Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 5, Kapitel 162


Cyrenius enthüllt die wahren Ansichten des Pharisäers über die Wunderwerke Jesu.

01] Sagt Cyrenius, ein wenig unwillig scheinend: ”Hättest du ganz offen geredet, da hättest du mit mir ebenso reden sollen, wie du dort am Meere geredet hast mit dem alten Markus und mit deinen Kollegen! Wohl konntest du dein Inneres nicht ganz verbergen vor mir, und es entfiel dir so manches deiner innern Gesinnung; aber du denkst noch ganz anders in deinem Innern, wie du auch ganz anders mit dem Markus und deinen Kollegen geredet hast.

02] Es wird dir freilich sehr unangenehm sein, so ich dir nun das vorsagen werde, was du gesprochen, und noch mehr, was du so ganz eigentlich gedacht hast, aber mag dir die Sache noch so unangenehm sein, so wirst du sie nun aus meinem Munde dennoch vernehmen müssen! Und so höre du samt deinen lieben Gefährten mich an!

03] Als du am Meere die Schiffe und den Hafenbau bewundertest und dich der alte, biedere Markus fragte, was du nun zu all dem sagen würdest, da zucktest du bedenklich deine Achseln und sagtest: "Da läßt sich entweder sehr viel, aber auch in einer gewissen Hinsicht sehr wenig darüber sagen. Sehr viel, so das am Ende denn doch trotz aller hohen Beteuerungen und Zeugenschaften kein Wunder, sondern ein ganz natürliches Werk ist; und natürlich sehr wenig oder auch gar nichts, wenn alles das dennoch im Ernste ein Wunderwerk sein sollte! Daß ich und meine sämtlichen Gefährten das aber trotz all der hohen Versicherungen nicht als ein Wunderwerk annehmen können, mag ein jeder denkende Mensch daraus handgreiflich ersehen, daß eben wir selbst dabei nicht Zeugen waren und diese Gegend seit gut zehn Jahren nicht mehr gesehen und noch weniger je irgend betreten haben. Was hat seit der Zeit in diesem abgelegenen Winkel durch die Staatsklugheit der Römer alles geschehen können! Durch Spione wußte man, daß wir in diesem Lande eine Bewegung machen, um zu erforschen, was da alles wider uns unternommen wird, und auch, um auszukundschaften die Personen, die gegen uns in der tätigsten Bewegung sind. Man wußte sicher, daß wir am Galiläischen Meere uns befinden, sandte Lotsen nach uns aus und zog uns hierher, wo ein Hauptlager der Römer aufgeschlagen ist.

04] Daß uns das sehr überraschen mußte, wird hoffentlich wohl sehr leicht begreiflich sein, so man bedenkt, daß die Römer durchwegs keinen Scherz verstehen und irgend Ernstes mit ihnen nicht auszurichten ist. Wir merken es schon seit einer geraumen Zeit, daß die Römer uns nur kaum so halbwegs hin dulden des Volkes wegen, im geheimen aber den Essäern allen Vorschub leisten, die sich natürlich das größte Vergnügen daraus machen, uns nach allen Seiten hin zu untergraben. Wir kennen die Blindfechtereien der Essäer und wissen um ihre Wunderbetrügereien; aber wir dürfen uns nicht rühren und müssen uns Dinge gefallen lassen, die schnurgerade wider unsere Religionsinstitutionen sind, wie zum Beispiel die Volkszählung, die personale Besteuerung und die Einführung der Zölle und Wegmauten. Und obwohl es in ihrem Kodex (Gesetzbuch) heiße, die Kinder Abrahams wären im Lande frei, so wird aber darauf dennoch keine Rücksicht genommen, und die Kinder Abrahams werden vor den Mautschranken ebensogut angehalten wie die Fremden.

05] Sogar wir Priester müssen den Mautstater bezahlen, die wir doch von Moses von jeglicher Zahlung freigesprochen sind und selbst das Recht haben, den Zehent zu nehmen von den Kindern Abrahams, Isaaks und Jakobs, dieweil wir nie einen Grund und Boden haben dürfen! Die Essäer, als unsere entschiedensten Feinde, aber sind allenthalben frei und dürfen weder irgendeinen Tribut und noch weniger irgendeine Wegmaut bezahlen! Nun, wer daraus die entschiedenste Antipathie der Römer gegen uns nicht herausfinden sollte, der müßte wahrlich mit der siebenfachen Blindheit geschlagen sein! Da wir also bei der Oberherrschaft Roms durchwegs keine Freunde mehr haben und keine Macht, um diese allerdrückendste Last abzuschütteln, so bleibt uns am Ende ja doch nichts übrig, als uns gleich den zertretenen Würmern zu rühren und zu suchen, uns so viel, als einigermaßen Rechtens nur immer möglich ist, vor den zu deutlich signierten Feinden unseres Institutes zu verwahren und wo möglich sie zum Schweigen zu bringen.

06] Der fragliche Nazaräer, offen ein ganz wohlbestellter Schüler aus der geheimen Schule der Essäer, ist uns nur zu wohl bekannt ein Hauptwidersacher unseres Kollegiums und ein entschiedener Gegner des Tempels, zudem der Sohn eines Baumeisters. Er hat uns schon eine Menge Kollegen, die hie und da in Galiläa exponiert waren, total abtrünnig gemacht, teils durch die Macht seiner Rede, und noch mehr durch seine verkappten Wunder, - vom Volke gar nicht zu reden, das ihm heerweise nachrennen soll. Es wird demnach von einem vernünftigen Menschen wohl gar nicht zu verwundern sein, so wir uns endlich auf die Beine stellen und danach zu trachten beginnen, wie solch einem Elende für uns Einhalt zu machen wäre.

07] Man hat uns selbst hier Fallen gelegt, um auch uns durch Gewalt oder durch List von der Sache des Tempels loszumachen, und zeigt uns zu dem Behufe ein Wunder des Augenblicks, zu dessen Herstellung man aber im geheimen ganz gut etliche Jahre hat verwenden können, und sucht uns damit nun zu übertölpeln; da wir aber auch Leute von so manchen Erfahrungen sind, so wird das ernstlich etwas schwer herhalten! Vor dem blinden Volke ist leicht Wunder wirken, - aber sehr schwer vor einem scharfsehenden Pharisäer! Wir wissen, was wir sind, und was die Welt ist, und wie sie allenthalben zu ihrem Vorteil mittels allerlei Mitteln zu handeln versteht, und sagen darum: Dies Badhaus samt den überaus herrlich eingerichteten Gärten und diesem Hafen macht den Herren Römern als Non-plus-ultra-Architekten

(d.h.: Architekten, die nicht mehr zu übertreffen sind.) auch so alle Ehre, ohne von uns als ein Wunderwerk des Augenblicks angesehen zu werden!"“



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