Jakob Lorber: ''Das große Evangelium Johannes', Band 2, Kapitel 181


Markus und die Zehnteintreiber der Pharisäer.

01] Zugleich aber bemerkten wir auch, wie etliche Pharisäer aus der Stadt Cäsarea Philippi gerade auf dem Wege zu der ärmlichen Wohnhütte des Markus sich recht emsig bewegten. Sagte Matthäus, der junge Mautner (Zolleinnehmer) aus Sibarah, der schon einmal bei Kapernaum, als ein Kranker geheilt ward, den man durch das angerissene Hausdach und durch die Zimmerdecke der Volksmenge wegen vor Mir herabließ, die Pharisäer mit seinem Munde sehr bedient hatte: »Diese Brut muß Kunde von Deinem Hiersein erhalten haben! Aber durch wen? Es müßten nur des Markus Söhne, die zweimal mit den Fischen zur Stadt gefahren sind, uns verraten haben!«

02] Sagt der alte Markus: »Das ist schon möglich; denn so brav sonst meine Söhne sind, so haben sie aber doch das Übel, daß sie gerne plaudern, wodurch sie schon so manches Unheil angezettelt haben. Ich werde aber gleich hinabgehen und werde sie fragen.«

03] Sage Ich: »Bleibe du deshalb nur ganz ruhig hier! Denn weder deine Söhne noch irgend jemand anders aus der Gegend hat Mich verraten, sondern sie kamen zu dir rein der Fische wegen hierher; sie wollen ein Geschenk von etwa hundert Fischen, von denen sie welche in der Stadt gesehen, aber nicht gekauft haben. Du weißt es ja, daß sie überall den Zehnt zu nehmen berechtigt sind, wo es irgendeine Ernte gibt; nun ist aber solch ein reicher Fischfang auch eine recht reiche Ernte, und sie meinen denn auch ein Recht zu haben, davon den Zehnt zu verlangen. Gehe darum hinab und gib hundert Fische, und sie werden dich beloben und werden die Fische nehmen und mit ihnen ganz ruhig alsogleich wieder nach Hause ziehen!«

04] Sagt Markus: »Aber wie werden sie hundert Fische weiterschaffen?«

05] Sage Ich: »Darum kümmere dich nicht, das wird schon ihre Sorge sein! Sieh nur hin, da sie uns schon ziemlich nahegerückt sind, und du wirst in ihrer Mitte ein Lasttier einhertraben sehen; dessen Rücken ist schon mit allem zum Weiterbringen der Fische Nötigen versehen.«

06] Markus sieht schärfer auf die kleine, sich seiner Behausung nahende Karawane und entdeckt nun gar leicht das, worauf Ich ihn aufmerksam gemacht habe, und sagt: »Herr, es ist schon also, wie Du gesagt hast! Aber nun eile ich schnell hinab, und es sollen die hundert Fische in der großen Wanne schon für sie bereitet dasein, was sie sicher ein wenig stutzig machen wird!«

07] Sage Ich: »Gehe und tue das! Aber wenn sie dich fragen, wie du solches wissen konntest, da sei auf eine kluge Antwort bedacht; doch mit einer Lüge darfst du sie nicht abfertigen!«

08] Markus geht, läßt sogleich hundert Fische aus den Behältern herausheben und sie in die große Wanne tun. Als er kaum mit der Arbeit fertig war, da kamen auch schon die etlichen jungen Pharisäer und fragten nach dem Fischer Markus. Markus meldete sich bald und sagte, da er sich noch bei der Fischwanne befand: »Hier bin ich, und hier in der Wanne befindet sich, um das ihr wahrscheinlich gekommen seid! Es ist der für euch gewissenhaft bemessene Fischzehnt, bestehend aus hundert Stück der auserlesensten Fische, die in unserem Meere je gefangen werden!«

09] Die Pharisäer sind ganz verblüfft über solch eine Anrede, und einer von ihnen sagt: »Alter, bist du denn ein Prophet, daß du schon zum voraus weißt, warum wir aus der Stadt hierhergekommen sind?«

10] Sagt Markus: »Dazu braucht man wahrlich kein Prophet zu sein, sondern man braucht bloß fünf gute Sinne zu haben und ein bißchen Verstand dazu, und man bringt es leicht auf ein Haar heraus, warum ihr herausgekommen seid! Da, da nehmet die Fische und ziehet in Frieden wieder weiter! Ich habe heute noch viel zu tun, und der Mittag ist nicht ferne; wir haben heute viel gearbeitet und müssen uns ein Mittagsmahl bereiten gehen!«

11] Sagt einer der Pharisäer: »Du solltest aber uns zu den hundert Stücken noch dreißig hinzutun als Strafe; denn es war nicht fein, daß du uns, als den Dienern Gottes, die beständig für dein Heil zu Gott dem Allmächtigen flehen, nicht gleich nach dem Fange die Erstlinge durch deine Kinder in die Stadt gesandt hast!«

12] Sagt Markus: »Da, da sind nicht dreißig, sondern vierzig Stück noch hinzu! Und nun bitte ich um eure Zufriedenheit, und - daß ihr mich bald wieder verlasset!«

13] Sagen die Pharisäer: »Wir haben von Gott das Recht, zu kommen, wann wir wollen, und also auch zu gehen! Lade die Fische in unsere mitgebrachten Lägel, und wir wollen dann gleichwohl sogleich weiterziehen!«

14] Markus befiehlt sogleich seinen Kindern, den Willen der Pharisäer zu erfüllen, und sie legen denn auch sogleich Hand ans Werk und füllen die Lägel der Pharisäer mit den nun einhundertvierzig Fischen.

