Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 6, Kapitel 188


Der Wert des Denkens und des wahren Glaubens.

01] Sagte der Römer: ”Höre, Du großer Meister, so ich auch kein Wunderwerk sähe, sondern allein anhörte Deine Rede, da wüßte ich dennoch, daß in Dir sehr viel von irgendeinem wahrhaft göttlichen Geiste wohnen muß! Ohne seinen Einfluß kann kein Mensch so weise reden, und es hat bei Dir unser alter Wahlspruch: Sine afflatu divino non existit vir magnus! (Ohne göttlichen Anhauch gibt es keinen großen Mann!) seine volle Geltung; denn Du bist von dem höchsten Gott sicher am meisten angehaucht worden! Bei solch einer außerordentlichen Weisheit ist es wohl begreiflich, daß auch der Wille ungewöhnlich mächtig sein muß, da er nur zu klar weiß, was er will, und welches Mittel zur Effektuierung tauglich und notwendig ist. Ein dummer Mensch wird in seinem ganzen Leben nichts irgend Großes und Wundersames effektuieren, wohl aber der, welcher sich sowohl des zu effektuierenden Werkes wie der dazu erforderlichen Mittel völligst klar bewußt ist.

02] Wer im Worte weise ist, der wird es auch in seinen Werken sein; wer aber im Worte verlegen und sogar dumm ist, dessen Werke werden die Menschen sicher niemals bewundern. Wenn es manchmal aber auch einer blinden Henne gelingt, ein Gerstenkorn mit ihrem Schnabel zu treffen, so ist sie aber darum niemals ein Sinnbild der Weisheit gleich der Nachteule, die auch zur Nachtzeit wohl sieht, wo sich ihre zu machende Beute befindet.

03] Jene Menschen, die die bekannten Bauweltwunder erbaut haben, haben zuvor sicher einen Bauplan entworfen, in dem alles schon zum voraus genau bestimmt war, wie das große Baukunstwerk aussehen, und wie es beschaffen sein solle. Der Baumeister eines solchen Wunderbaues, der nun schon - wie die Pyramiden Ägyptens - etlichen Jahrtausenden getrotzt hat und wahrscheinlich auch hinfort noch Jahrtausenden trotzen wird, war sicher keine blinde Henne, sondern eine auch zur Nachtzeit klarsehende Nachteule, ansonst es ihm wohl unmöglich gewesen wäre, ein solches Bauwunder zu effektuieren. Und so bin ich der Meinung, daß nur die überwiegend große Weisheit eines von einem mächtigen Gott angehauchten Menschen allein imstande ist, Wunderbares vor den Augen der anderen schwachen Menschen darum zu bewerkstelligen, weil sie zuerst die Meisterin und Kräftigerin ihres Willens und die alleinige Auffinderin der tauglichsten Mittel ist, durch die sie das, was sie will, auch allzeit ins Werk setzt und mit dem Werke auch unabweisbar und ungehindert den vorgesteckten Zweck erreicht.

04] Du, großer und weisester Meister, hast für mich darum gar nicht mehr nötig, durch irgendwelche Wunderzeichen den Beweis zu liefern, daß Dir alles werden muß, was Du in Deiner großen Weisheit nur immer willst; denn mir ist Deine unbegreiflich große Weisheit und die große Entschiedenheit Deines Wortes der sicherste und ungezweifeltste Bürge dafür. - Habe ich als ein Römer recht oder nicht?“

05] Sagte Ich: ”Da seht Mir diesen Heiden an gegenüber den Juden, die da sagen, daß Gott ihr Vater sei! Diesen genügen all die großen Zeichen nicht, die Ich vor ihren Augen und Ohren schon so oft und so vielfach gewirkt habe, und dieser Heide erkennt Mich aus dem Worte! Darum sage Ich es euch Juden da unten in der großen Stadt: Es wird das Licht der Himmel euch genommen und den Heiden gegeben werden!

06] Dir aber, Mein lieber Agrikola, werde Ich dennoch ein Zeichen eben darum wirken und geben, weil du Mir auch ohne Zeichen glaubst; denn die Heilung dieser Mir Selbst nun recht lieb gewordenen Maid ist für Denker deiner Art zu gering, da einige aus deiner Gesellschaft sich denn doch heimlich also gedacht haben: "Siehe, der Mensch ist klug! Er wartete mit der Heilung gerade so lange, bis er wohl gewahrte, daß es der Maid von selbst besser würde! Als der einem Arzte sicher wohl erkennbare Selbstbesserungsmoment eintrat, da erst rief er sie, und sie erwachte, wie sie auch ohne den Ruf sicher erwacht wäre!" Siehe, so dachten geheim deine auch recht tief denkenden Gefährten und teilweise auch du selbst!

07] Allein Ich mache damit niemandem einen Vorwurf, da Mir ein freier Denker stets lieber ist als tausend leichtgläubige Seelen, denen es einerlei ist, ob man ihnen ein Alpha oder ein Omega vormacht. Denn wer nicht denkt, der lernt und begreift auch nichts, und ihm ist Gold und Blei am Ende ein und dasselbe; aber der Denker kauft niemals eine Katze im Sack. Darum sagtest du auch nach der Heilung dieser lieben Maid bei dir selbst: "Das Zeichen wäre ihm vor unseren Augen wohl gelungen, - aber ich muß ihn erst reden hören, dann erst wird sich's zeigen, ob er im Ernste aus seiner Weisheit die Fähigkeit besitzt, solche Zeichen bloß durch seinen Willen zu effektuieren!" Als du Mich aber reden hörtest, da wich bei dir der Zweifel; denn Meine Worte wurden dir und auch deinen Gefährten ein Bürge für die volle Wahrheit des Zeichens und für den eigentlichen Zweck Meines Daseins.

