Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7


Kapitelinhalt 38. Kapitel: Über menschliche Kritik. Jesu Rat, sich aller Zweifel zu entäußern. Der innere Kontakt mit Jesus.

01] Sagte die Helias: »O Herr und Meister in Deinem Geiste von Ewigkeit! Was soll ich arme Magd noch mehr reden? Denn mit Dir über göttliche Dinge reden kommt mir nun geradeso vor, als so ein recht allereinfältigster Narr sich vornähme, das ganze, unmeßbar große Meer mit einem Eßlöffel in einen Wassereimer auszuschöpfen. Alles, was Du, o Herr, sagst, ist Wahrheit; wir Menschen alle zusammen aber wissen ganz und gar nichts. Diese meine Bemängelung des letzten Gebotes kam mir doch so grundrichtig vor wie nur etwas unumstößlich Wahres in der ganzen lieben Welt, und was ist eben diese meine Gesetzesbemängelung jetzt? Nicht nur gar nichts, sondern ein ausgesprochenes Etwas, über das man sich gleich eine ganze Ewigkeit lang schämen könnte, daß man es eben dümmsterweise ausgesprochen und dadurch auch so erst ganz ordentlichst seine eigene Dummheit zur offensten Schau getragen hat. Herr und Meister, wahrlich wahr, ich bin nun mit mir selbst im höchsten Grade unzufrieden, und es reut mich tiefst, daß ich je nur zu wagen mich getraut habe, mich mit Dir in einen Wortwechsel einzulassen! Was werden nun alle die hier versammelten weisen Männer von einer solchen naseweisen und eingebildeten Dirne denken? O Herr und Meister, ich fange nun an, mich ganz entsetzlich zu schämen!«

02] Sagte Ich: »Nun, warum denn so ganz eigentlich? Ich habe dich ja doch Selbst dazu aufgefordert, und du selbst hast es allzeit ausgesprochen: Wer das tut, was Ich will, der sündigt nicht! Du hast aber eben das getan, was Ich gewollt habe, und somit hast du denn auch nicht gesündigt; und hast du nicht gesündigt, so hast du dich wegen irgendeiner Sünde vor Mir auch nicht zu schämen. Denn was du geredet hast, das war nicht nur deiner selbst wegen von großer Wichtigkeit, sondern auch der gar vielen andern wegen; denn sie alle trugen ganz dieselben Zweifel in ihren Eingeweiden und sind dadurch nun von Grund aus geheilt. Und siehe, das war mehr oder minder auch ein Werk deiner wahrlich sehr gewandten Zunge, und siehe, das war etwas ganz Gutes und gar nichts Schlechtes, und so darfst du dich dessen gar nicht schämen, was du geredet hast. Du hast für dein geringes Alter einen ganz geläuterten Verstand, und der ist das anfängliche Licht des Herzens; und wer ein rechtes Licht des Herzens hat, der kann auch bald und leicht das rechte Licht des Lebens finden. - Verstehest du, was Ich dir damit gesagt und gezeigt habe?«

03] Sagte die Helias: »O Herr und Meister, das verstehe ich wohl; aber dessenungeachtet habe ich dennoch in mir das vollste Bewußtsein, daß ich das vollkommenste Nichts im Nichts bin und Du das vollendetste Alles in Allem bist! Aber von nun an bitte ich Dich, o Herr, mich nicht mehr zum Reden aufzufordern; denn ich bin sehr blind!«

04] Sagte Ich: »Du solltest wohl noch reden, weil du auch die Propheten verdächtigt hast; doch weil du nun einsiehst und begreifst, daß das Gesetz Mosis ein rein göttliches ist und keine Mängel und Lücken in sich faßt, als wäre es ein menschliches, so kannst du dir nun das weitere Reden ersparen. Doch so dich irgend etwas noch mit einem Zweifel erfüllt, so kannst du fragen, und es wird dir Licht gegeben werden.

05] Doch hier um Mich sitzen Meine alten Jünger, und jener scheinbare Jüngling ist Mein Diener, wie Ich deren noch gar viele habe; auch ihn kannst du fragen, und er wird dir, gleich wie Ich Selbst und gleich wie diese Meine Jünger, über alles den rechten Aufschluß geben. Ich Selbst aber werde nun zu Meinen Jungen gehen, die dort auf der entgegengesetzten Seite dieser Herberge sich in einem Gemache befinden, und werde sie in die Freie führen. Begleiten aber darf Mich nun nur Lazarus, der Römer Agrikola und der Sklavenhändler Hibram.

06] Nun weißt du, Meine Helias, schon, was du zu tun hast, wenn du noch ein weiteres Licht haben willst; denn Ich muß nun etwas anderes tun, da die Sonne nur noch etwas über eine halbe Stunde am Himmel verweilen wird. Sodann kommen nach dem Untergange die vielen fremden Gäste, die draußen unter den Zelten ihr Abendmahl zu sich nehmen werden, und da ist für Mich keine Zeit, draußen unter den Weltmenschen umherzuwandeln, sondern (Ich will dann) wieder hier in eurer Mitte sein. Aber wenn dann die Fremden nach dem Abendmahle wieder in ihre Wohnhütten abziehen werden, dann werden wir gemeinschaftlich uns ins Freie begeben, und ihr alle sollt da viel Wunderbares erleben. Und so verharret nun hier und erbaut euch geistig, bis Ich wieder zu euch zurückkehren werde!«

07] Sagte nun die Helias mit einer etwas trüben Stimme: »O Herr und Meister, warum darf denn ich nun nicht mit hinaus ins Freie? Und ich möchte doch gar so sehnlichst gerne immer in Deiner nächsten Nähe sein!«

08] Sagte Ich: »Das ist wahrlich gar sehr löblich von dir; aber du kannst auch ohne Meine Persönlichkeit stets in Meiner nächsten Nähe sein, wenn du Mir nur im Herzen nahe bist! Siehe, in Genezareth befindet sich auch ein gar liebliches Mägdlein, dessen Namen Jarah ist; die hat Meine Person schon beinahe ein ganzes Jahr nicht mehr gesehen, und dennoch ist sie Mir in ihrem Herzen noch um ein bedeutendes näher als du nun! Ich kann Mich in jedem Augenblick mit ihr besprechen, und sie vernimmt jedes Meiner Worte genaust in ihrem Herzen und richtet sich strenge danach. Tue du desgleichen, so wirst auch du gleich jener Jarah dich stets in Meiner nächsten Nähe befinden, und das auch dann, wenn Ich nicht mehr in diesem Leib und Fleisch auf dieser Erde umherwandeln werde! Verstehe solches und richte dein Leben danach ein, so wirst du das ewige Leben haben in dir!«



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