Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 5, Kapitel 182


Die Gestaltungskraft der menschlichen Seele im Traum.

01] Also aber fing Johannes an und sagte: ”Mein Freund Hiram! Du hattest diese Nacht einen von dir so genannten Lichttraum und gabst vor, uns alle samt dem Schiffe schon hier einlaufen gesehen zu haben, und dein nunmaliges höchsteigenes Geständnis gab unaufgefordert an, daß wir dieselben waren, welche du in deinem Lichttraume gesehen hast. Nun erkläre du mir das nach deiner Weisheit, die in ihrer Art durchaus nicht zu verachten ist, wie das möglich war! Denn so wir nur bloß die Leiber allein und keine Seelen hätten, die am Ende denn doch auch ohne einen Leib fortleben könnten, wie möglich hätten wir uns als Seelen deiner in deinem Leibesschlafe ebenfalls wachen und tätigen Seele zeigen können, während diese unsere Leiber sich um jene Zeit noch ganz gut in der oberen Nähe von Cäsarea befanden?“

02] Sagte Hiram: ”Ja, ganz gut! So aber das im Ernste eure Seelen waren, die, frei von ihrem Leibe, schon zum voraus in dieser Bucht herumgeschwärmt sind, da möchte ich denn doch auch wissen, ob denn euer Schiff auch eine Seele hat! Siehst du, Freund, da sind wir wieder auf dem alten, etwas strittigen Punkte, worüber mein Freund Aziona schon früher eine Aufklärung hat haben wollen, von dir aber zur Geduld verwiesen worden ist. Nun aber bin ich sehr neugierig, wie du diese stark kitzlige Frage beantworten wirst!“

03] Hier nimmt Johannes den Krug und sagt: ”Du, Freund, bist durstig, ich sehe es dir an! Da nimm und trinke zuvor, dann erst wollen wir weiterreden!“

04] Sagt Hiram: ”Ist das etwa so ein indischer Zaubertrank, von dem man berauscht wird und dann in alle Narrheiten der Menschen eingeht?“

05] Sagt Johannes: ”Neben dir steht Aziona; frage ihn, ob das ein Zaubertrank aus Indien ist!“

06] Sagt gleich Aziona: ”Trinke nur daraus, es wird dir darauf ganz wohl werden!“

07] Sagt Hiram: ”Auf deine Verantwortung, Bruder!“ Hiram nahm darauf den Krug und machte daraus einige ganz kräftige und ausgiebige Züge, da er auch ein sehr kräftiger und starker Mann war. Als er seinen Durst gelöscht hatte, sagte er ganz erstaunt zum Aziona: ”Ah, da sieh einmal! Aus welcher Quelle hast du denn dieses herrliche Wasser geschöpft?“

08] Sagt Aziona: ”Das habe ich dir schon bei deiner Hütte erzählt! Das ist dasselbe von diesen Wunderfeunden zum Weine umgestaltete Wasser aus meiner dir ohnehin sehr bekannten Quelle!“

09] Sagt Hiram: ”Nun wahrlich, diese Kunst möchte ich auch können; denn so ein Trank könnte unsereinem dann und wann dies vergängliche Leben denn doch so ein wenig würzen. Wahrlich, das ist noch der allerbeste Wein, der je über meine Lippen geflossen ist. So einem Weine zuliebe könnte der Mensch schon ohne Überdruß so ein paar tausend Jahre leben! Geh und laß mich noch einmal ein paar Züge tun!“

10] Aziona gab dem Hiram den Krug, und dieser machte noch ein paar so recht kernfeste Züge, dankte dann dem Johannes und sagte darauf: ”Das, lieber Freund, ist wahrlich sehr gut gegangen; ob es dir aber nun mit dem Seelenbeweise des Schiffes auch so gut gehen wird, das ist eine andere Frage!“

11] Sagt Johannes: ”Lieber Freund, noch um vieles leichter! Aber du mußt zuvor wissen, daß eine jede schon geistig vollendete und mit dem Geiste Gottes enger verbundene Seele auch so ein bißchen allmächtig ist, und daß es ihr daher ein ganz leichtes ist sich so ein Schiff im Momente zu erschaffen und es einer fremden Seele, wenn es gerade sein muß, als ein Produkt ihrer schöpferischen Kraft auch wie in der Natur bestehend zu zeigen. Und siehe, das war denn auch in dieser vergangenen Nacht der Fall, und so hast du als Seele denn auch ein uns tragendes Schiff erschauen können, ohne daß darum unser Schiff irgendeine Seele zu haben brauchte. Du ersahst uns auch also bekleidet, wie wir nun da vor euch in der Natur zu sehen sind; da müßten unsere Kleider ja auch eine Seele haben! Aber diese sind ein nur gewisserart zeitgemäßes, schöpferisches Produkt der mit dem Geiste Gottes in enger Verbindung stehenden Seele.

