Jakob Lorber: 'Die Haushaltung Gottes' (Band 1)


Kapitelinhalt 106. Kapitel: Das Verhältnis zwischen Kenan und Mahalaleel.

01] Es hatten aber die beiden Folgenden, Kenan und Mahalaleel, vernommen von der Unterredung Jareds und Henochs; und also fing auch Mahalaleel den Kenan zu fragen an, sagend:

02] »Hörend Großes, staunend über Wunderbares, also bin ich am Ohre und an dem Auge; aber woher das Große, woher das Wunderbare unter uns?

03] Höre, Vater Kenan, was ist es denn, darum mir so wundersam zumute wird? Dieser einförmige, wenig betretene Waldweg ist es gewiß nicht! Wäre es noch eine Adamsgrotte oder der weiße, dampfende Berg im Morgen, oder die sieben Wasserspritzer von Mittag gen Abend, oder sonst etwas Naturaußerordentliches; allein, von allem dem ist hier keine Spur.

04] Unsere verkehrte Ordnung ist es auch nicht; denn es ist doch einerlei, ob ich bei dir oder du bei mir gehst, ob der Henoch rückwärts oder vorne, ob mit Jared oder Adam, oder ob - nein, das scheint mir nicht alles eins zu sein! - ob Asmahael hinten oder vorne, und mit wem er geht!

05] Denn hier scheint eine gewisse väterliche Rangordnung zugrunde zu liegen. Daß Adam und die Mutter Eva hinter uns allen einherwandeln, begreife ich wohl; aber was der Asmahael mit dem Abedam ganz rückwärts noch hinter dem Adam bedeutet, sieh, Vater Kenan, das bringe ich nicht so ganz recht heraus!

06] Jared und Henoch vor uns haben Wunderbares über Asmahael miteinander gesprochen, soviel habe ich entnommen; was sie aber eigentlich miteinander geredet haben, habe ich fürs erste nicht vernommen in klarer Deutlichkeit, und was ich noch vernommen habe, konnte ich nicht begreifen! Aber so viel ist gewiß, daß ich Großes vernommen und geschaut in mir selbst Wunderbares nach den sparsam vernommenen Worten aus dem Munde unserer behenden Vorschreiter!

07] Ich bitte dich darum, mir, so es dir möglich ist, ein wenig aufzuhelfen in meiner Unkunde in dieser mir so ganz außerordentlich wunderbar scheinenden Sache; doch nur, so du es gerne willst, lieber Vater Kenan. Amen.«

08] Kenan aber erwiderte seinem Sohne Mahalaleel, sagend nämlich: »Höre, mein lieber Sohn, bei dem großartigen Beginne deiner Rede an mich habe ich geglaubt, weiß der Himmel, was da alles für lauter Unerhörtes herauskommen wird!

09] Aber ich sehe, daß du immer noch der alte Mahalaleel bist, der da allzeit anfangs den Mund öffnet, als wollte er Sonnen gleich Erbsen ausspeien; allein am Ende kommen nicht einmal Erbsen zum Vorscheine, sondern ein ganz gewöhnlicher Mundspeichel! Was soll's da mit der verkehrten Ordnung, so sie dir eins ist? Warum darob Worte? Wenn Asmahael nun vorne wäre, was würde Er denn nachher sein? Nicht wahr, dann möchte es dir vielleicht großartig vorkommen, dieweil Er nicht rückwärts ist?!

10] Nun begleitet Ihn Abedam; ist denn das mehr, denn daß du neben mir gehst?! Sagtest du doch selbst, dich hochschwingend, daß es dir einerlei sei, ob du neben mir oder ob ich neben dir einhergehe! Siehe, wie du etwas willst und weißt am Ende nicht, was es sei das du willst!

11] Was hat dir denn Adams Grotte getan und der weiße Berg und die sieben abendlichen Wasserspritzer, daß du dadurch nichtssagend deine Rede zieren mochtest?

12] Du sagst, es komme dir so wunderbar vor, nachdem du die beiden Vorschreiter ungehört und somit auch unverstanden miteinander hast - sage bloß nur reden sehen; was ist es denn, was dir so außerordentlich wundersam während der bloß nur angeschauten Rede der Vorschreiter vorkam?

13] Siehe, mein lieber Sohn, wenn du etwas möchtest, so berate dich zuerst genau, was es sei, das du möchtest, und nach deinem klaren Bedürfnisse erst frage dann danach, was du wissen möchtest!

14] Wenn dir aber am Asmahael nun vielleicht etwas auffällt, so frage ich dich: Hast du denn zur Zeit Seiner Wunderreden aus Gott deine Ohren jemand anderm geliehen, daß du nun dem Anscheine nach von der Hauptsache nichts zu wissen scheinst und mir nun dafür lauter Nichtssagendes von ihm als Stoff deiner Hauptverwunderung anführst?

15] O Sohn, du bist weit vom Ziele! Daher berate dich zuerst mit der Hauptsache, und werde mit dir eins, dann komme und öffne vor mir dein Herz durch deinen Mund! Amen.«

16] Mahalaleel aber merkte recht genau, daß der Rede Kenans der Kern mangelte, und daß diese gewisse Strafrede nichts als eine väterlich kluge Ausrede war, und sagte ganz ehrerbietig dawider zum Kenan:

17] »Höre, lieber Vater! Mir scheint! es, daß wir uns in unserer Rede aneinander um nichts überboten haben! Wer von uns beiden aber nun mehr ins Blaue gestochen hat, ist eine bedeutungsvolle Frage!

