Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 01, Kapitel 121


Vermutungen der Pharisäer und Schriftengelehrten über Jesu Weisheitsherkunft. Schriftgelehrter berichtet von Josephs Äußerungen über den Knaben Jesus.

01] dass solche Belehrungen von der Gesellschaft, obschon nicht von allen verstanden, sehr gut und dankbar aufgenommen wurden, läßt sich sicher wohl begreifen. Selbst die Pharisäer und Schriftgelehrten erstaunten da sehr über Meine Weisheit und fragten sich untereinander, woher Mir solche Weisheit käme. Denn sie kannten Mich, den Joseph und die Maria und alle Kinder Josephs, und sagten auch zu den Jüngern: »Es ist wahrlich unbegreiflich! Sein Vater war wohl als Handwerksmann ein recht tüchtiger Mensch in seiner Sphäre, ein überaus treuer, billiger und ehrlicher Mann, dabei ein strenger Jude, der sich Moses und die Propheten, insoweit er sie kannte, ganz vollernstlich angelegen sein ließ, aber von irgend einer besonderen Weisheit war bei ihm nie etwas zu verspüren, und seine andern vier eigentlichen Söhne, die schon zu öfteren Malen bei uns in der Arbeit waren, sind von jeder Spur irgendeiner Weisheit so weit entfernt als Sonne, Mond und Sterne von der Erde.

02] Die gute Mutter Maria selbst, ein noch immer sehr hübsches, fleißiges und sehr tugendsames Weibchen, dem sicher kein Mensch etwas Untugendhaftes nachreden kann, ist zwar als Mägdlein, so wir recht unterrichtet sind, im Tempel erzogen worden: aber diese Erziehung kennen wir und wissen nur zu gut, wieviel Weisheit da besonders für Mädchen herausschaut. Und so kann er von seiner Mutter auch sehr wenig von der Weisheit eingesogen haben! In irgend einer Schule war er unseres Wissens auch nicht!«

03] »Im Gegenteil«, sagte ein mit Joseph wohlbekannter Schriftgelehrter, »Joseph hat mir mehr denn einmal die Not mit seinem Knaben Jesus geklagt und gesagt: "Ich weiß nicht, was ich mit diesem Knaben machen soll! Seine sehr sonderbar gewesen sein sollende Geburt, die mit derselben wenigstens sehr verflochten zu sein scheinenden Erscheinungen, aus denen man hätte erwarten sollen, dass das göttliche Wesen Selbst durch so ein Kind auf der Erde Sich manifestieren sollte, für das sogar mehrere, sicher außergewöhnliche Erscheinungen aus dessen frühester Kindheit nur zu deutlich sprachen, sowie dessen manchmal an eine hohe Weisheit grenzenden Reden haben mich mit den wahrhaft höchsten Erwartungen erfüllt und das um so mehr, da ich in der geradesten Linie von David abstamme. Aber gerade wo nun die Zeit da ist, in der der Knabe was lernen sollte, ist mit ihm nichts mehr auszurichten; von etwas lernen ist gar keine Rede. Gebe ich ihn auch zu einem Lehrer, so richtet er nichts mit ihm aus; der Knabe weiß und versteht alles besser, und will ihn ein Lehrer mit Strenge behandeln, so ist es dann schon gar aus!

04] Was ihm noch aus seiner frühesten Jugend geblieben, ist eine unbegreifliche allerunbeugsamste Willenskraft, mit der er, so es ihm nötig dünkt, offenbarste Wunder leistet; aber eben vermöge solcher seiner Eigenschaft ist mit ihm, was das Lernen betrifft, nichts zu machen. Er ist sonst fromm, willig, gehorsam und sehr gesittet, artig, sanft und bescheiden wie seine Mutter; aber nur mit dem Lernen darf man ihm nicht kommen!"

05] seht, das hat mir der alte Joseph nicht einmal, sondern öfter geklagt, und es ist daher um so sicherer, dass er außer dem Zimmermannshandwerk in seinem Leben nichts anderes, weder Lesen und noch weniger Schreiben gelernt hat; und somit ist die Frage, woher ihm eine solche Weisheit kommt, sehr zu entschuldigen.« (s. »Die Jugend Jesu«)

06] Sagt Johannes, der Evangelist: »Freunde, ich weiß es wohl und bin darin vollkommen zu Hause; aber es ist nun noch lange nicht an der Zeit, euch solches kundzutun. Es wird aber die Zeit schon kommen, wo ihr es aus Seinem Munde vernehmen werdet! Vordem aber genügen euch Seine Taten und Seine Weisheit.« - Die Pharisäer und Schriftgelehrten drangen zwar in den Johannes, dass er ihnen davon nur einige Winke geben sollte, aber Johannes ließ sich dazu nicht bewegen. Es begaben sich aber nun mehrere Zollamtleute und die Aufseher, da sie ihr Mittagsmahl eingenommen hatten, zu ihrem Geschäfte, und es ward Platz am großen Tische.



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