Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 5, Kapitel 177


Der wahre, lebendige Glaube.

01] Hier sah Aziona den ganz gemütlichen Johannes groß an und sagte: ”Höre, du mein übrigens höchst schätzbarer Freund! Das, was ich nun aus deinem Munde vernommen habe, ist mehr als meine gefüllte Speisekammer und bei weitem mehr als der aus reinem Wasser hergestellte Wein; denn was du mir gesagt hast, ist buchstäblich von Alpha bis Omega wahr! Du hast mich zuvor nie gesehen und gesprochen und kennst meine und meiner ganzen Gesellschaft Lebensverhältnisse so genau, als hättest du das alles mit uns durchgemacht! Das ist viel - und etwas, das mich sehr stutzig zu machen beginnt. Daß dein Kollege, der zuerst den Redner machte, um meinen Namen wußte, fiel mir durchaus nicht auf, da um den ganz Cäsarea weiß, von wo aus ihr habt hierher beschieden werden können; aber meine Lebenserfahrungen sind von gar keinem von uns irgend jemandem bekanntgegeben worden, und du hast sie daher auch von niemandem in Erfahrung bringen können, - und du weißt um jede Kleinigkeit, ja sogar um meine damals gehabten Gedanken, Beschlüsse und inneren, oft nicht einmal irgend jemandem aus meiner Gesellschaft mitgeteilten Absichten! Freund, das ist etwas, das sich auf gar keinem natürlichen Wege erklären läßt!

02] Wohl soll es einst in Ägypten Weise gegeben haben, die da aus den Linien der Hand und der Stirne einem Menschen weissagen konnten, was er getan hat, und was er zu erwarten habe; auch gab es gewisse Tempelschläfer, die in einer Art Schlafekstase so manche Dinge weissagten, die entweder irgend so bestanden oder erst geschehen und bestehen werden. Aber mit welchen mystischen Bildern wurde all dergleichen Orakelzeug an das Tageslicht gefördert! Es bedurfte da wieder neuer Weiser, die da solche höchst unverständlichen Orakelsprüche den Laien zumeist auf eine witzige und sehr pfiffige Weise erklärten, nach welchen oft sehr pomphaften und kostspieligen Erklärungen der Fragende eben das wußte, was er entweder gar nie zu wissen begehrte, oder was er schon lange früher gewußt hatte. Aber bei dir ging die Sache ohne allen Tempelschlaf, ohne alle Besichtigung meiner Hände und ohne allen mystischen Wortkram ganz linieneben heraus! Ja, so eine Weissagung lasse ich mir gefallen! Aber jetzt kommt der hinkende Fragbote und sagt: Wie, wie ist so etwas möglich? Außer einer allsehenden, und allfühlenden Götterkraft ist das vollkommen undenkbar! Sollte sich so etwas im Ernste allein durch den Vollglauben erreichen lassen?“

03] Sagt Johannes: Jawohl, Freund; aber freilich kommt es sehr darauf an, was man glaubt! Es könnte dir jemand eine Lüge vorsagen, und du glaubtest sie fest, so würde solch ein noch so ungezweifelter Glaube keine Wirkung haben, weil man darauf, wo es keinen wahrhaft festen Kerngrund gibt, kein Haus bauen kann.“

04] Sagt Aziona: ”Das ist alles in der Ordnung; aber wo ist der Probierstein, mittels welchem ich zur vollsten Überzeugung gelangen könnte, daß das eine vollste Wahrheit sei, was mir jemand zu glauben vorgestellt hat?“

05] Sagt Johannes: ”Über dies Kapitel haben wir zwar schon gesprochen; allein, um dir noch einen näheren Fingerzeig zu geben, sage ich dir, daß Gott, der Herr Himmels und dieser Erde, einem jeden nach der Wahrheit strebenden Menschen ein Gefühl in sein Herz gelegt hat, das die Wahrheit noch viel aber erkennt und erfaßt als ein noch so durchgebildeter Verstand.

06] In diesem Gefühle weilt auch die Liebe zur Wahrheit, die sie als solche wahrnimmt, bald mit ihrer Lebenswärme durchdringt und also lebendig macht. Wird der Glaube als eine von der Liebe durchdrungene Wahrheit aber einmal lebendig, dann wird er auch sich zu regen, zu bewegen und am Ende selbst zu handeln anfangen. In solchem zuversichtlichen Handeln liegt dann erst auch das volle Gelingen dessen, was man im Herzen, und nicht etwa im Gehirn des Kopfes, als ungezweifelt glaubt.

07] Im Gehirne hat die Seele nur ihre Augen, Ohren, ihren Geruch und Geschmack; von diesen geht aber kein Leben aus, da sie selbst nur Wirkungen des Lebens sind.

08] Soll denn ein Glaube wirken, so muß er eins sein mit dem Leben selbst und nicht, gleich den Augen und Ohren, der Nase und dem Gaumen, als eine bloße Wirkung des Lebens für sich einzeln dastehen ohne einen tieferen Verband als allein den des nötigen äußeren Gebrauchs. Ist aber dein Wahrheitsglaube einmal eins geworden mit deinem Leben, so hat er schon von selbst jeden Zweifel aus sich ausgeschieden, und er darf dann nur wollen, und es wird geschehen, was solch ein Lebensglaube will.“



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