Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 9


Kapitelinhalt 120. Kapitel: Ansichten der Templer über die drei Erzengel.

01] Kisjona aber fragte den Diener, was die gestern spät angekommenen Templer machten.

02] Und der Diener antwortete: »Sie warten schon im Saale auf dich und auf den Herrn und Meister, um dessen Aufenthalt sie sich bei dir näher erkundigen wollen und also auch bei dem Herrn und Meister Selbst, den sie nicht kennen; sie haben sich auch schon bei uns erkundigt, bekamen aber keine Antwort, und sie fragten uns dann um nichts Weiteres mehr.«

03] Kisjona belobte darob den Diener, und wir begaben uns zum Morgenmahle und mit uns auch die drei Geister.

04] Als wir in den Saal kamen, da gingen uns sogleich die Templer entgegen, grüßten Mich und den Kisjona und wollten sich alsogleich nach des Nazaräers Aufenthalt zu erkundigen anfangen.

05] Kisjona aber sagte: »Nun ist die Zeit des Morgenmahles; nach demselben wollen wir davon reden! So ihr aber nicht zu blind und zu taub seid, so werdet ihr wohl aus unseren Reden entnehmen können, wo sich irgend der große Herr und Meister befindet!«

06] Mit dem stellten sich die Templer zufrieden, und wir setzten uns in guter Ordnung an den Tisch, und nun also, daß Gabriel-Jared an der Seite Marias, Michael-Johannes in der Mitte seiner Jünger und Raphael-Henoch in der Mitte der vier Indojuden zu sitzen kamen. Wir fingen an zu speisen und auch zu trinken, und es fiel wieder den Fremden sehr auf, daß die drei Geister um das Zehnfache so viel Verzehrten, als ein anderer Gast am Tische; am meisten aber fiel das den Templern auf, die uns aufmerksamst von ihrem Tische aus beobachteten, daß die drei scheinbaren Jünglinge gar so viel von den Fischen zu verzehren vermochten.

07] Einer von ihnen konnte nicht umhin, an unseren Tisch zu kommen und den Kisjona zu fragen, was denn das für Jünglinge wären, die gar so vieles mit ersichtlicher Hast verzehren können.

08] Sagte Kisjona: »Geht hin, und fragt sie selbst! Mir aber macht ihre große Eßlust nur eine besondere Freude; denn sie dient mir zum Beweis, daß die Fische wohl zubereitet sind, und daß auch mein Wein rein und gut ist, wie auch mein Hausbrot. Fragt, wie gesagt, um ein Weiteres nur die lieben Jünglinge selbst!«

09] Da ging der Schriftgelehrte zu Raphael und fragte, was er für ein Landeskind sei, und ob in seinem Geburtslande alle Menschen auch so starke Esser seien.

10] Sagte Raphael: »Unser Essen fällt euch wohl auf, - warum ist euch denn unsere Ankunft nicht aufgefallen?«

11] Sagte der Schriftgelehrte: »Wie hätte uns diese auffallen sollen? Denn ihr seid doch ebenso wie die andern in den Saal hereingekommen?«

12] Sagte Raphael: »Ihr waret, als wir angekommen sind, auf dem Söller und hattet eure Augen nach dem Meere gerichtet, als ein hellster Blitz aus den Himmeln zur Erde niederfuhr unter die Menschen, die am Ufer standen, und ihr dachtet: "Oh, das müssen große Sünder vor Gott rein, daß Gott sogar einen Blitz aus dem reinsten Himmel zur ungewöhnlichen Jahreszeit unter sie fahren läßt!" Seht, mit dem ersten Blitz, der euch gar in ein gewaltiges Erstaunen und Bedenken gestellt hatte, kam jener Jüngling an, der nun dort gar liebfreundlich an der Seite eines würdigen Weibes sitzt. Bald fuhr ein zweiter Blitz aus dem Himmel auch unter die Schar jener von euch vermeinten großen Sünder, hatte abermals niemanden beschädigt, und ihr sagtet: "Gott ermahnt die Sünder!" Und seht, mit dem zweiten Blitz kam jener Jüngling an, der nun dort unter den sieben Männern sitzt, die vor noch gar nicht langer Zeit seine Jünger waren. Und mit dem dritten Blitz bin ich angekommen.

13] Unsere Natur ist sonach pur Feuer aus den Himmeln; das Feuer aber verzehrt mehr denn ein Mensch, - und so kann es euch nicht gar zu sehr wundernehmen, daß wir drei Gäste aus den Himmeln mehr verzehren können als ein schwacher Mensch dieser Welt.«

14] Als der Schriftgelehrte solches aus dem Munde Raphaels vernommen hatte, da wußte er nicht, was er darauf hätte erwidern sollen, - denn er meinte, daß der Junge ihn zum besten halten wolle; denn er konnte das nicht glauben, was ihm Raphael angegeben hatte. Er besah sich aber die drei darauf genauer, ging wieder zu den Seinigen und erzählte ihnen, was er von einem der drei Jünglinge vernommen hatte.

