Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 01, Kapitel 229


Feigheit des Jairus. Straf- und Bußpredigt durch Arzt Borus, der Hilfe für die sterbende Tochter des Jairus ablehnt und geht.

01] Sagt Jairus: »Freund, ich verstehe dich besser, als du es meinst; aber es gibt nun Dinge, die, wenn man sie auch noch so wohl verstände, in bezug auf des Menschen weltliche Stellung gar nicht verstanden werden dürfen!

02] Du mußt als ein in der Welt hochstehender Mensch gar oft lachen, wo du im Grunde weinen möchtest, und mußt oft trauern, wo du dich im Grunde bis zum Hüpfen und Tanzen freuen möchtest. Was kannst du aber machen als ein einzelner, für dich allein dastehender Mensch?! Kannst du wider den reißenden Strom schwimmen, so du einmal in seiner Gewalt bist?!

03] Wir Menschen aber haben eine empfindliche Haut und einen noch empfindlicheren Magen; diese beiden wollen befriedigt sein, und es bleibt uns daher nichts übrig, als entweder Verstand und Vernunft rein auf einen Nagel zu hängen und mit dem Schwalle mitzurennen oder als irgendein verachteter Bettler irgendwo in einem Winkel der Erde zu verenden wie ein durch ein Wurfgeschoß verwundetes Wild.

04] Glaube mir, dass ich, unter uns gesprochen, Christum besser kenne als du; aber was nützt alles das gegenüber Rom und Jerusalem?! Rührst du dich, so hast du den letzten Tag gelebt!

05] Jesus mag im Ernste ein Sohn des allerhöchsten Gottes sein, woran ich bei mir selbst nicht den geringsten Zweifel habe; darf ich aber meiner irdischen Stellung wegen meinen innern Glauben, ja meine innere Überzeugung öffentlich aussprechen?! Und täte ich es, was dann mit unsereinem?!«

06] Sagt Borus: »Was dann, was dann? - So hat allzeit die Welt ihres Wohllebenhanges wegen elende Fragen gestellt an irgendeinen Freund, dem die reine Wahrheit allzeit mehr galt als alle Reiche der mit allem Fluche beladenen Welt; und darum hat auch die heilige Wahrheit allzeit ihr bestimmtes Grab in der Haut und im Bauche des wohllebensgierigen Menschen gefunden!

07] Wem um das Wohlleben und einen glänzenden Ruf der Welt mehr zu tun ist als um die göttliche Wahrheit, der kommt selbst beim angeborenen besten Gemüte in solche Fragen und Bedenklichkeiten, zieht sich vom göttlichen Lichte in die Finsternis der Welt zurück und verleugnet also Gott und alles Licht aus Ihm, - und frage: Warum? - Was legt ihm das als eine Notwendigkeit an sein Herz? Sieh, nichts als sein Hang zum Wohlleben aller Art! Gierig hascht er darum nach allem, womit er sich das verschaffen kann, was ihm das Wohlleben als fixiert sichern kann; und hat er mit oft vieler Mühe und Beschwerde das erreicht, danach er rein seiner weltlichen Sinnlichkeit wegen getrachtet, so wirft er alle Wahrheit sogleich über Bord; und so er irgend nur im geringsten merkt, dass er durch sie etwa in seiner glänzend gestellten Wohllebensstufe irgendeinen Eintrag erleiden könnte, so wird er lieber selbst zu einem Tyrannen wider alles, das nur ein Fünklein echter Wahrheit in sich trägt.

08] So er aber dann elend wird und krank und kommt zum Arzte, so will er nichts als möglich wahre Hilfe! Warum denn da Wahrheit, und warum sonsten nirgends?!

09] Da sieh hin! Deine Tochter liegt in einer unheilbaren Krankheit; was gäbest du nun für eine wahre Medizin, die Hilfe brächte dem Leibe deiner Tochter?! Ich sage dir als ein wohlerfahrener Arzt, dass es wohl eine einzige wahre Medizin gäbe, die der Tochter plötzliche Hilfe brächte, und solch eine Medizin wäre dann doch sicher volle Wahrheit im Verhältnis zur Leibeskrankheit deiner Tochter! Ja, für diese Wahrheit gäbest du nun alles her; aber für eine Wahrheit, durch die gesund würde deine Seele, gibst du nicht nur nichts, sondern verfolgst sie noch deines Wohllebens wegen, wo sie sich nur immer blicken läßt! Sage: Wohin gehört ein solches Benehmen?

