Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 3, Kapitel 196


Die Frage Jesu über den Messias.

01] (Der Herr:) ”Was haltet ihr denn von dem verheißenen Messias, der nach der Weissagung aller Propheten eben in dieser Zeit zur Erlösung der Juden kommen soll? Haltet ihr so als gescheite Leute im Ernste etwas darauf, oder haltet ihr wie nun viele nichts auf solche für den menschlichen Verstand zu mystisch gehaltenen Weissagungen?“

02] Sagt der Deputierte: ”Mein erhabener Freund! Das ist eine äußerst heikle Sache! Nichts darauf halten, wäre für einen echten Juden denn doch zu vermessen, - und im vollsten Ernste etwas darauf halten, ist eben auch eine sehr gewagte Sache; denn man kann dadurch dem finstern Aberglauben das breiteste Tor öffnen und ihm somit den freiesten Eintritt bereiten!

03] Ob nun gar kein Glaube vor dem finstersten Aberglauben einen Vorzug - oder umgekehrt - hat, das zu entscheiden überlasse ich gerne größeren Weisen, als ich einer bin. Aber soviel sagt mir mein stets nüchterner Verstand, dass gar kein Glaube vor einem finstersten Aberglauben einen bedeutenden Vorzug zu haben scheint.

04] Denn gar kein Glaube gleicht meiner Ansicht nach einem neugeborenen Kinde oder einem leeren, brachliegenden Acker, in welchen noch nichts gesät ist. Das Kind kann durch eine gute Erziehung zu einem vollweisen Manne werden, und in den brachliegenden Acker kann jede Art einer edlen Frucht gesät werden; ist aber der Acker einmal wucherig mit Unkraut aller Art überwachsen und ein erwachsenes Kind in allerlei Dummheiten unterwiesen, so geht es dann mit der Weisheitsbildung entweder gar nicht mehr oder doch sicher höchst mühevoll. Und wie schwer ein Acker von allem Unkraute zu reinigen ist, das weiß ein jeder ehrliche Landwirt, dem es je darum zu tun war, seine Äcker von allem Unkraute zu reinigen und dann rein zu erhalten! - Nun, erhabener Freund, das ist so ziemlich unsere nüchterne Ansicht.

05] Wir sagen in bezug auf den verheißenen Messias weder ja noch nein; wenn aber irgendein rechter, in der Schrift kundiger Weiser uns die Sache aufhellen will, so wird er uns als Juden und Menschen sich sehr verbindlich machen. Weißt du darüber irgend etwas Haltbares, so gib es uns kund; an unserer Dankbarkeit darum soll es ewig nie irgendeinen Mangel haben!“

06] ”Ganz richtig geurteilt!“, sage Ich zum Deputierten. ”Kein Glaube ist besser um vieles denn ein finsterer Aberglaube; aber er hat dessenungeachtet dennoch auch einige schlimme Auswüchse, die am Ende, wenn sie einmal so recht verhärtet worden sind, ebenso schwer zu heilen sind, als ein unkrautvoller Acker zu reinigen ist.

07] Der unkrautvolle Acker aber zeigt wenigstens an, dass sein Boden ein guter ist, ansonst darauf auch kein Unkraut wachsen würde; dies zeigt aber ein völlig brachliegender Acker nicht.

08] Weißt du, wenn der sogenannte mathematisch determinierte (bestimmte) Weltverstand bei einem Menschen einmal so recht kernfest Platz gegriffen hat, dann ist es mit einem noch so erhabenen, überweisen Glauben an etwas rein Geistiges schon eine sehr schwere Sache! Ein solcher Verstandesmensch will am Ende alles mathematisch erwiesen haben. Von Dingen, die er nicht sehen und bemessen kann, will er gar keine Notiz nehmen.

09] Nun urteile du selbst, ob es dann mit solch einem Menschen in bezug auf die Annahme des rein Geistigen nicht auch eine nicht leichte Sache ist!“

10] Sagt der Deputierte: ”Allerdings, erhabener und weisester Freund! Aber da kann man denn doch wohl schon mit einer sehr bedeutenden Zuversicht behaupten, dass es dergleichen Menschen wenige gibt, und diese sehr vereinzelten Schwalben machen noch lange keinen Sommer. Solche Verstandesgelehrte sind aber für die Wahrheit am Ende dennoch um vieles zugänglicher als all die schwarzen Helden des finstersten Aberglaubens, besonders wo dieser ein Brotglaube geworden ist! Als solcher läßt er mit sich schon gar nicht handeln und sucht alles, was ihn irgend beeinträchtigen könnte, mit Feuer und Schwert zu verfolgen. Solches erleben wir von seiten unserer Priesterschaft, der nunmehr schon kein Mittel zu schlecht ist, um durch dasselbe ihre schwarzen Betrügereien vor Verfolgung zu schützen!

