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Kapitelinhalt 257. Kapitel: Gespräche auf dem Weitermarsch über alte und neue Zeit. Die Welt war nie gut, sondern immer nur einige wenige Menschen in ihr. (Am 1. Okt. 1850)

Originaltext 1. Auflage 1898 durch Project True-blue Jakob Lorber

Text nach 2. Auflage 1929 Lorber-Verlag
Versnummerierung nach 3. Aufl. 1963, Lorber-Verlag

01] Wir bewegen uns wieder weiter bergabwärts und erreichen den Ort Spital gerade am Fuße des Semmering.

02] Kaiser Karl tritt abermals hervor, und sagt: „O HErr und Vater, Der Du heilig bist, überheilig! Sieh' an diesen Ort; zu meiner Zeit war es ein Ort menschlichen Wohlthuns; dieser Ort war wirklich ein Asil für arme Leidende; ich selbst habe ihn öfter bei meinen Reisen nach dem Süden besucht, und beschenkt; aber mit mir hat sich denn auch bald alles verloren, was da zum Nutzen und Frommen der Menschen bestimmt war; denn der Wohlthätigkeitssinn der bemittelteren Steierer hat sich nur zu schnell in einen Gewinnssinn verwandelt. Die Leute wollten reich werden, und vergaßen nur zu bald, daß der Arme nichts hat, und sonach auch nicht leben kann. Es hat aber das dem Lande wenig Segen gebracht; zu meiner Zeit war es eines der reichsten Länder des ganzen Reiches, und nun wird es bald zu den ärmsten gehören. - So die Schranken zwischen Ungarn und diesem Lande fallen, so ist es ein Land für Bettler, und das geschieht dem Lande recht; denn sein Sinn für's Wohlthun der Armen ist erloschen. Pfennigspenden gibt es noch; aber die wahren Wohlthäter sind gestorben."

03] Sage Ich darauf: „Ja, ja, in dieser Hinsicht hast du nicht ganz unrecht. Es gibt wohl einige Wenige, die noch so Erkleckliches leisten; aber im Allgemeinen wird es nicht bald in irgend einem Lande so viele Selbstsüchtler geben, als eben in diesem. Auch ist das Grenzsteinverrücken nirgends so gang und gäbe, als in diesem Lande. Sein Hochlandstheil ist noch der bessere, aber das Unterland ist schlecht bestellt. Gewinnsucht, Gailsinn, Unzucht, Unglaube auf der einen, der grasseste Aberglaube auf der anderen Seite, wenig Liebe, Eigennutz, oft starre Gefühllosigkeit gegen die arme Menschheit und für Alles, was den Geist mehr wecken könnte, Schelsucht, Geiz und Neid und stete Mißachtung des Nächsten sind so die Hauptgrundzüge dieses Landes. Darum aber besuchen wir dieß kranke Völkchen, um es möglicher Weise ein wenig gesünder zu machen. In Wien ist der Belagerungszustand noch nicht aufgehoben, und siehe, es hat uns in der Stadt doch gelitten; aber in diesem Lande wird es uns in der Stadt dieses Landes nicht leiden, daher werden wir auch außerhalb herum unser Quartier suchen für die kurze Weile unseres Aufenthaltes."

04] Sagt Karl: „HErr! da schlage Donner und Blitz in diese Stadt! Das müssen ja rechte Teufel von Menschen sein. Gibt es denn keine Beamten, keine Behörden, kein Militär, keine Polizei darinnen?"

