Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 5, Kapitel 151


Die Tempelmoral des Pharisäers. Die Wunder des Moses aus Pharisäersicht.

01] Hier nahm der Pharisäer einen ordentlichen Anlauf, stellte sich ganz gerade auf und fing an, folgendermaßen zu reden: ”Höchster Gebieter! Du weißt viel, und dein Verstand erglänzt wie ein reinster Diamant im Sonnenlichte; aber ich weiß auch etwas, so ich es nach unserer Sitte auch nicht immer zur Schau trage und eigentlich auch nicht tragen darf! Wo es aber not ist, da soll es auch offenbar werden! So der Mensch einem Institute einmal auf dieser lieben Erde angehört und leider durch Geburt, Sitte, Gesetz und durch den irdischen Drang der Umstände genötigt ist, des lieben Magens wegen zu seiner Standarte zu schwören, so ist man dadurch auf dieser Welt geistig schon so gut wie gestorben. Im Anfange freilich wohl noch nicht ganz; aber so nach und nach immer mehr!

02] Denn wenn man vor den Augen der Menschen ohne Unterschied mit allen Mitteln irdischer Gewalt fort und fort genötigt wird, ein X für ein U zu machen, dann hört alles Denken auf! Man muß sich selbst eines jeden helleren Gedankens wegen ordentlich zu verfluchen anfangen und sagen: "Fahre hin, du reines Licht der Himmel! Bin ich verdammt, ein Teufel zu sein, so sei ich auch ein Teufel! Ob listig oder dumm, darauf kommt's dann wahrlich nicht mehr an! Muß ich ein X statt ein U sein, so bin ich's; ich kann derlei alte Verhältnisse unmöglich ändern!"

03] Mir der Zeit lebt sich der Mensch in seine Teufeleien so ganz gemütlich hinein und denkt sich: "Weil du schon zu einem Narren geboren bist, auch als ein solcher erzogen warst, so bleibe, was du bist! Ist dein Magen gut, so ist dann aber auch schon alles gut! Iß und trink und genieße das Leben, solange und wie es sich nur immer bestens genießen läßt!" Kommt dann der letzte Tag, die letzte Stunde, dann sind alle Fesseln gelöst, und alle Gesetze haben für den für ewig aufgehört, der in sein Nichts zurückgekehrt ist!

04] Lüge und Wahrheit reichen sich da allerfreundlichst die Hände, wo die volle Nichtigkeit alles Seins zu Hause ist. Unter solchen allersichersten und vollwahrsten Aussichten ist es dann wohl höchst gleich, unter welcher Narrenkappe man das Leben auf dieser Erde durchgemacht hat. Solange man aber lebt, sollte man dennoch des eigenen irdischen Wohles wegen sorglichst alles hintanzuhalten trachten, was einem das bißchen Leben verbittern und unangenehm machen kann; alles andere ist Fabel und Schimäre (Hirngespinst). Wer das Leben aber für etwas Höheres ansieht, der betrügt sich nur selbst.

05] Diese Ansicht stelle ich aber nicht als eine in der Natur der Dinge begründete Sache, sondern nur als Folge auf, da nahezu ein jeder Mensch, der fix irgendeiner Weltnarrenkaste angehört, zu dieser Ansicht gelangen und sich endlich ganz hineinleben muß, weil er nicht anders denken, reden und handeln darf, als wie es ihm die stereotypen Kastengesetze vorschreiben. Ich kann ein oder tausend Male allerhellst überzeugt sein, daß es sich mit dem Nazaräer gerade so verhält, wie dein hoher Mund es mir ehedem bekannt gemacht hat; was nützt mir das dann? Solange ich ein geschworenes Mitglied der Kaste hin, bleibt mir doch sicher nichts übrig, als mit ihr aus vollem Halse zu heulen: "Nieder mit ihm! Denn er ist ein Gefährder unseres Institutes und beschränkt dessen notwendige Einkünfte!"

06] Ich kann mir, ganz bei mir heimlichst, freilich denken: "Die Gesamtkaste will es und hat durchs Los dich zu ihrem Werkzeuge gemacht! Und so ziehe ich denn auch aus und handle blind nach den erhaltenen Vorschriften, über die hinaus oder unter die ich nichts irgend nach meiner Privatansicht unternehmen kann und darf!" Ferner denke ich mir aber noch geheimer: "Ist an dem zu Verfolgenden etwa im Ernste etwas, so wird er mit uns bald fertig werden, und wir werden als die Besiegten unsere geweihten Gemächer wohl kaum mehr zu sehen bekommen; ist aber weiter nichts an ihm als eine neue Maulmacherei, wie sie uns schon tausend Male vorgekommen ist, dann ist er ganz gut weg, wenn man seiner nur habhaft werden kann! Denn was bezweckt er? Nichts als die Gründung eines neuen und vielleicht noch ärgeren Kastentums!"

