voriges Kapitel Jakob Lorber: 'Robert Blum - Seine Erfahrungen und Führung im Jenseits' nächstes Kapitel


Kapitelinhalt 125. Kapitel: Das geistige Erwachen des Mönches. Selbstgespräche als Seelenspiegel. Jesus als Lebensanker des Schiffbrüchigen.

Originaltext 1. Auflage 1898 durch Project True-blue Jakob Lorber

Text nach 2. Aufl. 1929 Lorber-Verlag

01] Robert bückt sich sogleich, und behauchet den ehedem hinausgeworfenen Mönch; und dieser fängt sogleich an sich zu rühren, als wie ein aus einem tiefsten Schlafe Erwachender.

02] Als er sich nach einer Weile vollends aufrichtet, da fragt er (Mönch): „Wer hauchte denn ein Leben in mein Eingewaide, da ich doch todt war, getödtet von meinen Feinden?" (In der Geisterwelt werden Alle, die von einem Hause hinausgeworfen werden, wie todt auf eine Weile; denn hinausstoßen oder hinauswerfen heißt in der Geisterwelt so viel als gewaltsam richten oder tödten.) „Wo bin ich denn nun? Es ist Nacht und sehr finster, wohin ich auch wende meine Augen; und kein Laut wird vernommen von meinen Ohren. Ob ich auch lahm bin, weiß ich kaum; denn ich fühle keinen Boden unter mir. O, wenn ich doch nur einen kleinsten Lichtschimmer irgendwo wahrnehmen könnte!

03] War auf der Welt ein Priester, verrichtete meinen vorgeschriebenen Dienst mit allem Eifer; freilich waren damit zumeist pure irdische Interessen verbunden, und von einem Glauben an alle meine Verrichtungen war freilich auch wohl nicht viel vorhanden. Aber dessen ohngeachtet verrichtete ich mein Amt gewissenhaft, und war dabei nie verdrossen; aber welch einen schauderhaften Lohn habe ich nun im Reiche des Todes geerntet! O Gott! so Du irgend Einer bist, oder Du unerbittlich hartes Fatum! warum mußte ich denn zu einem denkenden, seiner selbst bewußten Wesen werden? Warum geführt durch alle die unnatürlichsten Lebensverhältnisse, die mit allem Fluche belastet sind? Ja, ich war und bin noch ein ganz unnatürliches Wesen; aber wer wollte es denn so, daß ich das und nichts anderes werden mußte? Was wohl kann ein Kind dafür, daß es blind zur Welt geboren wird, und es dann keinen Arzt mehr giebt, einem Blindgebornen den Staar zu stechen? O hartes Fatum, das da mich werden hieß! wo bist du, daß ich zu dir hin mich wende, und dir fluche? Denn mein ganzes Leben bisher war nur ein ununterbrochener Fluch; ich selbst bin ein Fluch, und meine Thaten können darum auch nichts als ein Fluch sein! Aber dennoch sei ferne, daß ich fluchen solle; ich will nicht mehr fluchen; denn es ist genug, daß ich selbst ein Fluch bin."

04] Sage Ich zum Robert: „Nun behauche ihm die Ohren!" - Robert thut das,

05] und der Mönch horcht und spricht nach einer Weile: „Wohin, wohin bin ich denn gekommen? denn nun vernehme ich ja wie ein Rauschen großer Gewässer, und unter dem Rauschen wie Stimmen von allerlei Vögeln! Hm, hm, das ist wahrlich sonderbar, und das Rauschen wird mächtiger, und stärker das Getön der Vögel! Werden die Wässer mich denn überfluthen, und die Vögel dann sich sättigen mit meinem Leichname? o gräßlichs Fatum! warum öffnetest du dem Tauben das Ohr? warum muß ich denn, darum ich untergehe, zuvor vernehmen die schreckliche Stimme des Verderbens! Kannst du, lüsterner Verderber, denn nicht wie ein Meuchelmörder dich über mich endlos Schwachen und Ohnmächtigen hermachen? Aber was hadre ich denn hier? was nützt es mir? Verlesen ja doch auch die harten Menschenrichter auf der Erde denen ihr Todesurtheil eher, als sie dieselben wirklich tödten wollen! Denn der grausamen Härte des Menschenherzens genügt nimmer der alleinige Tod ihres wehrlosen, unglücklichen Bruders; sondern er muß zuvor auch gequälet werden. Thun es die Menschen also, warum solle sich da das harte Fatum ein Blatt vor den Mund nehmen? Also nur zu mit dem Rasseln mit den Ketten meiner ewigen Vernichtung, auf daß mich zuvor etwa doch die gütige Verzweiflung tödte!"