05] Sage Ich: „O genug, aber wenige Menschen darunter! Die Beamten dienen um's Geld, und möchten nur zu bald schon große Herren sein, um mehr Geld zu bekommen. Daher sind ihre Herzen auch meistens aus Stein, und üben häufig ihr Amt unerbittlich strenge, um dadurch als tüchtige Männer von ihrem Fache angesehen zu werden, auf daß man bei einer nächsten Vorrückung ihrer gedenken möchte. Wenige nur gibt es, die mit dem zufrieden sind, was sie sind, und was sie haben; das aber zählt eben nicht viel. Die Meisten wollen nur steigen und steigen, und siehe, das ist ein großes Uebel; da sieht ganz entsetzlich wenig Liebe, und noch weniger wahre Gerechtigkeit heraus, besonders bei dieser neuen Umstaltung der Staatsverfassung, wo der Beamte eines Theiles lieber fluchen als arbeiten, und andern Theiles aber doch gern ein sehr großer Herr sein, gut leben und nicht viel thun, und einen kleinen Herrscher machen möchte. Und so, Mein Freund, ist da mit dem Beamtenvolke eben nicht viel ausgerichtet.

06] Wäre in dieser Stadt nicht so Manches von militärischer Gewalt vorhanden, da ginge es dem Beamtenstande im Allgemeinen schlecht; denn er ist durchaus nicht beliebt. Denn solle der Beamte Segen streuen im Staate, so muß er viel Liebe haben; hat er diese nicht, so säet er nur Unkraut und Disteln an, wo er wirkt. Er erzeugt Haß und Verachtung bei den Unterthanen gegen ihren Fürsten, und am Ende Schelsucht und Zwietracht unter den Beamten und unter den Unterthanen; daher dann die Masse der unseligsten Prozesse, bei denen blos die sogenannten Rechtsfreunde gewinnen, und die Partheien aber verlieren."

07] Sagt der hervortretende Rudolf von Habsburg: „Aber HErr! da sieh' an die zwei breiten Straßen; die eine für's gewöhnliche Fuhrwerk, und die andere für die eisernen Wägen. Wie viel schönes Land nehmen sie ein, während zu meiner Zeit alle Straßen nur enge fein und über sonst zu nichts verwendbare Landesstellen gehen mußten. Ich hatte keine Staatsschulden, und hatte doch auch manchen Krieg zu führen. Die aber nun auf so breiten Straßen so schnell wie der Wind einherfahren, und ihre Sachen schnell weiter schaffen, sind nun aller Welt schuldig. Wahrlich, das begreife ich nicht!"

08] Sage Ich: „Das besteht ganz einfach darin: weil sie keine Liebe haben, so können sie auch unmöglich ein rechtes Licht haben. Wer aber kein rechtes Licht hat, und baut eine Brücke über einen Strom zur Nachtzeit, der wird eines gefahrvollen Weges wandeln über den Strom. Wenn die Menschen lebeten nach dem Bedürfnisse, so hätten sie Alle genug; weil sie aber dem Luxus leben und der Hoffart, so leiden sie Noth und Elend, und werden aller Welt Schuldner. Verstehst du diese ganz einfache Grundwahrheit?"

09] Sagt Rudolf: „O HErr! Leider verstehe ich sie. Es wird wohl nun eben die Zeit auf Erden sein, von der Du vorausgesagt hast, daß in ihr die Liebe erkalten und kein Glaube bestehen wird. O aus all' den Einrichtungen, die ich bis jetzt gesehen habe, geht das nur zu klar hervor! Nichts als eitle Pracht, Hoffart, und Luxus über Luxus! Ein Jeder will sich vor dem Andern hervorthun; Alles geht in feinsten Kleidern einher; sogar die Tochter eines Bettlers steht nicht selten gleich einer Hofdame geputzt da, und sucht durch ihren üppigen Anzug die Sinnlichkeit der Männer und Jünglinge noch reger zu machen, als sie es ohnehin schon ist. Man sehe aber auch die Männer, Jünglinge und Knaben an; wie sehen diese aus?

10] Wenn ich auf meine Zeit zurücksehe, so war da auch in der Tracht eine Ordnung. Ein Jeder mußte nach der Vorschrift seinem Stande gemäß sich kleiden, und dadurch war dem Hochmuthe und der verschwenderischen Luxuspracht sehr gesteuert; jetzt aber, wo besonders an Sonn- und Feiertagen man den Hausknecht nicht mehr von einem Prinzen unterscheiden kann, hat die gegenseitige Achtung, die Liebe, das Vertrauen, der Glaube, die Barmherzigkeit aufgehört, und der kalte allergefühlloseste Verstand beherrscht die Herzen der Menschen nicht nur hier, sondern überall, wohin man nur immer sein Auge wenden mag.