07] Oh, im Anfange sieht alles gar so göttlich aus! Sehen wir an das Leben Abrahams und seiner ersten Nachkommen! Man sieht die Gottheit mit ihnen gar oft sichtbar umgehen und sie den Weg der Gerechten führen, - nota bene, wir waren freilich nicht dabei! Aber zu der Zeit Mosis, - wie haben da die Kinder Abrahams ausgesehen! Moses war wieder einmal einer, der die alten Weisen Ägyptens ganz gehörig durchstudiert haben muß! Er war in alle Schwächen des ägyptischen Hofes eingeweiht, hatte wahrscheinlich den Durst bekommen, selbst Herrscher dieses Reiches zu werden und räumte sich zu dem Behufe die legitimen Prinzen des Pharao aus dem Wege.

08] Der erste Plan mißlang. Er ergriff die Flucht und ersann einen andern Plan, um sein stammverwandtes, aber sonst unters Tierreich gesunkenes Volk durch geheime Propagandisten gegen den von der Wollust entmannten Pharao gehörig aufzustacheln. Als er erfuhr, daß sein Volk schlagfertig dastehe, da kam er selbst, mit großer Zaubermacht ausgerüstet, und fing an, dem Könige zu diktieren. Seinem Volke aber, das vielleicht noch so einen Dunst hatte von den früheren divinativen (göttlichen) Zuständen der Altpatriarchen, stellte er sich als einen Sendling Jehovas vor, machte ihnen allerlei dem Volke gar leicht begreiflich unbegreifliche Wunder vor, und so folgte ihm das Volk wie die Schafherden dem Leithammel.

09] Er wußte um die Eigenschaft des Meeres gar wohl, daß es täglich zweimal steige und wieder falle. Er hat den möglichen Durchgangspunkt lange vorher ausgespäht. Nur kaum zwei mäßige Stunden Weges ist die ganze Bucht breit. Zur Zeit des Niederstands des Meeres wird in der Mitte durch die Bucht ein über eine Stunde Weges breiter, fester Steinboden stets und gut auf drei Stunden Dauer vollkommen von Wasser frei und dient den Reisenden, wenn das Meer von keinem Sturme bewegt wird, als eine beste Übergangsbrücke. Schnellen Schrittes kann man ihn sogar in etwa einer starken Stunde Dauer durchmachen und befindet sich also auf dem kürzesten Wege gleich in der arabischen Wüste, die man sonst zu Lande, da sich das Meer über dieses Riff noch mehrere Stunden weit ausbreitet und ziemlich tief ist, kaum in vier bis sechs Tagen erreicht.

10] Moses berechnete das sehr klug, da er, wie sonst niemand von Pharaos Hofe, eine ganz gediegene Territorialkenntnis besaß. Er führte seine Massen schnellsten Schrittes über das Riff in die arabische Wüste und allerschroffsten Gebirgsgegenden, in denen, außer seinen Schwiegereltern etwa, wohl niemand etwas besaß. Ihm war darum diese Gegend und deren andere naturwunderlichen Eigenschaften, die unser Prophet sicher zu benutzen verstand, wohl sicher bekannt.

11] Aber lassen wir nun das und sehen uns noch ein wenig nach den übers Meer ziehenden Israeliten um, und wir sehen sie wie auf den Flügeln des Windes gerade den Weg vollenden, als Pharao, nun von Wut und Grimm entbrannt, seinem Heer auf demselben Wege den Israeliten nachzustürmen befiehlt. Wäre Pharao früher gekommen, so wäre unser guter Moses sicher nicht mit ganz heiler Haut davongekommen; aber seine Saumseligkeit und die Wegräumung der mannigfachsten Hindernisse haben sein Heer aufgehalten. Moses bekam einen bedeutenden Vorsprung und entkam seinem ihm nachsetzenden Feinde ganz glücklich. Als nun Pharao, dem Moses durch dasselbe Riff nachjagend, kaum eben des besagten Riffes Mitte erreichte, da fing das Meer wie gewöhnlich an, sehr rasch zu steigen und seine Wogen über des Pharao Heer zu treiben, und dieses fand da leicht begreiflich seinen sichern Untergang in den Fluten.“



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