06] Ich sage darauf zum Robert: „Nun behauche ihm die Augen." Robert thut es,

07] und der Mönch fängt darauf an - die Augen sich zu reiben und spricht: „Was war denn das? ich vernahm ja deutlich einen Hauch über meine Augen gleiten, und nun sehe ich plötzlich als durch eine Abenddämmerung hindurch, und sehe und gewahre unter mir nun wieder einen festen Boden! Also kehrt bei mir die Erinnerung wieder zurück, und da, da sieh, da ist ja wieder dasselbe Haus, aus dem mich meine echten Feinde hinausgeworfen haben. Ja, ja, es ist auf ein Haar dasselbe, und ich vernehme nun anstatt des ominösen Wasserrauschens die vielen Stimmen meiner Feinde, und das Vögelgetöne sind Stimmen in meiner Nähe; aber ich mag Niemanden entdecken!

08] Nun glaube ich doch wieder an irgend einen Gott, und der General drinnen im Hause, der meine Messe gewisserart nicht ganz mit Unrecht verschmähte, hatte Recht, daß er die Gottheit als viel besser pries, als ich sie ihm darzustellen bemühte. - Aber wie die Arbeit, so auch der Lohn! habe ich schlecht gearbeitet, so kann mir auch kein bess'rer Lohn zu Theile werden. Recht haben sie gehabt, daß sie mich herausgeworfen haben. Warum wollte ich sogar noch hier ein finstrer Esel sein?"

09] Sage Ich zum Robert: „Behauche ihm nun den Mund und die Brust." Robert thut sogleich, was Ich ihm sage,

10] und der Mönch spricht: „O wie herrlich und überaus wohlthuend umwehte ein zartes Lüftchen meinen Mund! war das etwa eines Engels sanftester Kuß? ja, ja, so können, so müssen die Engel küssen! Denn ich gewahrte es ja auch in meiner Brust, die ein wonnigstes Leben durchdrang, daß meinen Mund ein Engel geküßt haben mußte, ansonst es mir nimmer gar so wonnigst hätte zu Muthe werden können. Es ist wahrlich sonderbar, es wird nun auch auf eine ganz eigenthümliche Weise heller und heller in mir, und meine Hände werden voller, und in den Füßen empfinde ich ein wohlthuend Drängen. Es ist, als ob eine ganz neue Lebenskraft mein ganzes Wesen zu durchströmen begänne.

11] Und ach, da sieh, es wird auch die ganze Gegend heller, und das Haus in allen seinen schönen Bauformen bestimmter ersichtlich. Ach, das ist wohl ein gar wunderherrliches Haus! Drei Stockwerke! und diese herrlichen Arkaden und Balkone unter den Fenstern! Diese imposante Größe und Höhe! Nein, es kommt mir die ganze Sache wie ein Traum vor! Ich habe ja doch schon ehedem dies Haus gesehen, als uns Alle der General hierher brachte, und dann in dasselbe Haus einführte; aber ich kann mich nicht erinnern, daß es damals gar so herrlich ausgesehen habe.

12] Ich möchte wohl nun wieder in dies Haus gehen; aber da würde ich sicher schnell wieder hinausgeworfen werden; daher bleibe ich denn doch lieber hier im Freien, und bewundere so ganz im Stillen dies ungeheure Prachtgebäude, das nun mit dem Zunehmen des Lichtes, das denn doch von Morgen her zu kommen scheint, stets größer und prachtvoller zu werden scheint. Ja, ja, ich bleibe hier! denn es wird mir nun gar so wohl zu Muthe.

13] Ich begreife nur nicht, wie es mir hier nun gar so heimelich vorkommt, es ist, als ob ich schon Gott weiß wie lange hier zu Hause gewesen wäre, und doch ist mir diese Gegend so fremd, als einem Menschen nur je etwas vollends Fremdes und nie Gesehenes Vorkommen kann und mag. Es hat viel Aehnlichkeit mit dem Gefühle, das ich auf der Erde empfand, wenn ich mich in Hochgebirgsgegenden befand. Ach, herrlich, herrlich ist es hier! - Es harmonirt aber auch alles, dieser weitgedehnte Garten mit den wunderherrlichsten Anlagen, der schöne Gebirgskreis, der diese Villa in weiter Ausdehnung unter den herrlichsten Formen umgiebt, und sich besonders gegen Morgen stets höher und höher erhebt, und gegen Abend und Mitternacht in eine unabsehbare Ebene verflachet. O, das ist herrlich, das ist unbeschreiblich herrlich!

