Jakob Lorber: ''Das große Evangelium Johannes', Band 2, Kapitel 145


Realisierung eines gemeinsamen Traumes der Jünger Jesu.

01] Der Hauptmann fängt an, sich ganz behutsam vom Boden aufzurichten und sagt: »Herr und Meister! Dir vor allem allen Dank, daß ich noch lebe auf dieser Höhe! Wie leicht hätte ich bei einem dreimaligen Umdrehen hinab in die Tiefe stürzen können, und mit meinem armseligen Leben hätte es für die Welt ein ewiges Ende genommen! Aber ich lebe noch und zwar auf derselben Stelle, an der ich gestern die Ruhe nahm, und das habe ich nur Dir allein zu danken und danke Dir darum auch aus aller Tiefe meines Herzens! Ich bitte Dich aber auch zugleich inbrünstigst, daß Du mich und alle andern von dieser schauderhaften Höhe wohlerhalten möchtest hinab nach Genezareth kommen lassen, und das sobald als möglich; denn solange ich mich noch mit dem Hinabsteigen in meinem Gemüte beschäftigen muß, kann bei mir von einem guten Mute keine Rede sein!«

02] Sage Ich: »Hast du, lieber Freund, denn in dieser Nacht gar nichts geträumt?«

03] Sagt der Hauptmann: »Ja, ja, richtig, ja, - hätte vor lauter Angst beinahe den herrlichen Traum vergessen! Ja, wenn dieser Berg so wäre, wie ich ihn gestern im Traume gesehen habe, so wäre es freilich eine Freude, ihn noch tausend Male zu besteigen; aber ein Traum bleibt ein Traum!«

04] Sagt der neben ihm stehende Ebahl: »Mitnichten, Freund! Ich sage es dir, daß diesmal unser gleicher Traum die vollwahrste Realität angenommen hat. Stehe auf und gehe an der Spitze Ränder, und du wirst dich überzeugen, daß unser Berg sogar gegen die Meeresseite hin nun ganz sanft abfällt und allenthalben ohne die geringste Gefahr zu besteigen ist, hinab wie herauf! Ich habe mich schon von allem überzeugt und sage dir die vollste Wahrheit. Komm und überzeuge dich selbst!«

05] Sagt der Hauptmann: »Eine Gesichtstäuschung wird es etwa doch nicht sein?«

06] Antwortet Ebahl: »So ich und meine Weiber und Kinder schon auf dieser Gesichtstäuschung nach allen Richtungen hin herumgegangen sind, da wird deine Gesichtstäuschung doch etwa irgendeinen festen Grund haben!? Gehe, erhebe dich vom Boden und überzeuge dich von allem selbst!«

07] Auf diese Worte erhebt sich der Hauptmann endlich, sieht sich nach allen Seiten um, findet zuerst die Platte des Berges sehr erweitert und sagt: »Ja, ja, ich sehe im Ernste, daß da in der Nacht große Veränderungen allerwunderbarst vor sich gegangen sind; aber gehe du doch zuerst auf den neuen Boden, damit ich mich überzeuge, daß er wirklich fest ist!«

08] Sagt Ebahl: »Freund, ein so schätzbarer Mann du sonst auch bist, so wirst du mir aber infolge deiner beständigen Zweifelsucht schon zuwider! Gilt mein Wort bei dir denn gar nichts mehr? Wenn doch habe ich zu dir je ein unwahres Wort geredet, daß du mir nichts aufs Wort glauben willst? Komm her und prüfe selbst, und zweifle dann fürder nicht mehr!«

09] Sagt der Hauptmann: »Ja Freund, ja, du hast recht! Ich werde mich selbst von allem überzeugen.«

10] Hier bewegt sich der Hauptmann ganz ruhigen Schrittes an den Rand gegen Genezareth, und als er der sanften Abdachung des Berges gewahr wird, so sagt er, sich dabei hoch wundernd: »Ja, da ist ja der ganze Berg auch übersetzt worden! Als ich gestern von diesem Rande nach Genezareth hinabschaute, da kam es mir so nahe vor, daß ich es mit einem Steinwurfe hätte erreichen müssen; und nun liegt es gut hundert Feldwege von hier, und wir werden bei sechs Stunden zu gehen haben, bis wir unser liebes Städtchen erreichen werden!

11] Nein, wer da noch einen Zweifel hat darüber, daß unser Jesus Gott und Mensch zugleich ist, dem kann auch kein Gott mehr helfen! Ja, du Bruder Ebahl, du hattest vorhin ganz recht, als du mich einen dir widrigen Zweifler nanntest; denn ich war es wirklich! Aber nun ist alles Zweifelns bei mir ein Ende, und ich glaube und bekenne nun vor euch allen mit einem Eide, daß unser Meister und Heiland Jesus vollkommen ein Gott ist, und außer Ihm es ewig keinen zweiten und dritten geben kann; denn weil das mir Geträumte wahr ist, so wird auch alles andere vollends wahr sein! Und da ist Er der alleinige Gott und Herr über die ganze Unendlichkeit!

12] Aber nun gehen wir zur Jarah hin, - die muß uns ihre zwei Gedächtniszeichen vorzeigen! Denn ich habe sie im Grunde des Meeres, als ein Himmelsgeist das Wasser bis auf den letzten Tropfen heraushob, eine herrliche Perlenmuschel auflesen und in ihre Schürze stecken sehen, und ich sah auch den leuchtenden Stein, den sie aus einer Sonnenwelt mitnahm, in die sie der Himmelsgeist gebracht hatte. Sind die zwei erwähnten Stücke auch also leibhaftig vorhanden wie dieser erneuerte Berg, dann haben wir der Beweise mehr, als wir deren vonnöten haben!«


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