15] Als die Arbeit beendet ist, sagt Markus: »Nun ist alles erfüllt, was ihr verlangt habt. Seid ihr zufrieden?«

16] Sagt ein sehr keck aussehender junger Pharisäer: »Nein, und noch hundert Male nein! Denn du redest mit uns als wie mit dir lästigen Weltleuten und vergissest, daß wir Diener des allmächtigen Gottes sind, die dich mit einem Hauche für ewig verderben können! Dein trotziges Benehmen gegen uns soll daher nicht nur mit einhundertvierzig Fischen, sondern mit der Wegnahme aller deiner Habe geahndet werden!«

17] Hier wird es dem Markus zu bunt. Er läuft in die Hütte und kommt sogleich mit einer Pergamentrolle heraus zu den Pharisäern, auf der es mit großen Buchstaben geschrieben stand, daß er durch und durch ein Römer sei und als solcher von allen Rechten eines freien Bürgers Roms den vollen Gebrauch machen könne, so er nur wolle.

18] Fragt der kecke Pharisäer, nun etwas verblüfft, und sagt: »Nun, wie lange ist man denn schon ein Heide? Denn man war unseres guten Wissens noch vor kurzem ein Jude!«

19] Sagt Markus: »Markus war nie ein Jude, sondern ein geborener Römer, der bei dreißig Jahren dem Mars gedient hat mit Schwert, Helm und Schild. Aber dieser Markus ward auf eine Probezeit von drei Jahren ein unbeschnittener Jude; da er aber, abgesehen von der erhabeneren Gotteslehre der Juden, sich nur zu bald überzeugt hatte, was die Priester dieser erhabeneren Gotteslehre für ehrlose, heimlich ihren Gott und ihre Lehre mit Füßen tretende und die arme Menschheit bei jeder Gelegenheit hinters Licht führende, ärgste und gewissenloseste Heuchler sind, die ihrem Gott wohl aufs Gesicht vor dem blinden Volke dienen, ihre Herzen aber in aller Tiefe der Hölle begraben halten und darum auch auf das gewissenloseste mit dem Blute der unschuldigsten Kinder der Samaritaner einen allerschändlichsten Handel treiben, so bin ich wieder ein voller Römer geworden und werde als solcher auch sterben! Nehmt nun euren Raub, und ziehet damit heim! Ich gebe ihn euch nur, weil ich vor kurzem ein unbeschnittener Jude war drei Jahre hindurch!«

20] Sagen die Pharisäer: »Aber Markus, wie ist das möglich, daß du nun auf einmal ein gar so gescheiter Mensch geworden bist? Wir kennen dich ja schon lange als einen Menschen von großer Geistesbeschränktheit! Du wußtest vor uns oft ja kaum, ob du ein Mann oder ein Weib seiest; wie bist du denn nun auf einmal mit solchen Geistesfähigkeiten versehen worden?«

21] Sagt Markus: »Das war eine sehr römisch pfiffige Maske, um als ein allerdümmster Kerl so ganz leicht hinter alle eure bösen Schliche, Streiche und Schändlichkeiten zu kommen! Ich stehe aber dennoch dafür, daß ich Moses und alle die Propheten besser denn ihr verstehe, - obschon ich in der Tat ein Römer, aber im Herzen schon lange ein echter Jude bin!«

22] Sagen die Pharisäer: »Ohne die Beschneidung kann niemand ein Jude sein und sich Gott nahen!«

23] Sagt Markus: »Eure Art, sich Gott zu nahen, habe ich auch nie angestrebt, sondern allein im Herzen nach der Lehre des Propheten Jesaja, und das genügt mir. Sollte ich aber darum von Gott verdammt werden, weil ich mich nicht habe beschneiden lassen, so wird euch das wenig kümmern. Ich aber denke: Gott ist weiser denn alle Menschen, und endlos weiser und besser und gerechter denn ihr, und sieht nur auf ein reines, beschnittenes Herz und nicht auf die Beschneidung der Vorhaut, die bloß einen irdischen Zweck haben mag, geistig aber im Grunde des Grundes eine Dummheit ist. Als Jude im Herzen gebe ich euch aber dennoch den Zehnt; aber ich gebe ihn freiwillig, und ihr habt keinen Funken Rechtes, einen von mir, als römischem Bürger, zu fordern. Gehet aber nun, sonst nehme ich die Fische zurück und lasse euch leer heimziehen! - Habt ihr mich wohl verstanden?«

24] Auf diese energische Rede unseres Markus sagen die Pharisäer kein Wort mehr und ziehen mit den Fischen heim.«


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