15] Einer von ihnen aber sagte: »Wir wollen abwarten, bis die Kisjona freundliche Gesellschaft das Morgenmahl wird beendet haben; dann wollen wir sie ernstlich um den Aufenthalt des berühmten Nazaräers befragen. Wollen sie uns das kundgeben, so werden wir unverweilt dorthin ziehen, wo er zu treffen sein wird, und werden dann diesen Halbrömern, denen wir zu einem Dorn im Auge geworden sind, den Rücken zuwenden!«

16] Ein anderer aber sagte: »Ihr seid zwar schriftgelehrter denn unsereiner, - aber ich glaube durch meinen Scharfblick mehr entdeckt zu haben denn ihr, Mir kommt es nun so vor, als befände sich der berühmte Nazaräer unter dieser Gesellschaft!

17] Und einer der drei Jungen hat eine große Ähnlichkeit mit dem Prediger in der Wüste, der ungefähr vor zwei Jahren im Gefängnis des Herodes soll enthauptet worden sein, was wir freilich wohl nicht gar so genau weder der Zeit noch der Tat nach wissen können, weil wir uns damals in Damaskus befanden; aber bevor wir nach der benannten Stadt gekommen sind, habe ich ihn in der kleinen Wüste am Jordan gesehen, wo er lehrte und die zu ihm Bekehrten mit dem Wasser des Flusses taufte und den von ihm Getauften einen neuen Namen gab.

18] Er sah damals freilich wohl älter aus und war sehr mager; aber er kann auch nicht enthauptet worden sein - wie man sich die Sache also erzählt -, und Herodes habe, um den Willen der Herodias zu erfüllen, - etwa einen jenem Täufer ähnlichen Sklaven enthaupten lassen und habe ihn mit der Weisung freigelassen, sich in einer fremden Kleidung zu den Heiden zu begeben samt seinen Jüngern. Dort wird er sein strenges Leben abgelegt haben, hat sich besser genährt und sieht nun hier ganz jugendlich aus.

19] Ist er aber da, so wird der Nazaräer auch nicht ferne von ihm sein; denn er predigte ja in einem fort von der vollen Ankunft des Messias. Bei seiner wahrhaft heidnischen Eßlust aber kann er nun schon um einige Jahre jünger aussehen, als er in der Wüste ausgesehen hat, wo er etwa nichts anderes als Heuschrecken mit wildem Honig aß!«

20] Sagte der Schriftgelehrte zum Redner: »Deine Bemerkung ist wahrlich sehr beachtenswert; aber was sagst du denn von den drei Blitzen, die wir alle vom Söller aus gerade in diese Gesellschaft vom Himmel herab haben fahren sehen, die sich damals am Ufer befand und nun um gerade drei Jünglinge zahlreicher sich beim Morgenmahle gütlich tut? Wir haben aber niemanden zur Gesellschaft hinzukommen sehen - außer zuletzt einen einzigen Hausdiener, der die Gesellschaft zum Morgenmahle rief; auch gestern abend haben wir keinen von diesen drei Jungen gesehen. Woher kamen sie zu der Gesellschaft?«

21] Sagte der Redner: »Sie können ja schon am frühen Morgen zu ihnen gekommen sein!«

22] Sagte der Schriftgelehrte: »Wenn das der Fall wäre, so hätten uns unsere wachhabenden Diener das sicher angezeigt, weil nach unserer Weisung sie schärfst darauf zu achten hatten, wer da ankommt, und von welcher Seite, und wer aus dem Hause geht, mit wem, und wohin er sich wendet. Es haben aber unsere Diener uns nichts zu sagen gewußt, daß da jemand am frühen Morgen angekommen wäre. Und so sahen sie auch namentlich von den drei Jungen heute frühmorgens keinen aus dem Hause treten und mit der Gesellschaft ans Meeresufer hinausziehen; wohl sahen sie das Weib mit einem Manne beinahe eine Stunde später und, wie schon bemerkt, zuletzt den Hausdiener zu der Gesellschaft hinausziehen. Und es ist somit die sehr bedenkliche Frage, woher diese drei Jünglinge gekommen sind!«

23] Sagte der Redner, der die drei Jünglinge vernatürlichen wollte: »Ist es denn nicht möglich, daß diese drei Jungen etwa schon am Ufer die Nacht über verweilten und am Morgen erst von der Gesellschaft alldort angetroffen und aufgenommen worden sind?«

24] Sagte darauf abermals der Schriftgelehrte: »Da würden auch unsere Diener etwas bemerkt und uns davon Anzeige gemacht haben; denn drei unserer Diener haben auch das Ufer eures guten Wissens bis dahin bewacht, als diese Gesellschaft sich am frühen Morgen aus dem Hause ans Ufer zu begeben anfing, wo unsere Diener ihr noch begegneten, was wir vom Söller aus mit eigenen Augen sahen. Und so können wir nun denken und reden, was wir wollen, so sind die drei viel verzehren könnenden Jünglinge in jedem Fall eine außerordentliche und geradewegs wunderbare Erscheinung! Denn ich bin sicher auch kein leichtfertig wundergläubiger Mensch; aber die drei nun in jener uns auch etwas rätselhaften Gesellschaft anwesenden Jungen scheinen mir offenbar ein Wunder zu sein. Wer und was nun hinter ihnen steckt, das ist freilich eine ganz andere Frage. Nach dem Mahle werden wir wohl darauf kommen!«

25] Auf diese Rede des Schriftgelehrten waren auch die andern mit ihm einverstanden und warteten mit großer Sehnsucht auf das Ende unseres Morgenmahles, das denn auch bald erfolgte.



Home  |    Index Band 9  |   Werke Lorbers