18] Siehe, ich habe kein Wort aus dem Munde Asmahaels verloren, mochte es dir aber darum nicht erwähnen, da ich es doch voraussetzte, daß solches eine unnütze Zeitzersplirterung wäre, und du solches bei mir als dem Vater Jareds und Henochs sicher doch auch ungezweifelt voraussetzen wirst!

19] Du sagtest nun, ich hätte meine Kinder bloß reden sehen; siehe, da hast du vor mir nur etwas verbergen wollen, was du selbst so gut wie ich mit beiden unausgelichenen Ohren Wort für Wort vernommen hast! Wie möchte ich dir sagen, solche Reden machten in mir Wunderbares erschauen, wenn es nicht also wäre, - ansonst ich ja vor dir und Gott als ein schändlicher Lügner dastehen müßte?!

20] Aber siehe, deine Rede sagte mir doch etwas, was du mir sicher nicht zu sagen gedachtest, und dieses ist, daß du vor mir eine gebundene Zunge hast und mir vorderhand nicht sagen darfst, was ich wissen möchte! Darum war es auch unnötig, daß du mir eine so lange Verneinung sagtest, die kernloser ist denn meine Frage; hättest du mir kurz gezeigt das göttliche Band deiner Zunge, so hättest du dir ja bei weitem nicht so viele Mühe gemacht denn durch so viele vergebliche Worte. Siehe, ich war dir ja stets ein überaus gehorsamer Sohn; warum hast du mich denn jetzt verkannt?

21] Lieber Vater, behalte es sorglos, was du behalten mußt bis zur Zeit der Löse; aber nur halte mich für keinen Lügner und somit überblinden Forscher nach göttlichen Dingen! Denn nur meinen Leib hast du gezeugt; mein Geist aber ist dem deinen gleich aus Gott. Daher glaube ich, auch ein Vater sollte sich an dem Göttlichen seiner Kinder nicht vergreifen. Denn es ist ja schon genug, daß der Geist ohnehin durch die Last des Leibes gezüchtigt ist und an dessen Gebrechen teilnehmen muß; so aber der Vater den Leib seiner Kinder züchtigt, so hat der Geist das Seine aus der Hand des Zeugers schon empfangen. Mehr bedarf es nicht. Wenn aber dann der göttliche Geist des Kindes sich da wendet an den göttlichen Geist des Zeugers, dann sollen sich die zwei göttlichen Brüder nicht mehr züchtigen, sondern sich nur in aller Liebe als Brüder in Gott wiedererkennen und einander, sich freundlichst unterstützend, Hand in Hand und Herz an Herz führen hin zur Pforte, durch welche das ewige Leben aller Gnade, Erbarmung und Liebe ewig unversiegbar strömt.

22] O lieber Vater, glaube ja nicht, als habe ich dir jetzt dadurch eine dir noch unbekannte Lehre beibringen wollen! O nein, sondern ich mußte mich nur insoweit rechtfertigen vor dir, auf daß wir nun wieder beide uns gegenüber und vor Gott gerecht fürder wandeln möchten; und also tat ich es mehr deinetwegen denn meinetwegen.

23] Ich kenne dein Herz. Es ist rein wie die Sonne vor mir; aber deinen Mund und deine Zunge sah ich jetzt bestaubt und konnte unmöglich umhin, es zu unterlassen, als ein wahrer Sohn in aller Liebe dir einen Dienst zu erweisen und zu reinigen deinen Mund und deine Zunge von einem verderblichen Staube.

24] Denn siehe, so dachte ich bei mir: ,Vater, deine Zunge schmückt ein erhabenes Band aus der großen, ewigen Hand der Liebe Gottes! Was soll der Staub dabei? Weg damit, was des Todes ist!'

25] Nicht wahr, Vater, jetzt wirst du deinem Sohne nicht gram sein und seine Rede nicht ansehen, als wäre sie eine Halblüge, sondern du wirst erkennen, daß der Mahalaleel dir nicht törichterweise wird ein Band lösen wollen, höre, mit dem Gott deine Zunge geschmückt hat.

26] Daher wirst du mir nicht zürnen, sondern mein lieber Vater sein in Gott fürder! Amen.«

27] Kenan aber ward durch diese Rede zu Tränen gerührt und sagte endlich zum Sohne: »Mahalaleel, mein geliebter Sohn, ich habe dir unrecht getan, da ich dir deine erste Rede verstreute und äußerlich gar zunichte machen wollte, während ich innerlich nur zu sehr von ihrer wahren Tiefe überzeugt war!

28] Du aber hast ein rechtes Licht, das größer ist denn das meinige. Was ich vor dir verbergen soll, wirst du noch eher finden, als ich es selbst ganz erfassen werde; daher sei mein lieber Sohn und mein geliebtester Bruder ewig, amen, hör' als Bruder in Gott ewig! Amen.«


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