11] Zu meiner Zeit waren an den Straßen freie Tabernen eingeführt, in denen arme Reisende unentgeldlich verpflegt wurden; Jedermann hatte einen rechtlichen Anspruch auf die Gastfreundschaft seines Glaubensbruders; nur Juden und Heiden mußten dem Wirthe einer solchen Taberne für die Bewirthung einen kleinen Tribut entrichten. Der Tabernwirth aber hatte das Recht, gleich wie nun noch die Barmherzigen Brüder, in die benachbarten Gemeinden Sammler auszusenden, die ihn reichlich mit Allem versahen; und das war gewiß eine gute Einrichtung. Jetzt ist von so etwas keine Spur mehr; hat der Reisende kein Geld, so ist er dem Hungertode verfallen. O Menschheit! Wie weit von dem Wege zum Himmelreiche Gottes hast du dich entfernt!

12] O HErr! Ich glaube, mit diesen gegenwärtig die liebe schöne Erde bewohnenden Menschen wird wenig mehr zu richten sein, denn da trägt ja schon fast ein Jeder das Gericht des Todes auf seiner Stirne, wie in seinem Herzen geschrieben. Wo einmal ein solche gefühllose Härte des Herzens eingetreten ist, wo so zu sagen Niemand mehr die Noth seines Nächsten einsieht, wo die laute Klage des Elends überhört wird - vor dem lautesten Prunkgeräusche der Welt, da ist, wie man zu sagen pflegt, Grün und Gras beim Kuckuk. Daher meine ich, daß man da mit dieser geistig beinahe todten Menschheit gar keine besonderen Umstände mehr machen solle, sondern sie naturmäßig ganz aussterben lassen durch allerlei Seuchen, und nur die wenigen Guten, die hie und da zerstreut wie die Lämmer unter den Wölfen leben, erhalten, durch die dann die Erde doch wieder zu besseren Bewohnern käme."

13] Sage Ich: "Du, Mein lieber Freund! hast wohl ganz recht; es ist wahrlich ein Elend, wie es nun in der Welt aussieht! Ich sage dir, ärger um ein Bedeutendes, als zu Noa's und zu Lot's Zeiten, aber was kann man da Anderes thun, als Geduld über Geduld haben. Lasse sie heute Alle sterben, so werden sie im Geistrrreiche um kein Haar besser sein, als auf der Erde. Läßt du sie aber auf der Erde eine Zeitlang herumzappeln, und sie durch ihre Thorheit recht elend werden, da gehen dann doch Viele wieder in sich, und kriechen, wie man sagt, zum Kreuze.

14] Hie und da gibt es dann aber schon noch recht wohlthätige Menschen auch, die, wann sie gleichwohl in besseren Kleidern einhergehen, denn doch ihren armen Brüdern und Schwestern recht viel Gutes thun. Es waren zu deiner Zeit, mein lieber Rudolf, wohl manche recht gute Einrichtungen, aber dafür auch manche wieder recht schlechte, und so ist es auch jetzt noch der Fall.

15] Ich sage dir, die Welt war nie gut, sondern stets nur einige wenige Menschen in ihr, und so ist es auch jetzt. Was da einmal schlecht ist, das ist und bleibt schlecht. Auf Dornen und Disteln wachsen keine Trauben und Feigen, und möchtest du sie auch ins beste Erdreich versetzen. Auf Reben und Feigenbäumen aber wirst du stets edle Früchte ärnten. Kümmern wir uns daher der Welt wegen auch gar nicht! Je toller und bunter sie ihre Sachen treibt, desto ärger wird sie sich am Ende selbst strafen. Wer hoch steigt, und sich am Ende aus den höchsten und steilsten Felsspitzen nichts daraus macht, dem werden die Felsspitzen nur zu bald selbst zu erzählen anfangen, wie hoch und wie lebensgefährlich sie sind. Wir aber besuchen nun nur kranke Menschen, die Welt aber kümmert uns gar nicht, denn die war, wie gesagt, noch allezeit unter aller Kritik schlecht. - Gehen wir daher nur wieder weiter."