08] Weil ihr, du samt deinen Gefährten, aber nur dem Worte und nicht dem Zeichen geglaubt habt, so will Ich denn nun vor euren Augen auch ein großes Zeichen wirken.

09] Seht, wo Ich bin, da bin Ich wahrlich nicht allein, sondern da dienen Mir zahllose Scharen der mächtigen, lichten Engelsgeister aller Himmel! So ein Kaiser oder ein König eines großen Regierungsgeschäftes wegen irgendwohin reist, so reist er wahrlich nicht allein, sondern es reist nach seinem Willen noch ein gar starkes und zahlreiches Gefolge mit ihm. Und seht, also ist es denn auch um so mehr bei Mir der Fall, da auch Ich eines gar großen und neuen Welten- und Geisterregierungsgeschäftes halber als der alleinige Herr der ganzen Unendlichkeit von ewig her nun in der Weltenzeit eben auf diese Erde im Fleische dieser Menschen eine gar endlos wichtige Reise unternommen habe, ohne welche Reise kein Mensch dieser Erde ein wahres, ewiges Leben je erreichen könnte!

10] Und weil Ich denn sonach auch als ein größter Monarch (diese Reise) auf die Erde aus gar sehr wichtigen Lebensgründen unternommen habe, so könnt ihr es euch wohl selbst vorstellen, daß nun auch gar viele Legionen Meiner dienstbaren Engel die Reise mit Mir machten und auch stets um Mich sind, auf Meine Winke horchen und Meine Befehle auf allen Sternen ausrichten.

11] Mit den fleischlichen Augen allein könnt ihr sie zwar jetzt noch nicht sehen und wahrnehmen; so Ich euch aber nun auf eine Zeit hin eure innere Sehe auftun werde, dann werdet ihr sie wohl sehen und hören und werdet sogar mit ihnen reden und von ihnen dies und jenes begehren können. Aber vorerst muß Ich an euren freien Willen die gar gewichtige Frage richten, ob ihr solche Meine Begleiter auch im Ernste zu sehen und auch zu sprechen wünschet; denn Zwang findet bei Mir niemals statt!“

12] Da stutzten die Römer einige Augenblicke; denn diese Meine Erklärung war ihnen denn doch ein wenig zu bunt.

13] Aber Agrikola sagte zu den andern: ”wisst ihr was? Wir lassen uns diese Geschichte denn doch zeigen und wollen sehen, was daran ist! Mir sind von Ihm nun wieder einige Dinge sehr aufgefallen! Wer sagte es Ihm, wie ich heiße?! Denn ich habe aus einer gewissen Vorsicht hier noch keinem Menschen meinen Namen anvertraut. Wie kann Er darum wissen?! Aber noch mehr! Wer wohl konnte Ihm unsere Gedanken verraten?! Und seht, doch wußte Er um jede Kleinigkeit! Ah, wisst, das ist wahrlich keine Kleinigkeit mehr! Nun sagte Er uns das, daß Er nicht allein hier ist, sondern zahllose Scharen der Machtgeister mit Ihm! Freunde, wenn das, so ist Er offenbarst ein ganz vollkommener Gott optima forma (in bester Form), und wir alle haben das noch nie dagewesene Glück, den wahren Jupiter leibhaftig zu sehen! Wir stimmen also alle ein, das zu schauen und zu hören, was Er uns vorhin angetragen hat, daß Er es uns zeigen werde, so wir das sehen und hören wollen. Nun, wir wollen aber das, und so ersuchen wir Ihn, daß Er uns Seine mächtigen Reisegefährten zeigen möchte, wenn Ihm solches möglich ist!“

14] Alle, selbst Meine früheren Jünger, waren damit vollkommen einverstanden, daß sie solches sehen möchten.

15] Und Agrikola kam zu Mir und sagte: ”Großer Meister, so Dir das möglich ist, dann zeige uns Deine zahllosen und allermächtigsten geheimen und unsichtbaren Begleiter, und wir wollen sehen, was das denn doch für Wesen sind. Wir alle bitten Dich darum, daß Du uns das zeigen wollest, was zu zeigen Du uns ehedem verheißen hast!“

16] Sagte Ich: ”Das soll auch sogleich geschehen! Aber fasst euch zuvor ordentlich; denn was ihr nun schauen werdet, das wird, wenn auch durch Meinen Willen gemildert, euch sehr ergreifen, obwohl ihr tapfere Römer seid!“

17] Sagte der Römer: ”Meister, unser Wahlspruch ist: Si totus illabatur orbis, impavidum ferient ruinae! (Wenn auch der ganze Erdkreis in Trümmern ginge, so werden den Unerschrockenen die Trümmer tragen!) Meister, wer keine Furcht vor dem Tode hat, der fürchtet auch die guten Geister nicht und noch weniger die bösen, deren Macht eben nicht gar zu groß sein dürfte! Wir sind schon auf alles noch so Außerordentliche völlig gefaßt, und Du kannst Dein Zeichen schon zu wirken anfangen. Wir sind alle sehr begierig darauf!“

18] Sagte Ich: ”So erhebet euch von euren Sitzen und geht mit Mir hinaus ins Freie! Alldort sollt ihr auf eine Stunde schauen die Herrlichkeit Gottes des Vaters, der Mich, das heißt in diesem Leibe, in diese Welt gesandt hat des Heiles der Menschen wegen.“

19] Als Ich solches ausgeredet hatte, da erhoben sich alle von ihren Sitzen und gingen mit Mir hinaus ins Freie.



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