Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 5, Kapitel 61


Die Erkenntniskraft der Liebe. Die Unzulänglichkeit des Verstandes und der Vernunft.

01] (Der Herr:) ”Die Liebe aber ist abermal eine Folge der Erregung des inneren Lebens, auf das eine Sache eingewirkt hat.

02] Das innere Leben ist Liebe, also ein Feuer mit aller Wärme. Wird dieses Feuer von der Einwirkung einer Sache, die selbst Feuer in sich hat, genährt gleichwie das Feuer auf dem Herde durch die Hinzulage von gutem Brennholze, so wird es lebhafter zu brennen anfangen, und es wird stets lebenswärmer und reger für die selbst brennbare Sache. Die Flammen werden dichter, ihr Licht heller, und die Seele wird bald viel Licht über eine früher ihr ganz unbekannte Sache erhalten. Dadurch aber wird die Liebe zu der Sache stets größer und größer, und man wird von der Sache nicht mehr ablassen, bis sie einem durch und durch bekannt wird und man vollends im klaren sein wird, was man an ihr hat, und was alles in ihr enthalten ist. Das geschieht aber nur, wenn die Liebe zu der Sache stets größer und intensiver wird.

03] Wenn aber das Leben von einer Sache gar nicht angeregt wird, so bleibt es kalt und kümmert sich um die ganze an und in sich noch so denkwürdige Sache nicht im geringsten, gleichwie da auch die Flamme nach jenen Holzscheiten nicht leckt, die ihr zu ferne liegen.

04] Der Mensch muß sonach von etwas angeregt werden, um über dasselbe in lebenswarme Gedanken zu geraten. Durch die kalte Wahrheit, die ein Leuchten der fernen Sterne ist, kann das innere Leben nie erregt werden, weil seine innere Wärme dabei keine Erhöhung, sondern nur eine Erniederung findet.

05] Du aber hast bis jetzt alles mit dem eiskalten Verstande gesucht, und der Hebel zu deinem Suchen war deine ebenso kalte Vernunft, die nichts als wahr annahm, was sich nicht irgend mit einem Sinne wahrnehmen ließ.

06] So suchtest du Gott mit der Rechentafel in der Hand, mühtest dich das A zu finden, fandest aber nicht einmal die Grundlinien zu diesem vielsagenden Buchstaben. Du suchtest auf Nordens Schnee- und Eisflächen Pflanzen, fandest aber nichts, obschon des Schnees Leuchten dich beinahe blind machte.

07] Ich meine hier unter den Schnee- und Eisflächen den kalt urteilenden Verstand und die noch kälter rechnende Vernunft, die keiner inneren geistigen Anschauung fähig sein kann, weil sie als grobmateriell unmöglich sich hat können erregen lassen von etwas rein Geistigem.

08] Es fiel dir manches auf, wie zum Beispiel die Wiederkehr der stets gleichen Formen in der dir schöpferisch vorkommenden Natur. Du dachtest an eine permanente Konsolidierung (ständige Verstärkung) einer ihrer selbst bewußten und potenziert intelligenten Lebenskraft, die, als alles durchdringen und ergreifen könnend, aus den Rohkräften dann die stets gleichen Formen wieder hervorzaubert. Die ganze Erde, Mond, Sonne und auch die Sterne betrachtetest du als einen Tempel, worin am Ende nun schon lauter unsichtbare Magier hausen. Indien gab dir dazu noch so manche scheinbare Bestätigung, und du wardst dann aus dem Grunde ein Haupteinrichter eurer Zauberkammer zu Essäa.

09] Aber da du das alles mit dem kalten Verstande tatest und dein Gemüt dabei nie erwachen ließest, so fandst du auch den Grund des Lebens nicht, so nahe du demselben mit deiner Vernunft auch gekommen bist, und versenktest dich wieder in die kalte und tote Materie, suchtest in derselben dein Heil und wolltest darin auch das Heil aller andern Menschen begründet erschauen.

10] Deine Sache ging schon jetzt eine geraume Zeit mit entschiedenen Erfolgen vorwärts; denn du warst und bist noch ein Haupt dieses Instituts, das ganz geeignet ist, die laie Menschheit in den finstersten Aberglauben und die bessere und denkende aber in den größten und allerdicksten Materialismus zu versenken. Du zerstörtest wohl schon gar manchen lebendigen Götzentempel, aber stelltest nichts Besseres an dessen Stelle. In dir war der Tod, und du fandst an ihm sogar einen willkommenen Gast; denn das Nichtsein ging bei dir über alle Lebensgrößen himmelhoch hinaus.

11] Warum aber ist mit dir all das geworden? Weil du nie in deinem Herzen irgendeine Liebe hast erkeimen lassen! Du hattest das innere Lebensfeuer in dir nicht bis auch nur zu einer mäßigen Flamme angefacht! So du aber sogar die Außenflächen deines Herzens noch nie in eine größere Tätigkeit versetzt hast, wie hättest du dann erst die inneren und sogar allerinnersten Lebenselemente des geistigen Herzensteiles in irgendeine Erregung versetzen können, aus der heraus bald das ganze Herz in der Flamme des wahren Lebens schneller gepocht und dein Bewußtsein erleuchtet hätte zur klaren Erkenntnis deiner selbst und zur daraus hervorgehenden Erkenntnis Gottes?!“



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