14] Aber da ganz in meiner Nähe ersehe ich ja einen gar herrlichen Pavillon; wie wäre es denn, so ich ihn bestiege? Da müßte sich diese Gegend ja noch wunderherrlicher ausnehmen! Kraft habe ich nun in den Füßen, es ist zwar hübsch hoch hinaufzusteigen, aber das macht nichts; nur hinauf, hinauf mit mir! doch nein, ich bleibe dennoch hier unten, es könnte so was dem Eigenthümer dieses Hauses denn doch nicht angenehm sein, und so will ich mich hier selbst verleugnen, und meiner zu viel begehrenden Neugier Zügel anlegen. Es ist hier nun schon alles gut; aber wie es nun um mich her und auch in mir stets lichter und heller wird, so merke ich aber auch, daß es gleichen Schrittes in meinem Magen heller wird. Das heißt, ich fange an zu verspüren, daß der Mensch auch im Geisterreiche hungrig und durstig werden kann. So ein Stückchen Brodes und etwas Trinkbares zu dieser Gott Lob allgemeinen Beleuchtung der Geisterwelt könnte sich wahrlich nicht schlecht ausnehmen!"

15] Sage Ich zum Robert: „Stelle ihm nun Brod und Wein vor." Robert nimmt seiner Helena schnell das Brod und den Wein ab, und giebt es in den Schooß des Mönches; der, sich hoch erfreulich verwundernd, wohl das Brod und den Wein sogleich erschauet, aber noch nicht die ihn umgebenden Geber.

16] Er betrachtet eine Weile das Brod und den Wein, und spricht dann zu sich (Mönch): „Gott Lob! nun wäre freilich alles beisammen. O du göttlich's Tischl deck' dich! No, no, so thut es sich ja Gott Lob in der Geisterwelt; eine bezaubernde Aussicht, und so eine Einsicht für einen lichten Magen, wahrlich, da wird es schon auszuhalten sein, so in alle Ewigkeit, Amen. - Aber nur keine Nacht mehr in dieser Gegend; denn die Nacht war hier sehr schauderhaft.

17] Aber nun möchte ich dann doch auch wissen, wer hier so dienstfertig ist? Geister sind es in jedem Falle, und das sicher lauter gute. Aber ich bin ja nun doch hoffentlich auch ein Geist! Wie kommt es denn, daß ich als selbst Geist diese guten, mir unsichtbar dienenden Geister oder Engel nicht sehen kann? - Wahrscheinlich werde ich noch viel zu unheilig sein, um die reinen, heiligen Engelsgeister zu schauen! Aber das Brod und den Wein sehe ich doch. No, es ist schon auch also gut; hab ich nur Brod und Wein vor der Hand, das andere wird sich nach der Hand etwa wohl machen. In Gottes Namen, und Seinen Segen dazu, werde ich denn doch mich zuerst an's Brod machen, und dann aber auch an den überaus gut aussehenden Wein. O, in Gottes Namen, o in Gottes Namen! Gott segne es! Ihm allein alle Ehre, alles Lob und aller Preis!"

18] Nach diesen Worten bricht er sich ein tüchtiges Stück Brodes vom ganzen Laibe, fängt an es zu essen, und findet es wunderbar wohlschmeckend; daher er sich sogleich über den ganzen Laib hermacht, und spricht, als er damit ganz vergnügt fertig ist:

19] „O Gott Lob, Gott Lob! das war ein Brod, so wohlschmeckend wie eine vollkommen reife Ananas aus Brasilien. Es war gar nicht mehr zum Aufhören, als man einmal hineinbiß! Nun aber will ich auch beim Weine zusprechen. In Gottes Namen, in Gottes heiligstem Namen! Ist fast mehr als eine Maaß; aber das macht nichts, hab' ja öfter auf der Erde auch bei so guten Versehgängen ein Maaßl, und manchmal noch etwas darüber, etwa so einen heiligen Johannessegen mitgenommen. No, no, in Gottes Namen; es wird sich schon auch hier thun! o du liebs, liebs, liebs Weinle du! was für eine herrliche Goldfarbe, und was für ein nahe Finger hohes Oelrafl (Oelranft)!"