10] Du weißt so gut als ich, dass im Tempelmiste keine Wirkung ist; du weißt, dass alle derlei Dinge ein gräßlicher Aberglaube sind, ganz geeignet, jeden Funken besseren Lichtes beim schwachen Volke zu ersticken, und dennoch würdest du den als einen Heiligtumsschänder mit Feuer und Schwert verfolgen, der aus deinen Glaubensgenossen es wagen würde, darüber offen sein Wort zu erheben.

11] Denke dir aber nun einen ewigen gerechten Gott, der das Licht und die unwandelbarste ewige Wahrheit Selbst ist und mit Sich nicht handeln läßt; was wird Dieser dereinst zu solchen Dienern sagen, wie du einer bist?!

12] Wahrlich, keiner aus euch wird Ihm auskommen! Ob ihr nun glaubt oder auch nicht glaubt, so gibt es dennoch ein großes Jenseits über der Pforte des Grabes, wo einem jeden genau vergolten wird nach seinem Tun und Handeln!

13] Mir ist es nicht unbekannt; denn ich habe es gesucht und habe es auch gefunden. Ich habe mein ewiges Leben in meiner Hand, und ich gäbe tausend Leibesleben darum, so es möglich wäre, so ich's nicht anders haben könnte, als um diesen Preis.

14] Aber ich habe es, und das ewige Leben hat mich gelehrt, das Leben des Fleisches zu verachten und nur soviel Wert daraufzulegen, als es mir dienlich ist und sein soll, damit das ewige Leben der Seele mir in aller Fülle eigen zu machen; und dass ich solches in aller Klarheit und Wahrheit erreicht habe, verdanke ich niemandem denn allein Jesus, der mir dahin den verborgenen Weg gezeigt hat.

15] Und diesen Jesus, diesen Gott unter allen Menschen, verfolgt ihr mit Feuer und Schwert und werdet schwerlich eher ruhen, als bis ihr Ihm das getan haben werdet, was eure Väter allen Propheten getan haben!

16] Aber dann wehe euch! Gott hat euch, die ihr euch allerschändlichsterweise Sein Volk, Seine Kinder nennt, einen Gott aus den Himmeln gesandt; jedes Seiner Worte ist eine ewige Wahrheit aus Gott, für jeden ehrlichen Menschen mit Händen zu greifen, und ihr wollt Ihn töten, weil Er euren alten Tempelmist verwirft!

17] Wehe euch! Gottes Zorn wird jüngst schrecklich über euch kommen!

18] Ja, ich könnte deiner Tochter wohl noch helfen; ich fühle nun die Kraft in mir. Aber ich will ihr nicht helfen, denn ihr alle seid Teufel und keine Menschen mehr! Den Teufeln aber werde ich nie eine hilfreiche Hand bieten!«

19] Diese Rede drang gleich glühenden Pfeilen in das Herz des Obersten; er sah zwar die Tiefe der Wahrheit ein und wollte schon seine Stelle niederlegen; aber er fürchtete das Aufsehen und sagte zum Borus:

20] »Fein bist du durchaus nicht; aber deine Worte sind wahr. Könnte ich, ohne viel und gewisserart verderbliches Aufsehen zu erregen, meine hohe Stelle nun über meinen Rücken werfen, wahrlich, ich wäre um der Genesung meiner geliebtesten Tochter willen völlig bereit dazu! Aber bedenke das furchtbare Aufsehen, welches durch diesen Schritt bewirkt würde! Darum muß ich es vorderhand auf eine bessere Zeit verschieben.«

21] Sagt Borus: »Ich habe ausgeredet und gehe nun wieder meines bessern Weges, als der war zu dir her. Denn hier ist offenbar die Hölle auf der Erde, und in der kann kein Engel was Gutes wirken, geschweige ich als immerhin noch ein schwacher, dem Leibe nach sterblicher Mensch!«

22] Mit diesen Worten verläßt Borus unaufhaltsam das Haus des Obersten und eilt sehr aufgeregt davon. Das ging am zweiten Tage, als wir am Meere den abgesandten Boten begegneten, in Kapernaum vor sich.

23] Ich aber nahm am Hügel Rast und gab diese ganze Begebenheit einen ganzen Tag vorher kund, als sie sich am Tage darauf in der Wahrheit zugetragen hat.



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