großen, sehr schwarzen Lettern in drei Zungen beschrieben. Wenn nun ein Fremder schnell an ein bestimmtes Fenster geführt wird, so ersieht er scheinbar am Firmamente den beschriebenen Vollmond, den, wie gesagt, fünfzig starke Menschen auf einer gut bei zwölf Klafter langen Stange, die vom Fremden aus dem bestimmten Fenster nicht bemerkt werden kann, schief quer über hoch in der Luft emporhalten. - Nun, wie gefällt dir der Vollmond?«

15] Sagt Judas: »Ach, höre auf, das geht ja ins rein Scheußliche alles Betruges! - Ja, wie ist dann die Verfinsterungsgeschichte mit der doch wirklichen Sonne?«

16] Sagt Bartholomäus: »Das geht durch eine gewisse kunstvolle Berechnung, aus der sich die Zeit einer künftigen natürlichen Sonnenfinsternis, die, wie mir einer einmal erklärte, durch den Mond, wenn dieser am Tage über die Sonne hinweggeht, bewirkt wird, genau soll ermitteln lassen. An dieser Berechnung ist aber auch allein etwas daran, weil sie wirklich ins Gebiet des menschlichen reinen Wissens und Kennens gehört, und die Essäer haben sie von Ägyptern erlernt. Was aber den anfangs leeren und darauf gedeckten Tisch voll Speisen betrifft, so ist auch das auf einer höchst einfachen Maschine beruhend, die ungefähr auf die Weise wie die Gerippebänke in der dunklen Kammer bestellt ist!

17] Sieh, sogestalt sehen die Wunder der Essäer aus, von denen du aber nicht den hundertsten Teil gesehen hast, und die ganz geeignet sind, jeden Nichteingeweihten, wenn auch sonst noch so vernünftigen und erfahrenen Menschen, auf das allerweidlichste breitzuschlagen.

18] So ist in einem entferntesten Winkel des großen, mit sehr hohen Mauern eingefriedeten Gartens ein Wald, in dem der Fremde die Bäume reden hört; in einem andern Teile des Gartens reden die Felsen, und an einem dritten Ort kannst du sogar eine aus der Erde sprudelnde Quelle reden hören! In einem Bassin aus Quadern, über eine Klafter tief gemauert, befindet sich eine Menge zahmer Schlangen, die täglich mit Milch gefüttert werden. Diese reden auch dann und wann! An einem andern Punkte des Gartens spricht sogar das Gras! - Es wäre da viel zu reden, wenn man das alles beschreiben möchte; es genügt, so ich dir sage, daß da nahezu Tag für Tag bei 30 bis 40 Fremde breitgeschlagen werden um viel Gold und Silber!«


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