Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7


20. Kapitel: Die Disharmonie der sieben Geister (Ureigenschaften) im Menschen.

01] (Raphael:) »Also sollte es auch im Menschen sein; aber es ist leider (nicht so). Wohl (ist) diese Fähigkeit jedem Menschen gegeben, (jedoch) ohne je völlig ausgebildet und durchgeübt zu werden. Nur wenige Menschen gibt es, die alle die sieben Geister in sich zur vollen und gleichen Tätigkeit bringen und dadurch wahrhaft Gott und uns Engeln Gottes gleich werden; aber, wie gesagt, gar viele sind davon abgewandt und kümmern sich wenig darum und erkennen sonach das wahre Geheimnis des Lebens in sich ganz und gar nicht. Solche blinden und halbtoten Menschen können dann den ihnen zugrunde liegenden Zweck des Lebens nicht erkennen, weil sie sich nur von einem oder dem andern der sieben Geister leiten und beherrschen lassen.

02] So lebt der eine pur aus dem Geiste der Liebe und achtet der anderen Geister gar nicht. Was ist dann ein solcher Mensch anders als ein freßgieriges und nie genug habendes Raubtier? Solche Menschen sind stets voll Eigenliebe, voll Neid und voll Geiz und sind gegen alle ihre Nebenmenschen hartherzig.

03] Andere wieder haben eine erleuchtete Liebe und sind somit auch recht weise und können ihren Nebenmenschen ganz gute Lehren gehen; aber ihr Wille ist schwach, und sie können darum nichts völlig ins Werk setzen.

04] Wieder andere gibt es, bei denen die Geister der Liebe, des Lichtes und des Willens ganz tätig sind; doch mit dem Geiste der Ordnung und des rechten Ernstes sieht es ganz schwach aus. Diese Art Menschen werden auch recht klug und manchmal sogar recht weise reden und auch hie und da etwas Vereinzeltes ins Werk setzen; aber der recht und ganz aus allen sieben Geistern weise Mensch wird nur zu bald aus ihren Worten, Reden und Werken ersehen, daß darin keine Ordnung und kein Zusammenhang waltet.

05] Und wieder gibt es Menschen, die Liebe, Licht, Willen und Ordnung besitzen; aber es fehlt ihnen der Geist des Ernstes. Sie sind darum ängstlich und furchtsam und können ihren Werken selten eine ganz volle Wirkung verschaffen.

06] Wieder andere sind dabei auch voll Ernst und Mut; aber mit der Geduld sieht es schwach aus. Solche Menschen überstürzen sich gewöhnlich und verderben mit ihrem geduldlosen Eifer oft mehr, als sie irgend gut machen. Ja, Freund, ohne eine gerechte Geduld gibt es nichts; denn wer keine gerechte Geduld hat, der spricht sich selbst ein gewisses Todesurteil! Denn der Mensch muß warten, bis die Traube vollends reif wird, wenn er eine gute Ernte machen will. Ist er damit widerwillig, nun, so muß er es sich denn am Ende doch selbst zuschreiben, so er statt einen edelsten Wein nur einen untrinkbaren Säuerling geerntet hat.

07] Die Geduld ist also in allem und jedem ein notwendiger Geist: erstens für Beherrschung und zur Zurechtbringung des oft ins Unendliche gehen wollenden Geistes, den ich Ernst nannte - weil dieser Geist in Verbindung mit der Liebe, Weisheit und dem Willen in den größten Hochmut ausartet, der bekanntlich beim Menschen dann keine Grenze findet, - und zweitens, weil die Geduld zunächst, wie ich dir schon gezeigt habe, die Mutter des Geistes der Barmherzigkeit ist, welcher Geist als rückdurchwirkend erst allen vorhergehenden Geistern die göttlich-geistige Vollendung verleiht und der Menschenseele zur vollen und wahren Wiedergeburt im Geiste verhilft.

08] Darum hat der Herr Selbst nun euch allen die Liebe zu Gott und zum Nächsten vor allem ans Herz gelegt und dazu gesagt: "Seid barmherzig, wie auch euer Vater im Himmel barmherzig ist, und seid sanftmütig und demütig, so wie auch Ich von ganzem Herzen sanftmütig und demütig bin!"

09] Der Herr gebot euch Menschen sonach, den siebenten Geist vor allem darum auszubilden, weil eben in diesem letzten Geiste alle vorhergehenden enthalten sind und durchgebildet werden. Wer demnach diesen letzten Geist mit allem Eifer bildet und stärkt, der bildet und stärkt auch die vorangehenden Geister und wird dadurch am ehesten und sichersten vollendet. Wer aber seine Bildung mit einem oder auch mehreren der früheren Geister beginnt, der gelangt schwer oder oft auch gar nicht zur ganzen und vollen Lebensvollendung, weil diese ersteren Geister als pur für sich den siebenten Geist nicht in sich enthalten, er aber für sich alle die ihm notwendig vorangehenden.

10] Und siehe nun, darin besteht dann auch fortwährend insolange der Fall der Engel oder der Gedanken und Ideen aus Gott - die wir auch als die von Gott beständig ausgehenden Kräfte benamsen können -, als wie lange sie in ihrer Gesamtheit im Wesen des Menschen nicht den siebenten Geist in sich zur wahren und höchsten Vollendung gebracht haben. Denn alle die früheren Geister sind beinahe allen Geschöpfen teilweise mehr oder weniger frei gegeben; aber der siebente Geist muß erst von dem Menschen durch seinen höchsteigenen Fleiß und Eifer gewonnen werden.

11] Und wie durch solche Gewinnung alle die früheren sechs Geister erst ihre wahre Bedeutung und den wahren Lebenszweck erreichen, so erreicht denn auch der ganze Mensch durch ihn erst die vollste Lebensfreiheit und Selbständigkeit. - Und nun frage ich dich aber, ob du das alles auch wohl verstanden hast?«

12] Sagte Lazarus: »Ja, du von Gottes Geist erfüllter Diener des Herrn, ich kann dir für solche deine große Geduld und Gnade wahrlich ewig nie genug danken! Nun verstehe ich erst der alten Bücher Weisheit! Nur ist es ewig schade, daß ich das nun ganz allein verstehe, der ich ein zu schlechter Schreiber bin, um mir solche Lehren in ein Buch aufzuzeichnen. Das solltest du wohl auch den andern Jüngern des Herrn kundgeben, auf daß sie es, weil einige unter ihnen des Schreibens wohl kundig sind, für alle Zeiten und Völker aufzeichneten; denn sie werden davon noch nichts wissen.«

13] Sagte Raphael: »Sorge du dich nur darum nicht; denn in eben der Stunde, als ich dir alles das von den Wundern, von den Kriegen Jehovas und von den sieben Geistern Gottes erklärte, hat im Saale der Herr Selbst ganz auf ein Haar das gleiche und dasselbe allen ebenso verständlich erklärt, wie ich selbst dir nun solches erklärt habe, und Johannes und Matthäus haben sich davon die Hauptpunkte auch notiert! So du aber ein leeres und unbeschriebenes Buch hast, so will ich dir das denn auch selbst im Momente von Wort zu Wort aufzeichnen.«

14] Sagte Lazarus: »Ein solches Buch besitze ich nun wohl; soll ich es dir hierherbringen?«

15] Sagte Raphael: »Hat keine Not! Gehen wir aber nun auch ins Haus, und da wirst du dein Buch schon vollgeschrieben finden!«

16] Darob hatte Lazarus eine gar große Freude, und beide kamen bald zu uns in den großen Speisesaal.



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