01] Wir bewegen uns wieder weiter bergabwärts und erreichen den Ort Spital, gerade am Fuße des Semmering.

02] Kaiser Karl tritt abermals hervor und sagt: "O Herr und Vater, der Du heilig bist, überheilig! Sieh an diesen Ort! Zu meiner Zeit war es ein Ort menschlichen Wohltuns. Dieser Ort war wirklich ein Asyl für arme Leidende. Ich selbst habe ihn öfter bei meinen Reisen nach dem Süden besucht und beschenkt. Aber mit mir hat sich denn auch bald alles verloren, was da zum Nutzen und Frommen der Menschen bestimmt war; denn der Wohltätigkeitssinn der bemittelteren Steirer hat sich nur zu schnell in einen Gewinnsinn verwandelt. Die Leute wollten reich werden und vergaßen nur zu bald, daß der Arme nichts hat und sonach auch nicht leben kann. Es hat aber das dem Lande wenig Segen gebracht. Zu meiner Zeit war es eines der reichsten Länder des ganzen Reiches, Und nun wird es bald zu den ärmsten gehören. So die Schranken zwischen Ungarn und diesem Lande fallen, so ist es ein Land für Bettler, und das geschieht dem Lande recht; denn sein Sinn fürs Wohltun der Armen ist erloschen. Pfennigspender gibt es noch; aber die wahren Wohltäter sind gestorben."

03] Sage Ich daraus: "Ja, ja, in dieser Hinsicht hast du nicht ganz unrecht. Es gibt wohl einige wenige, die noch so Erkleckliches leisten; aber im allgemeinen wird es nicht bald in irgendeinem Lande so viele Selbstsüchtler geben, wie eben in diesem. Auch ist das Grenzsteinverrücken nirgends so gang und gäbe, wie in diesem Lande. Sein Hochlandsteil ist noch der bessere, aber das Unterland ist schlecht bestellt. Gewinnsucht, Unzucht, Unglaube auf der einen, der grasseste Aberglaube auf der andern Seite, wenig Liebe, Eigennutz, oft starre Gefühllosigkeit gegen die arme Menschheit und für alles, was den Geist mehr wecken könnte, Schelsucht, Geiz und Neid und stete Mißachtung des Nächsten sind so die Hauptgrundzüge dieses Landes. - Darum aber besuchen wir dies kranke Völkchen, um es möglicherweise ein wenig gesünder zu machen. In Wien ist der Belagerungsstand noch nicht aufgehoben, und siehe, es hat uns in jener Stadt doch gelitten; aber in der Stadt dieses Landes wird es uns nicht leiden, daher werden wir auch für die kurze Weile unseres Aufenthaltes außerhalb herum unser Quartier suchen."

04] Sagt Karl: "Herr! Da schlage Donner und Blitz in diese Stadt! Das müssen ja rechte Teufel von Menschen sein! Gibt es denn keine Beamten, keine Behörden, kein Militär, keine Polizei darinnen?"

05] Sage Ich: "O genug, aber wenige Menschen darunter! Die Beamten dienen ums Geld und möchten nur zu bald schon große Herren sein, um mehr Geld zu bekommen. Daher sind ihre Herzen auch meistens aus Stein und üben häufig ihr Amt unerbittlich strenge, um dadurch als tüchtige Männer von ihrem Fache angesehen zu werden, auf daß man bei einer nächsten Vorrückung ihrer gedenken möchte. Wenige nur gibt es, die mit dem zufrieden sind, was sie sind und was sie haben; das aber zählt eben nicht viel. Die meisten wollen nur steigen und steigen, und siehe, das ist ein großes Übel; da sieht ganz entsetzlich wenig Liebe und noch weniger wahre Gerechtigkeit heraus - besonders bei dieser neuen Umgestaltung der Staatsverfassung, wo der Beamte einesteils lieber fluchen als arbeiten und andernteils aber doch gern ein sehr großer Herr sein, gut leben und nicht viel tun und einen kleinen Herrscher machen möchte.