11] Ich will aber damit gar nicht die Behauptung aufstellen, als hätten die Priester irgendeinen Glauben für das, was zu glauben sie die andern auf Mord und Brand bei den Haaren dazuziehen; denn ihr Motiv ist Brot, bestes Brot, und viel Goldes, Silbers und Edelsteine. Aber die vielfach geblendete Menschheit glaubt es dennoch, und das oft mit dem empörendsten und grausamsten Fanatismus!

12] Nun, vor solch einer tollsten Glaubensmenschheit hat denn doch selbst der stereotypste (festeste) Verstandesmensch ungeheuer vieles und vieles zum Seligen voraus! Er ist wenigstens ein Freund von einer wenn auch höchst stereotypen Wahrheit, während die recht aberglaubensschwarze Menschheit jede Art Wahrheit von sich weist und lieber einen Baumstock für einen Affen denn als das, was er ist, ansieht.

13] Ein Freund der Wahrheit aber ist auf irgendeine vernünftige Art doch immer zugänglich, während bei den schwarzen Abergläubern an eine nur scheinbar vernünftige Zugänglichkeit mit irgendeiner Wahrheit gar nicht von ferne zu denken ist.

14] dass zu determiniert mathematische Menschen schwer zum puren Glauben zu bringen sind, ist eine ganz bekannte Sache; hat aber ein solcher Mensch einmal etwas angenommen, wenn auch nur als eine Hypothese (Annahme), so wird er sie auch metallfest halten und alles aufbieten, um sie als eine kernfeste Wahrheit möglichst sogar mathematisch zu erweisen.

15] Wird das je ein finsterer Abergläuber tun?! Dem gilt Kot und echtes Gold gleich; und ich bleibe einmal fest dabei, dass gar kein Glaube um vieles besser ist als ein Glaube, wie er zum Beispiel bei uns zu Hause ist!

16] Wie wir aber vernommen haben, so soll auch die jerusalemische Tempelpriesterschaft nun um eben nicht vieles besser sein als unsere persische. Mit der wunderbaren Bundeslade soll es schon seit lange her seine erwiesen geweisten Wege haben; denn wir wissen es nur zu gut, wann und wo für die alte eine neue ist angefertigt worden, - natürlich in Jerusalem nicht, sondern bei uns hübsch tief im Perserlande, damit es nicht verraten würde. Aber es nützte ihnen das doch nicht gar zuviel; denn sie mußten den persischen Künstlern am Ende fürs Schweigen zehnmal soviel zahlen, als die ganze Lade wert war, und die Künstler aber erzählten es nachher doch den Einheimischen und diese uns Juden. Darum, erhabener Freund, halten wir wohl so recht kernfest an der Lehre Mosis, obschon es auch da Dinge gibt, die gerade natursinnlich ein barer Unsinn sind; niemand jedoch weiß einen gesunden Sinn hineinzulegen, und so grübelt niemand irgend weiter darüber nach. Aber was da betrifft das Gesetz und die Moral, so ist das unübertrefflich gut und weise, und niemand kann sich da auch in einem hellsten Morgentraume etwas Weiseres und Besseres träumen lassen!

17] Diesen Teil der Schrift nennen wir aber auch allein den göttlichen; was alles andere betrifft, geht uns wenig oder gar nichts an, namentlich der prophetische Teil, den kein Mensch verstehen kann.

18] Das uns von dir erklärte Bild des Elias ist zwar sehr treffend und schön in bezug auf den zu erhoffenden Messias, der höchstwahrscheinlich nur ganz rein geistig zu nehmen ist, - aber was da die andern Propheten darüber weissagen, ist höchst mystisch, bedarf einer starken Erklärung und eines noch stärkeren Glaubens, der glücklicherweise bei uns gar nicht mehr zu Hause ist!

19] Es ist für uns förmlich rühmenswert, dass wir wenig oder gar keinen Glauben an dergleichen extravagante Dinge haben; aber dafür glauben wir desto intensiver an den einen wahren Gott, der durch Moses wahrhaftigst zu den Kindern dieser Erde geredet hat!

20] Aber sehr vieles von unserm überzeugend festen Glauben an Gott verdanken wir auch dem Plato, dessen Schriften wir lesen und befolgen. Moses ist praktisch und zeichnet den Weg des Lebens mit scharf markierten Linien; Plato aber ist durchgängig Geist, Seele, und zeigt der Seele die Seele und dem Geiste den Geist. Und das alles zusammengenommen: Moses, Plato, Sokrates und mehrere Propheten, im rechten Lichte wohl verstanden, nennen wir den eigentlichen Messias, der von oben, von wannen alles Licht zur Erde kommt, und zu den Menschen, die eines guten Willens sind, kommen wird.

21] Nun, erhabener und weiser Freund, habe ich dir uns so ganz aufgedeckt, wie wir sind, denken und fühlen; es ist nun an dir, so dir etwas Besseres bekannt ist, uns, so du es willst, damit bekannt zu machen! Was hättest denn du zum Beispiel für eine Ansicht über die Propheten und über den verheißenen Messias?“



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