Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 6, Kapitel 211


Wette zwischen Römer Agrikola und einem Pharisäer.

01] Sagte einer von denen, die da gläubiger waren: ”Ihr habt auch darin nicht ganz unrecht; aber es gibt bei uns Juden denn doch auch Menschen, die etwas gelernt haben und somit auch etwas verstehen und dadurch auch so manches zu prüfen und zu beurteilen imstande sind. Und so gibt es auch Priester, die etwas mehr verstehen, als man als ein Fremder meint.“

02] Sagte der Römer: ”Ah, das meine ich auch, daß auch ihr Juden irgend etwas gelernt haben müßt! Aber was ihr gelernt habt, das reicht ja lange nicht hin, um nur den Verstand eines Römers zu beurteilen, geschweige die Weisheit dieses Gottmenschen, die wahrhaft unbegrenzt ist, und vor der wir die höchste Ehrfurcht haben.

03] Ich will mit euch sieben eine Wette von tausend Pfunden Goldes eingehen, daß ihr mir auf keine Frage eine rechte Antwort zu geben imstande sein sollet, die nur ich aus meinem Verstande euch geben könnte. So ihr aber das ganz sicher nicht imstande seid, wodurch wollt ihr uns beweisen, daß dieser Gottmensch nicht der völlig rechte und wahre Messias ist? Lasst den Allerverständigsten von euch herkommen, und ich gehe sogar mit ihm die ausgesprochene Wette ein! Ich aber werde dann als Gegenbeweis diesem Gottmenschen vor euch die schwierigsten Fragen stellen, und ich wette zehntausend Pfunde Goldes, daß Er mir alle beantworten wird. So Er aber mich befragen wird, so werde ich Ihm auf tausend nicht eins antworten können, obschon ich sicher tausendmal soviel verstehe als irgend der Weiseste von euch.“

04] Sagte ein Pharisäer: ”Freund, da würdest du dein Gold auf ein sehr gewagtes Spiel setzen; denn wir sind in gar vielen Dingen bewandert!“

05] Sagte der Römer: ”Gut, mir liegt nichts an meinem Golde, da ich wohl noch über tausendmal soviel zu gebieten habe, als was da diese Wette ausmacht! Aber was ich als ein Patrizier Roms sage, das halte ich auch auf Leben und Tod! Versteht ihr das? Lasst euch sonach von mir fragen! Und beantwortet ihr mir die Fragen richtig, so habt ihr tausend Pfunde Goldes gewonnen; wo ihr aber das nicht könnt, so zahlet ihr mir nur hundert Pfunde als Strafe für eure Vermessenheit vor uns Römern, euren Herren!“

06] Da fragten die sieben einander, ob sie diese glänzende Wette eingehen sollten. Da meinte einer, daß das denn doch sehr gewagt wäre, da man doch nicht wissen könne, um was alles der Römer fragen werde.

07] Aber einer der Ungläubigsten von ihnen sagte: ”Ich meine, daß der Heide mir keine vernünftige Frage wird zu geben imstande sein, die ich ihm nicht zu beantworten imstande sein sollte. Ich gehe die Wette ein; aber es müssen auch Schiedsrichter dasein, die da entscheiden werden, ob meine Antworten gut und recht sind.“

08] Sagte er nun zum Römer: ”Wenn wir hier ein kundiges und unbefangenes Schiedsgericht haben können, so gehe ich die Wette ein!“

09] Sagte der Römer: ”Gut, so stellet ihr euch eins zusammen! Es gibt nun etliche Hunderte von Menschen hier, - die werden doch wohl zu beurteilen imstande sein, ob deine Antworten wahr, gut und gründlich sind? Ich habe meinen Schiedsrichter schon.“

10] Sagte der Pharisäer, sich aufblähend: ”Ganz wohl, so frage denn, - die Wette gilt!“

11] Nun stand der Römer auf und sagte noch einmal zum Pharisäer: ”Freund, sei nicht leichtsinnig! Denn ich sage es dir noch einmal, daß du mir auf jede Frage die Antwort schuldig bleiben wirst, und die hundert Pfunde Goldes werden dir nicht nachgesehen werden.“