06] Und so, Mein Freund, ist da mit dem Beamtenvolke eben nicht viel ausgerichtet. Wäre in dieser Stadt nicht so manches von militärischer Gewalt vorhanden, da ginge es dem Beamtenstande im allgemeinen schlecht; denn er ist durchaus nicht beliebt. Denn soll der Beamte Segen streuen im Staate, so muß er viel Liebe haben! Hat er diese nicht, so säet er nur Unkraut und Disteln an, wo er wirkt. Er erzeugt Haß und Verachtung bei den Untertanen gegen ihren Fürsten und am Ende Scheelsucht und Zwietracht unter den Beamten und unter den Untertanen. Daher dann die Masse der unseligsten Prozesse, bei denen bloß die sogenannten Rechtsfreunde gewinnen, die Parteien aber verlieren."

07] Sagt hervortretend Rudolf von Habsburg: "Aber Herr, da sieh an die zwei breiten Straßen! Die eine fürs gewöhnliche Fuhrwerk und die andere für die eisernen Wagen. Wie viel schönes Land nehmen sie ein, während zu meiner Zeit alle Straßen nur enge sein und über sonst unverwendbare Landesstellen gehen mußten. Ich hatte keine Staatsschulden und hatte doch auch manchen Krieg zu führen. Die aber nun auf so breiten Straßen so schnell wie der Wind einherfahren und ihre Sachen schnell weiterschaffen, sind nun aller Welt schuldig. Wahrlich, das begreife ich nicht!"

08] Sage Ich: "Das besteht ganz einfach darin: Weil sie keine Liebe haben, so können sie auch unmöglich ein rechtes Licht haben. Wer aber kein rechtes Licht hat und baut eine Brücke über einen Strom zur Nachtzeit, der wird eines gefahrvollen Weges wandeln über den Strom. Wenn die Menschen lebeten nach dem Bedürfnisse, so hätten sie alle genug; weil sie aber dem Luxus leben und der Hoffart, so leiden sie Not und Elend und werden aller Welt Schuldner. Verstehst du diese ganz einfache Grundwahrheit?"

09] Sagt Rudolf: "O Herr! Leider verstehe ich sie. Es wird wohl nun eben die Zeit auf Erden sein, von der Du vorausgesagt hast, daß in ihr die Liebe erkalten und kein Glaube bestehen wird. O aus all den Einrichtungen, die ich bis jetzt gesehen habe, geht das nur zu klar hervor! Nichts als eitle Pracht, Hoffart und Luxus über Luxus! Ein jeder will sich vor dem andern hervortun. Alles geht in feinsten Kleidern einher, sogar die Tochter eines Bettlers steht nicht selten gleich einer Hofdame geputzt da und sucht durch ihren üppigen Anzug die Sinnlichkeit der Männer und Jünglinge noch reger zu machen, als sie es ohnehin schon ist, Man sehe aber auch die Männer, Jünglinge und Knaben an; wie sehen diese aus!

10] Wenn ich auf meine Zeit zurücksehe, so war da auch in der Tracht eine Ordnung. Ein jeder mußte nach der Vorschrift seinem Stande gemäß sich kleiden. Und dadurch war dem Hochmute und der verschwenderischen Luxuspracht sehr gesteuert. Jetzt aber, wo besonders an Sonn- und Feiertagen man den Hausknecht nicht mehr von einem Prinzen unterscheiden kann, hat die gegenseitige Achtung, die Liebe, das Vertrauen, der Glaube, die Barmherzigkeit aufgehört, und der kalte, allergefühlloseste Verstand beherrscht die Herzen der Menschen nicht nur hier, sondern überall, wohin man nur immer sein Auge wenden mag.

