Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 4, Kapitel 54


Das Verhältnis zwischen Körper, Seele und Geist.

01] Sage Ich: ”Seht, nun erst wird er ins dritte Stadium übergehen; da merkt wohl auf seine Rede!“

02] Fragt Cyrenius: ”Herr, wenn Zorel nun auf dem für uns unsichtbaren Rasen einschläft, was wird dann dadurch bezweckt? Muß das sein, oder könnte er nicht ohne ein gewisses Einschlafen ins dritte Stadium übergehen?“

03] Sage Ich: ”Wenn seine Seele pur wäre, so ginge es auch ohne einen gewissen Schlaf; aber solange seine Seele noch durch gewisse Bande mit dem Leibe in Verbindung steht, muß vor dem Wechsel des Stadiums eine gewisse Betäubung eintreten, in der die Seele unvermerkt in ein anderes Stadium übergeht. Was des Zorel Seele nun im zweiten Stadium geschaut und gesprochen hat, war bis auf sich selbst nur eine zuständliche Erscheinlichkeit: im dritten Stadium erst kommt sie ins wahre Hellsehen, und was sie da reden wird, das wird auch volle Realität haben.“

04] Fragt Cyrenius: ”Was ist aber dann so ganz eigentlich der Schlaf? Wie und wodurch entsteht dieser?“

05] Sage Ich: ”Mußt du denn auch das wissen? Nun wohl denn, so du es schon durchaus wissen willst, da muß Ich es dir gleichwohl kundtun, und so höre denn!

06] Wenn du einen Rock am Leibe hast und nach griechischer Art eine Hose an den Beinen, so leben durch deines Leibes Bewegung Rock und Hose, das heißt, sie müssen deinem Willen sich also fügen, als wie sich deines Leibes Glieder fügen dem Willen deiner Seele. So du aber im Sommer in ein Bad gehst, da ziehst du die Kleider aus, weil du sie im Bade nicht brauchen kannst. Rock und Hose befinden sich nun, während du im Bade bist, in einer notwendigen Ruhe und haben für sich weder eine Regung noch eine Bewegung. Entsteigst du wieder dem Bade, so werden dein Rock und deine Hose gleich wieder die frühere Regung und Bewegung bekommen und gewisserart mit dir leben. Warum zogst du aber des Badens wegen deine Kleidung aus? Sieh, weil sie dir beschwerlich war und dich zu drücken begann! Im Bade aber hast du dich gestärkt, und deine dir beschwerlich gewordene Kleidung wird dir nach dem Bade völlig federleicht vorkommen.

07] Wenn deine Seele durch des Tages Beschwerden müde und schwach geworden ist, so erwacht in ihr das Bedürfnis nach einer erquicklichen und stärkenden Ruhe. Da zieht dann die müde Seele alsbald ihr gegliedertes Fleischgewand aus und begibt sich in ein stärkendes Bad des geistigen Wassers und badet, reinigt und stärket sich darin; ist sie wieder stark geworden, dann begibt sie sich wieder in ihren Fleischrock und bewegt dessen schwerfällige Glieder wieder mit einer großen Leichtigkeit.

08] Nun hast du aber durch die Erzählung des Zorel sicher gesehen oder vielmehr so recht lebendig wahrgenommen, dass in seiner Seele noch ein innerster Lichtmensch aus dem Herzen der Seele aufzukeimen angefangen hat, zu dem sich das Wesen der Seele nahe also verhält, wie zur Seele ihr materieller Leib. Nun, dieser Lichtmensch hatte zuvor in dieser seiner Seele, als seinem gegliederten Gewande, noch nie eine wie immer geartete Stärkung erhalten; er lag so im Herzen der Seele wie das Ei im Weibe ohne eine männliche Belebung, Erregung und Erweckung. Durch diese eigenste Behandlung ist der eigentliche Urlebenskeim durch Mein und durch des Zinka Wort für den Moment belebt, erregt und erweckt worden, und da das mit ihm vorgenommen ward, so fing er an zu wachsen so lange, bis er seine ganze Seele, das ist sein Kleid, erfüllt hatte mit seinem rein geistigen Wesen.