12] Sagte ganz stolz der Pharisäer: ”Ganz wohl, es gilt schon! Nur die Bedingung setze ich bei, daß du dagegen meine darauf an dich gestellten Fragen in gleicher Anzahl auch beantworten mußt. Bist du mir da keine richtige Antwort schuldig geblieben, so bekommst du erst die hundert Pfunde Goldes.“

13] Sagte der Römer: ”Bin ganz zufrieden mit diesem Antrage, und so will ich dir in allem nur zehn Fragen stellen. Und so höre mich denn an!

14] Da auch wir Römer in euren Propheten zumeist sehr erfahren sind, so möchte ich eben darüber eine rechte Erklärung haben, was der Prophet Jesajas im zehnten Kapitel damit meinte, da er sagt:

15] 'Wehe den Schriftgelehrten, die unrechte Gesetze machen, und die danach ein unrechtes Urteil schreiben, auf daß sie die Sachen der Armen beugen und Gewalt üben am guten Rechte der Elenden unter Meinem Volke, daß darum die Witwen ihr Raub und die Waisen ihre Beute werden müssen! Was wollt ihr machen am Tage der großen Heimsuchung und am Tage des großen Unglücks, das von ferne her über euch kommen wird? Zu wem wollt ihr da fliehen, daß er euch helfe? Und wo werdet ihr eure Ehre lassen, daß sie nicht unter die Gefangenen gebeugt werde und unter die Erschlagenen falle? In allem dem läßt des Herrn Zorn nicht ab, und Seine Hand ist über euch ausgestreckt.'

16] Das, mein Freund, wäre die erste Frage ganz aus eurem Gebiete, auf daß du nicht sagen kannst, daß ich dich um etwas ganz Fremdes gefragt hätte. Gib mir darüber eine gültige Antwort!“

17] Als der hochtrabende Pharisäer diese Frage vernahm und diese Texte des Propheten, die ihn mehr als der Tod genierten, da kam seine Zunge in eine völlige Stockung, und er wußte nicht, was er darauf antworten sollte, weil in eben diesen Texten die Greuel der Pharisäer so, wie sie waren, ganz hell ausgesprochen waren.

18] Als der Pharisäer mit der Antwort zauderte, da sagte der Römer: ”Ja, Freund, wenn du mir auch die noch übrigen neun Fragen so beantworten wirst, da werden unsere Schiedsrichter leicht zu urteilen haben! Bist du denn nicht bewandert in eurer Schrift?“

19] Sagte endlich der Pharisäer: ”Oh, das wohl; aber das zu erklären, ziemt sich hier nicht, sondern nur im Tempel, und selbst da ist es fürs Volk besser, wenn es nicht alles erfährt und versteht!“

20] Sagte der Römer: ”Oh, das glaube ich dir recht gerne; denn hättet ihr solches dem von euch schon ganz ausgeplünderten Volke vorgetragen und erklärt, so würde es euch schon lange gleich den Wandläusen ausgebrannt haben! Sagte ich als ein Heide ehedem ein Unrecht, so ich euch ins Gesicht behauptete, daß ihr an gar keinen Gott glaubt? Denn würdet ihr an einen Gott glauben, so würde euch euer berühmtester Prophet nicht ein so gottloses Zeugnis gegeben haben. Ich sage euch das: Nun ist die Zeit eurer großen Heimsuchung und eures Unglücks gekommen! Wohin wollt ihr nun fliehen, daß euch jemand helfe?

21] Aber lassen wir nun das! Die erste Frage ist so gut wie verhauen. Gehen wir zu der zweiten über; vielleicht geht es dir mit der besser!“

22] Sagte der stutzige Pharisäer: ”Aber ich bitte mir eine bessere aus!“

23] Das Volk aber frohlockte dabei im stillen und hätte den Römer schon gleich umarmen mögen.



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