11] Zu meiner Zeit waren an den Straßen freie Tavernen (Herbergen) eingeführt, in denen arme Reisende unentgeltlich verpflegt wurden. Jedermann hatte einen rechtlichen Anspruch auf die Gastfreundschaft seines Glaubensbruders. Nur Juden und Heiden mußten dem Wirte einer solchen Taverne für die Bewirtung einen kleinen Tribut entrichten. Der Tavernenwirt aber hatte das Recht, gleich wie nun noch die Barmherzigen Brüder, in die benachbarten Gemeinden Sammler auszusenden, die ihn reichlich mit allem versahen. Und das war gewiß eine gute Einrichtung. Jetzt ist von so etwas keine Spur mehr. Hat der Reisende kein Geld, so ist er dem Hungertode verfallen. O Menschheit! Wie weit von dem Wege zum Himmelreiche Gottes hast du dich entfernt!

12] O Herr! Ich glaube, mit diesen gegenwärtig die liebe, schöne Erde bewohnenden Menschen wird wenig mehr zu richten sein! Denn da trägt ja schon fast ein jeder das Gericht des Todes auf seiner Stirne wie in seinem Herzen geschrieben. Wo einmal eine solche gefühllose Härte des Herzens eingetreten ist, wo sozusagen niemand mehr die Not seines Nächsten einsieht, wo die laute Klage des Elends überhört wird vor dem lautesten Prunkgeräusche der Welt - da ist, wie man zu sagen pflegt, Grün und Gras beim Kuckuck. Daher meine ich, daß man da mit dieser geistig beinahe toten Menschheit gar keine besonderen Umstände mehr machen, sondern sie naturmäßig ganz aussterben lassen sollte durch allerlei Seuchen, und nur die wenigen Guten, die hie und da zerstreut wie die Lämmer unter den Wölfen leben, sollte man erhalten, so daß durch sie dann die Erde doch wieder zu besseren Bewohnern käme."

13] Sage Ich: "Du, Mein lieber Freund, hast wohl ganz recht; es ist wahrlich ein Elend, wie es nun in der Welt aussieht! Ich sage dir, ärger um ein bedeutendes als zu Noahs und zu Lots Zeiten! Aber was kann man da anderes tun, als Geduld über Geduld haben!? Lasse sie heute alle sterben, so werden sie im Geisterreiche um kein Haar besser sein als auf der Erde. Läßt du sie aber auf der Erde eine Zeitlang herumzappeln und sie durch ihre Torheit recht elend werden, da gehen dann doch viele wieder in sich und kriechen, wie man sagt, zu Kreuze.

14] Hie und da gibt es dann aber schon auch noch recht wohltätige Menschen, die, wenn sie gleichwohl in besseren Kleidern einhergehen, denn doch ihren armen Brüdern und Schwestern recht viel Gutes tun. Es waren zu deiner Zeit, mein lieber Rudolf, wohl manche recht gute Einrichtungen, aber dafür auch manche wieder recht schlechte. Und so ist es auch jetzt noch der Fall.

15] Ich sage dir: Die Welt war nie gut, sondern stets nur einige wenige Menschen in ihr - und so ist es auch jetzt! Was da einmal schlecht ist, das ist und bleibt schlecht. Auf Dornen und Disteln wachsen keine Trauben und Feigen, und möchtest du sie auch ins beste Erdreich versetzen. Auf Reben und Feigenbäumen aber wirst du stets edle Früchte ernten. Kümmern wir uns daher der Welt wegen auch gar nicht! Je toller und bunter sie ihre Sachen treibt, desto ärger wird sie sich am Ende selbst strafen. Wer hoch steigt und sich am Ende aus den höchsten und steilsten Felsspitzen nichts macht, dem werden die Felsspitzen nur zu bald selbst zu erzählen anfangen, wie hoch und wie lebensgefährlich sie sind. - Wir aber besuchen jetzt nur kranke Menschen. Die Welt aber kümmert uns gar nicht, denn die war, wie gesagt, noch allezeit über die Maßen schlecht. - Gehen wir daher nur wieder weiter!"

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