Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 5, Kapitel 175


Stoische Weltanschauung des Fischers Aziona.

01] Sagt Aziona: ”Na, das käme jetzt erst darauf an, ob es völlig in meinem Willen läge! Freilich nehmen wir nicht leichtlich etwas an, so wir zuvor nicht irgend auffallende Wirkungen gesehen haben. Nun, an der ersichtlichsten Wirkung aus dem von dir mir offen angegebenen Grunde fehlt es hier durchaus nicht; meine Speisekammer ist voll Eßwaren, und nun hier der Wein aus reinstem Wasser! Das wären denn doch, wie man sagt, so hübsch handgreifliche Beweise dafür! Aber jetzt kommt es nur darauf an, klar zu wissen, ob ihr denn nicht doch so ganz geheim irgendein Spezifikum besitzet, durch dessen noch so geringe Beigabe jedes reine Wasser zu Wein werden müßte! Es wird das wahrscheinlich der Fall nicht sein; aber man kann sich bei der Betrachtung dieses reinen Wunders eines solchen Gedankens nicht ganz erwehren; solange man aber das nicht kann, ist es mit der gänzlichen Zweifellosigkeit wie mit der Wirkung des von dir gut gezeichneten Vollglaubens nichts! Und ich sehe darum schon zum voraus nur zu gut ein, daß wir sämtlichen Bewohner dieses Ortes nie auch nur einem Tropfen Wassers den Geschmack des Weines werden zu verschaffen imstande sein!

02] Wir sind hier zwar so armselig wie möglich plaziert - unsere Nahrung besteht nur aus Ziegenmilch, Fischen und Wasser; denn etwas anderes gedeiht in dieser reinen Wüste nicht -; aber wir sind damit zufrieden in unserem allerpursten Naturzustande. Dieser schließt die von uns allerorten vielfach gemachten Erfahrungen nicht aus. Weit und breit in aller Welt sind wir herumgekommen; denn wir waren Sänger und Magier, und ich habe in Athen die Apothekerkunst gelernt, gewisse geheime Spezifika zu bereiten, mittels welcher man für die vielen Laien eine Menge Wunder hat zustande bringen können.

03] Kurz und gut, ich bin, so einfach ich auch hier aussehe, mit einer großen Menge von allerlei Wissenschaften und Erfahrungen ausgestattet! Ich kenne das Lebenskraut der Königsschlange und kenne den Wunderstein Bezoar. Ich kenne Asien bis tief nach Indien, kenne Europa, war in Hispania, im Lande der Gallier und war auch in Britannien, kenne dieser Länder Sitten und Zungen, kam wieder nach Griechenland und lernte dort Weise kennen auch der Schule des großen Weisen Diogenes und sagte dann: "Oh, ein wie großer Narr ist doch der Mensch! Länder und große Reiche durchwandert er des dummen Geldes wegen; Diogenes, der größte Weise, war glücklich im Fasse, weil er die volle Nichtigkeit der Welt, ihrer Schätze und die vollste Wertlosigkeit des vergänglichen Erdenlebens ganz klar wie kein anderer eingesehen, begriffen und bewiesen hat!"

04] Ich verließ mit meiner Gesellschaft dann vor zehn Jahren Athen und zog von aller Welt fort in die Wüste. Hier erbauten wir uns diese Hütten, die wir nun ganz zufrieden bewohnen. Unsere mitgenommene kleine Ziegenherde und die hier reichlich vorkommenden Fische, mit deren Überfluß wir bloß nur des Salzes wegen einen kleinen Handel nach der Stadt Cäsarea unterhielten, ernährten uns.

05] Da nun aber diese Stadt vor wenigen Tagen eine Beute der Flammen geworden ist, so hat auch natürlich dieser Handel sein Ende erreicht, und wir alle haben nun schon vier Tage hindurch zu unserer großen Freude die Erfahrung gemacht, daß man auch ohne Salz leben kann, weil man schon von irgendeiner unsichtbaren Macht der Natur zum Leben verdammt ist.

06] Denn ich und wir alle halten das Leben für eine Strafe für die von der großen allgemeinen Natur losgetrennte kleine Natur, die wir belebten Wesen vertreten. Das denkende, sich selbst bewußte Wesen muß alle Reize des Lebens fühlen, um sich dann am Ende desto schmerzvoller durch den sicheren Tod von ihnen trennen zu müssen. Daher ist des wahren Weisen Sache, von der wir alle ganz durchdrungen sind, diese: Das Wertloseste frühzeitig vollkommen verachten lernen, und den Tod als die Versöhnung mit der großen Natur betrachten und für das größte Glück eines jeden lebenden Wesens halten! Ist ein Mensch einmal darin groß und tüchtig geworden, so hat er damit auch das allein wahren und größte Lebensglück erreicht. Er lebt dann ganz zufrieden und sehnt sich ganz durch und durch nach dem Tode, der eines jeden lebenden Wesens größter Freund ist.

07] Wir haben eine rechte Freude an jedermann, dem wir mit unseren kleinsten Mitteln einen Dienst erweisen können; der sich alle Mühe gibt, in der Welt was zu erreichen. Wozu plagen und sorgen für etwas, das buchstäblich nur von heute bis morgen besteht? Wer uns aber etwas anderes weismachen will, dem zeigen wir bloß die Gräber der Toten, aus denen noch kein Wesen neubelebt hervorgegangen ist! Was man war, das wird man wieder, nämlich Erde zur Nahrung der glücklichen Pflanzen, die da sind und nicht fühlen, daß sie sind, und nicht denken, daß sie vergehen werden. Oh, wie groß und heilig ist das Nichtleben gegenüber dem sich klar bewußten Leben!

08] Ihr scheint allem Anscheine nach auch so eine ganz bestbestellte Künstlergesellschaft zu sein und zu versuchen, euch ein sogenanntes Erdenglück zu erringen!? Wir ganz Glücklichen können euch nur bedauern, so ihr das wahre Lebensglück auf irgendeinem andern Felde suchen wollt als allein auf dem, auf welchem es allein für bleibend zu finden ist. Bleibt da und erbaut euch kleine Wohnhütten gleich den unsrigen! Begnügt euch für dies nichtige, gar nichts sagende und ebenso gar nichts bedeutende Leben mit dem möglich Wenigsten, und ihr werdet es erst nach und nach einsehen und kennenlernen, wie sehr recht und wahr das ist, was ich soeben zu euch geredet habe!

09] Und du, Hauptredner, wirst es auch begreifen, daß dies mein reellstes Wissen um sehr vieles mehr wert ist als dein fester, ungezweifelter Vollglaube! Was nützt es dir, so du mit deinem Vollglauben auch ganze Bergreihen versetzest, am Ende aber doch sterben und in die nimmer endende Vernichtung übergehen mußt? Wir alle sind nichts als ein Spiel der großen Natur zwischen Erde, Mond und Sonne! Zwischen diesen dreien bilden sich zufällig Gesetze, und ihre Folgen beleben momentan den Erdboden. Die blinden Schwachbelebten sehen das freilich wohl nicht ein; aber wir, die wir durch gar viele Strahlen der Sonne hindurchgewandert sind, haben das kennengelernt und können es mit dem besten Gewissen von der Welt jedermann kundtun, was das Leben ist, und was man vom selben zu erwarten hat!“

10] Hierauf schwieg Aziona.



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