12] Du hast also uns, wie wir sind, in deinem Traume offenbar mit den geistigen Augen deiner Seele gesehen, und wir wußten wohl darum, daß du, als eben der Hartnäckigste deines Glaubens, uns werdest sehen müssen, und wollten es also, um vorderhand etwas zu haben, wodurch dir die Augen zuerst ein wenig geöffnet werden können; denn wären wir gar nie in der Welt oder überhaupt nie dagewesen, - wahrlich, so hättest du uns auch in einem noch so hellen Traume nie zu Gesichte bekommen können! Weil wir aber da sind und bestehen, und zwar dem Geiste nach in Gott schon von Ewigkeit her, so war es uns auch ein leichtes, deine Seele zu dem schon lange vorgesehenen Behufe in dieser deiner Traumnacht einige Augenblicke lang aus ihrem Leibe zu erwecken, damit sie das, was da kommen werde, im großen Lichte zum voraus erschauen möchte. Kannst du das auch ein Spiel der großen Natur nennen?“

13] Sagt Hiram: ”Liebet Freund, du mußt es mir nicht für ein Übel anrechnen, so ich gewohntermaßen ebenso rede, wie ich denke! Siehe, daß du in deiner Weise ein großer Weiser und ein Meister der Rede bist, das habe ich aus deinen ersten Worten schon herausgefunden! Deiner Rednergabe ist es ein leichtes, aus einem Bären einen Wolf zu machen, wie so bei uns das Sprichwort gang und gäbe ist.

14] Ich habe dir meinen wirklich gehabten Traum einmal ganz treu und offen erzählt, und du hast nun ein leichtes, daraus zu machen, was du willst. Weißt du, hinterdrein einen Propheten machen, ist wahrlich keine so große Kunst; denn man kann als ein guter Dialektiker alle Umstände ganz fein benutzen und daraus gleich so - wie man sagt - aus dem Stehgreife eine Idee herstellen, die in ihrer Art nichts zu wünschen übrigläßt. Leichtfertige, seichtdenkende und mit wenig Erfahrung begabte Menschen waren da schon fertig und gefangen; doch der ganz kalte, ruhige und aller Leidenschaft und Furcht bare Verstand eines vielerfahrenen Mannes braucht mehr als bloß eine ausgezeichnete Dialektik eines jungen und sonst sicher auch sehr biederen, talentvollen Menschen.

15] Es ist, offen gesagt, das, was du mir über meinen Traum gesagt hast, durchaus nicht zu verwerfen, und es ist sehr der Mühe wert, darüber tiefer nachzudenken; aber ich werde dir da aus meinen vielen Erfahrungen und Kenntnissen etwas entgegenstellen. Kannst du mir das auf eine genügende Art und Weise erklären, so dürften wir miteinander bald handelseins werden!“

16] Sagt Johannes: ”Warte, Freund, um dich von der innergeistigen Lebenskraft der Seele im Menschenleibe triftiger zu überzeugen, werde ich dir, aus deiner Seele schöpfend, nun auf ein Haar dasselbe erzählen, was du mir soeben als einen Gegenbeweis für meine dir dargestellte Behauptung und als eine deiner Meinung nach hart aufzuknackende Erklärung deines Gesichtes erzählen wolltest! Für jedes unwahre Wort kannst du mir ganz keck eine Maulschelle verabfolgen!“

17] Sagt Hiram: ”So erzähle! Wahrlich, darauf wäre ich höchst neugierig, jedoch ohne die von dir petierte (erbetene) Maulschelle bei einer Unrichtigkeit; denn alle derlei Rechtfertigungen und Zurechtweisungen sind uns fremd und niemals eigen gewesen, außer in Fällen der dringendsten Notwehr! Erzähle mir also ganz guten und heitern Mutes, was du von meinen geheimen Erfahrungen und Erlebnissen weißt!“



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