09] Die Seele aber, obschon so viel als für den Moment möglich gereinigt, hat doch noch so gewisse materielle Teile in sich, die für den reinen Geist zu beschwerlich sind, da er früher nie ein solches Joch zu tragen eingeübt ward. Dieser gewisserart nur auf eine künstlich geistige Weise erweckte und zum Schnellwachstume genötigte Geistmensch ist zur Tragung der schwerfälligen Seele noch viel zu schwach und sehnt sich nach Ruhe und Stärkung. Dieser Scheinschlaf der Seele auf dem Gebirgsrasen ist sonach auch nichts anderes als eine Entkleidung des Geistes von den materiellsten Teilen seiner Seele; nur das ihm Ähnliche in der Seele behält er, das andere muß derweil also ruhen, wie der Leib ganz stumm ruht, wenn die Seele sich stärkt, oder wie dein Rock ruht, wenn du deinem Leibe in einem Bade eine erquickliche Stärkung gönnest.

10] Aber es besteht bei solcher zur Stärkung der edleren Menschensphäre erfolgten Zur-Ruhe-Legung der gröberen und unedleren Außenteile dennoch immerdar eine Verbindung. So jemand käme, wenn du im Bade dich erquickst, und nähme dein ausgezogenes Kleid und begänne es zu zerstören, da würde deine natürliche und notwendige Liebe zu deinem Kleide sogleich ein ganz gewaltiges und grimmiges Veto einlegen. Eine noch intensivere Verbindung besteht zwischen dem Leibe und der Seele; wer vor der Zeit den Fleischrock nehmen und zerstören wollte, den würde sie dann ganz kurios behandeln.

11] Aber die Verbindung zwischen Seele und Geist ist eine allerintensivste, weil die Seele, besonders eine ganz reine, selbst ein ganz geistiges Urelement ist, und der Geist würde eine ganz entsetzliche Bewegung machen, so man ihm seinen Leib und sein Kleid ganz entreißen wollte. Er würde dann gleich ins höchste Feuer geraten und alles zerstören, was sich ihm nahen würde.

12] Aber das Materielle muß die Seele zuvor doch ganz ablegen, bis der Geist das ihm Verwandte in ihr als sein Selbstisches anziehen kann und werden mit demselben ein vollkommenes Ich. Das Materielle der Seele ist für den Geist ersichtlich in dem, womit die Seele bekleidet ist. Du hast gehört, wie Zorel von einem schmutzigen Hemde redete, das er selbst reinigte im See, dann ausbalgte und als ein noch feuchtes Vestiment anzog. Siehe, dies Vestiment ist eben die noch materielle Außenseite der Seele, die zuvor ab- und zur Ruhe gelegt werden muß, bevor der innerste, göttliche Geistmensch völlig in seine ihm nun sehr verwandte Seele übergehen und mit ihr eins werden kann.

13] Das braucht stets eine kleine Zeit für den Moment des Überganges, weil alles, was in den eigentlichen Bereich des freien Lebens gehört, erst mit dem neuen und edleren Wesen in eine volle Verbindung (geistige Ehe) treten muß, bevor das neue Wesen oder der neue, himmlische Mensch als in allem selbst fühlend, denkend, sehend, hörend, riechend, schmeckend und aus sich heraus selbsttätig auftreten kann. In dem gewissen Schlafe geschieht solche notwendige geistige Übersiedlung; ist die Übersiedlung geschehen, so ist der neue Mensch fertig und braucht zu seinem nur ganz rein geistigen Bestehen fürder ewig keine weitere Umwandlung mehr.

14] In solchem Zustande ist aber ein Mensch dann auch ganz vollendet und kann in der Wesenheit nicht noch mehr vollendet werden; nur im Erkennen und im steten Vollkommenerwerden in der reinsten Liebe und Weisheit der Himmel und ihrer die ganze Unendlichkeit ordnenden, regierenden und führenden Macht ist ein stetes Zunehmen in Ewigkeit und dadurch auch die Erreichung einer stets höheren Seligkeit als Folge der stets höheren Liebe, Weisheit und Macht zu gewärtigen.

15] Als ein so vollendeter Geistmensch wird nun unser Zorel sogleich auftreten und wird immer noch durch seinen Fleischmund Kunde geben von der Vollendung seiner wesenhaft höchst vollendeten Menschheit. Gebet nun acht; er wird sogleich wieder zu reden anfangen!“



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