Jakob Lorber: 'Die Haushaltung Gottes', Band 3


Kapitelinhalt 95. Kapitel: Henochs weise Lebenserfahrungen betreffs der Fleisches- und Weltliebe der Menschen. (12.08.1843)

01] Der Lamech aber, da er solch eine angenehme Beheißung vom Henoch vernommen hatte, richtete sich in seinem Gemüte auf und sprach:

02] »O geliebtester Bruder, ich möchte ja auch reden, solange meine Kehle und Zunge eines Wortes fähig wäre; aber die wunderbarste Erhabenheit und unbegreifliche Pracht dieses Ortes erlahmt einem armen Sünder, wie ich da einer bin, die gesamte Sprachfähigkeit, und es wird so das Reden ein saures Geschäft, so die Sprachwerkzeuge dienstunfähig sind! Daher möchte ich dich wohl bitten, daß du hier eine Rede halten möchtest, auf daß ich mich erbauete an derselben!

03] Über die Torheit der Menschen glaube ich genug gesagt zu haben; läßt sich aber auch etwas zu ihrem Lobe sagen, so öffne du darob den Mund, und tue solches kund, und mache dadurch gut mein Schmähen!

04] Ich aber habe geredet nach meiner Erfahrung, und es ist bestimmt also, wie ich mit meinen wenigen Worten die Sache bezeichnet habe; du, o Bruder, aber wirst sicher eine andere Erfahrung haben auf der Höhe, als ich sie haben kann in der sündigen Tiefe, und so wirst du auch sicher besser als ich über die Menschheit ein gerechtes Urteil zu fällen imstande sein, und so bitte ich dich, rede du nun an meiner Statt!«

05] Und der Henoch reichte dem Lamech die Hand und sagte: »Bruder, es ist wahr, was da unsere Erfahrungen betrifft, so hast du in deiner Tiefe sicher ganz andere als ich auf meiner Höhe gemacht; aber dessenungeachtet hast du wie für die Tiefe also auch für die Höhe im Allgemeinen richtig gesprochen, - denn auch hier gilt im Allgemeinen das Fleisch mehr als der Herr Selbst!

06] Ja, so du jemanden fragen wirst und sagen: 'Bruder - oder Schwester -, was wohl liebst und achtest du mehr: das Fleisch oder Gott, deinen Herrn, Schöpfer und Vater?', da wird er dir alsbald sagen: 'Was ist das für eine entsetzliche Frage?! Wer wohl wird je ein Fleisch mehr lieben denn Gott?! Nein solch ein Gedanke, solch eine Frage ist ja schon eine Sünde, vor der die Erde bis in ihr innerstes Mark erbebt!'

07] Habe aber acht auf seine Handlungen, auf sein Leben, so wird es sich gar bald heraustun, daß er mit der größten Freude von der Welt über gänzlich verächtlich wertlose, weltliche und fleischlich-liebliche Stoffe ganze Tage, Wochen, Monate und Jahre plaudern wird!

08] Fängst du mit ihm aber ganz ernstlich über Gott und über rein geistig-lebendige Dinge zu reden an, da wird er ein ganz verdutztes, trauriges und dazu noch überaus dummes Gesicht machen, und du wirst ihn nach einer stündigen Unterredung eine klafterlange, langweilige Miene dir zeigen sehen, die dir mit den klarsten Akzenten sagen wird:

09] »Freund, du bist ein entsetzlich anderem; denn dergleichen hohe Dinge verstehe ich nicht! Und weil ich sie eben nicht verstehe, so dienen sie mir nur zur Erweckung der Langeweile, der inneren Verdrießlichkeit und der bald darauf folgenden Schläfrigkeit! Rede von einer Katze, von einem Vogel, von einer schönen Tochter (oder von einem schönen jungen Manne), und ich will dir tagelang mit der gespanntesten Aufmerksamkeit zuhören; aber nur mit so hohen, göttlichen Dingen verschone mich, da ich sie nicht verstehe!«

10] Siehe, das wird dir so ein Gottesehrfürchtling freilich wohl nicht ins Angesicht sagen; aber seine Handlungen, sein Gesicht und seine Gebärden werden es dir ins Gesicht schreien heftiger, denn da brüllt ein hungernder Löwe!

11] Daher sollst du auch vorderhand den Unterschied zwischen deinen und meinen Erfahrungen nicht so groß machen und die Höhe so ziemlich der Tiefe gleichstellen und hier reden ohne Scheu, besonders wenn gar bald der Muthael zu uns kommen wird in einer gewissen Absicht.

12] Nun aber wollen wir diese Grotte durchschreiten und uns von da gegen Morgen ziehen; dort sollst du die herrliche Einrichtung Gottes sehen!

13] Aber wie gesagt: wenn dort der Muthael zu uns stoßen wird, da werde ich ihn zu dir bescheiden, und du wirst die rechten Worte finden, mit ihm zu reden! - Und so geschehe es im Namen des Herrn! Amen.«



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