Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7


Kapitelinhalt 137. Kapitel: Die neugierigen Bürger von Emmaus.

01] Als die beiden Römer zu uns kamen und des ihnen wohlbekannten Agrikola ansichtig wurden, da wußten sie sich vor lauter Freude kaum zu helfen. Denn sie hatten all ihr irdisches Glück rein dem Agrikola zu verdanken und waren auch darum ins Judenland gekommen, um allda den wahren Gott und Seinen Willen näher kennenzulernen. Sie erzählten ihm natürlich gleich eine Menge Dinge, die sie bereits schon erfahren hatten; aber Agrikola sagte ihnen, daß das alles soviel wie gar nichts sei gegen das, was sie noch heute hören, sehen und erfahren würden. Das machte die beiden Römer natürlich höchst stutzig, und sie fragten ihn nun, ob er denn wohl wisse, daß eben heute die etlichen Oberägypter hierher kommen würden.

02] Agrikola aber sagte weiter nichts als: »Meine schon alten Freunde was euch heute gesagt wird, das glaubt ehern fest; denn da wird alles genauest in Erfüllung gehen, und ihr werdet euch davon nur zu bald überzeugen, wenn nun bald die sonderbaren Oberägypter hier eintreffen werden!«

03] Sagten die beiden Römer: »Nein, wir hätten uns heute wohl alles eher einbilden und vorstellen können, als daß uns eben heute so etwas höchst überraschend Merkwürdiges begegnen werde!«

04] Es ward hier auf dem freien Platze noch so manches gesprochen; aber es kam nun auch die Zeit, in der die Nachkommenden, eine Partie um die andere, einzutreffen begannen, und es begann auf dem freien Platze sehr lebhaft zu werden. Endlich kam auch unser Lazarus mit Raphael und mit den vielen Sklavenjungen an, deren Anmut und Schönheit die beiden Römer nicht genug bewundern konnten; den Raphael hielten sie gar für einen Gott.

05] Aber Agrikola und nun auch die andern schon anwesenden Römer sagten: »Es hat das wohl den Anschein, - aber die Sache verhält sich ganz anders! Fragt aber nun um gar nichts; denn ihr werdet über alles noch zur rechten Zeit aufgeklärt werden!«

06] Die beiden Römer gaben sich in das, fragten aber dennoch, ob es nicht füglicher wäre, sich nun in irgendeine Herberge zurückzuziehen; denn so viele Menschen im Freien zu ungewöhnlicher Zeit mache zu viel Aufsehen in einem kleinen Ort. Es wäre daher rätlicher, sich in eine große Herberge zu begeben.

07] Dieser Vorschlag war gut, und wir begaben uns in die große Herberge des Nikodemus.

08] Es bemerkten aber dennoch mehrere Bürger, daß wir uns in die große Herberge begeben hatten, und sie kamen deshalb auch so einer nach dem andern dahin, um zu sehen, was es da gäbe.

09] Aber unser Nikodemus sagte zu ihnen: »Freunde, heute ist da nichts für euch; denn ihr seht, daß die höchstgestellten Römer allda eine große und wichtige Beratung halten wollen, bei der wohl ich und noch etliche der ersten Juden dabei sein dürfen! Und so zieht euch nur gleich alle bescheiden zurück, sonst könntet ihr Anstände bekommen, und das um so eher, weil die Römer eines ihnen bekannten Umstandes wegen - soviel ich vernommen habe - euch durchaus nicht gewogen sind! Und so zieht euch nur eiligst zurück, und lasst euch ja den ganzen Tag nirgends sehen!«

10] Auf diese Mahnrede des Nikodemus zogen die Neugierigen so behende wie möglich ab, und wir waren vom Zudrange der Neugierigen für den ganzen Tag frei; denn sowie die Emmauser von den hohen Römern etwas hörten, da zogen sie sich sicher derart zurück, daß sie sogar auf den ganzen Tag nach auswärts verreisten und erst spät in der Nacht wieder heimkehrten.

11] Als Nikodemus also die neugierigen Bürger von Emmaus verscheucht hatte, kam er zurück und sagte: »Nun können wir uns hier schon freier bewegen; denn diese Neugierigen sind nun schon für den ganzen Tag entfernt, und es wird sich keiner auch nicht einmal von ferne her blicken lassen. Ob ich aber ganz recht getan habe, sie mehr durch eine kluge List als durch die reine Wahrheit für den ganzen Tag entfernt zu haben, nun, das ist freilich eine ganz andere Frage! Aber ich bin da bei mir der Meinung: Wenn man durch ein eben durchaus nicht ganz schlechtes Mittel einen guten Zweck erreichen kann, so soll man es ohne alles Bedenken nur gleich anwenden; denn wie oft müssen vernünftige und weise Eltern ihre eigenen Kinder durch allerlei Listen und Finten leiten, wenn sie aus ihnen wahre Menschen bilden wollen! Mit der ganz reinen und nackten Wahrheit würde man bei den Kindern schlecht fahren!«

12] Sagte Ich: »Dein Mittel war da aber ja ohnehin ganz gut und auch wahr, und du hast dadurch auch einen für den heutigen Tag ganz guten Zweck erreicht! Wer zum vollen Lebenslichte der Wahrheit gelangen will, muß zuvor das Feld der Lüge und der Täuschungen durchwandern; ohne dieses kommt niemand zur vollen Wahrheit.

13] Siehe, die ganze Welt, ja sogar der Leib des Menschen und alles Körperliche ist für Seele und Geist eine Täuschung und somit auch eine Lüge; aber ohne sie könnte keine Seele zur vollen Wahrheit des Lebens gelangen! Aber im tieferen Grunde ist auch die Körperwelt wiederum keine Täuschung und keine Lüge, sondern ebenfalls volle Wahrheit; aber sie liegt nicht offen, sondern ist innen verborgen und kann durch Entsprechungen gefunden werden.

14] So war denn auch deine vermeinte List im Grunde keine Lüge, sondern Wahrheit; denn es handelt sich hier ja hauptsächlich um die Gewinnung der Heiden und nicht um die Gewinnung der Juden, die ohnehin schon von Moses aus das rechte Licht haben. So sie es nicht benützen wollen, so sind nur sie selbst schuld, wenn sie in ihrer eigenwilligen Nacht verderben. Und sieh, demnach hast du recht gesprochen, wenn du den Bürgern sagtest, daß es sich hier um eine Rathaltung der Römer handle, und hast somit deine Sache ganz gut ausgerichtet. Aber soeben sind auch die Tiefoberägypter, sieben an der Zahl, hier im Orte angekommen; sage das den Römern, daß sie sich auf ihren Empfang vorbereiten sollen!«

15] Nikodemus ging nun sogleich zu den Römern, die sich an einem Tische gelagert hatten, und sagte ihnen das. Die beiden Römer aber erhoben sich eiligst und fragten den Nikodemus, wer ihm das angezeigt habe.

16] Und Nikodemus sagte: »Der, der um das und noch um endlos vieles anderes weiß, und den auch ihr noch heute werdet näher kennenlernen! Aber nun fragt um nichts Weiteres, sondern geht hinaus und empfanget die Kommenden!«



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