20] Hier setzt er die Flasche an, und setzt sie nicht eher ab, als bis der letzte Tropfen draußen ist. Nun kann er sich nimmer genug verwundern über die enorme Güte des Weines, und wird nun ganz über die Maßen heiter und fröhlich, und dabei sehr andächtig gestimmt, so daß er am Ende als nur in einem fort (Mönch): „O Gott Lob, o Gott Lob" herausbringt. -

21] Nach einer Weile seiner andächtigen Ergießungen richtet er sich endlich ganz auf, und spricht bei sich: „Wie doch hat mich dieses Mahl gestärket! Das war kein irdisch Brod, und kein irdischer Wein! Das war ein wahrhaftiges Brod aus den Himmeln, und ein wahrhaftiger Wein aus den höchsten Himmeln! Denn das Brod war ganz Nahrung, und der Wein ganz Leben. - Nun erst lebe ich wahrhaft wieder, und der Tod scheint für ewig von mir gewichen zu sein. Am Ende ist die alte Mythe von Christo, der das Abendmahl im Brode und Weine seinen Jüngern gegeben habe, und dessen Genuß anbefohlen zur Gewinnung des ewigen Lebens, denn doch nicht gar so leer, als wie sie freilich ganz heimlich von dem gebildeten höhern Klerus geglaubt ward!

22] Es ist zwar wohl in dieser alten Christuslehre, die durch die vier mythischen Evangelisten sich bis auf diese Zeit - freilich wohl schon sehr verkrüppelt - erhielt, so manches Widersprechende enthalten, das ein gesunder Geist eben nicht so leicht verdauen kann, wie ich nun dies Brod und diesen Wein, das alles ich nun zu mir genommen habe; aber dem ungeachtet enthält sie doch wieder andere höchst konsequente Dinge, aus denen man eben nicht gar so unklar ersehen kann, daß der Stifter solch einer Lehre, vorausgesetzt, daß er einmal existiret hat, durchaus kein gewöhnlicher Mensch, sondern offenbar ein Gott sein mußte, und nun diese Neubelebung durch Brod und Wein geben mir einen nahe unwiderlegbaren Beweis, daß Christus auf der Erde einst wirklich existirt hat, und daß es mit Seiner Gottessohnschaft eben nicht gar so schlecht aussehen mag und kann, als wie es heimlich die hohe Klerisei meint.

23] Wer weiß es, oder wer kann es wissen, ob es sich denn nun in dieser schönsten Geisterwelt doch nicht einmal begeben kann, daß ich irgend wo mit dem Geiste Christi zusammenkäme! O Gott! wenn ich solches erlebete, dann würde ich Christum aber doch so lange bitten, mir zu gestatten, dem Papste und sämtlichen Kardinälen einen sicher sehr unwillkommenen Besuch abzustatten, und ihnen zu zeigen, wer Christus ist, und wessen Geistes Kinder sie sind. Freilich würde das eben nicht viel nützen; denn diese Alle sind zu sicher von aller Welt gefangen. Aber wohl thäte es Unsereinem, wenn man diesen jedes bessern Gefühls baren Rothmäntlern, diesen offenbarsten Widerchristen zeigen könnte, daß Christus keine Fabel, wie sie es dafür halten, sei, sondern wahrhaft Der und Das, als Wen und als was Er Sich Selbst geoffenbart hat! Augen wenigstens müßten sie machen so groß wie der allerschönste Vollmond.

24] Aber ich vernehme nun auf einmal ein Gelispel wie von Menschen um mich her, und das Morgenlicht wird stärker und stärker; darum stille nun, ganz stille! vielleicht vernehme ich ganz wohl artikulirte Worte und Sätze."

01] Robert bückt sich sogleich und behaucht den ehedem hinausgeworfenen Mönch. Und dieser fängt sogleich an sich zu rühren, als wie ein aus einem tiefsten Schlafe Erwachender.

02] Als der Mönch sich nach einer Weile vollends aufgerichtet hat, da fragt er: "Wer hauchte denn ein Leben in mein Eingeweide, da ich doch tot war, getötet von meinen Feinden?" (In der Geisterwelt werden nämlich alle, die von einem Hause hinausgeworfen werden, auf eine Weile wie tot. Denn hinausstoßen oder hinauswerfen heißt in der Geisterwelt soviel als gewaltsam richten oder töten). "Wo bin ich denn nun? Es ist Nacht und sehr finster, wohin ich auch meine Augen wende; und kein Laut wird von meinen Ohren vernommen. Ob ich auch lahm bin, weiß ich kaum; denn ich fühle keinen Boden unter mir. Oh, wenn ich doch nur einen kleinsten Lichtschimmer irgendwo wahrnehmen könnte!

03] Ich war auf der Welt ein Priester und verrichtete meinen vorgeschriebenen Dienst mit allem Eifer. Freilich waren damit zumeist pure irdische Interessen verbunden, und von einem Glauben an alle meine Verrichtungen war wohl nicht viel vorhanden. Aber dessen ungeachtet verrichtete ich mein Amt gewissenhaft und war dabei nie verdrossen. Aber welch einen schauderhaften Lohn habe ich nun im Reiche des Todes geerntet! O Gott, so du irgend bist - oder du unerbittlich hartes Fatum! Warum mußte ich denn zu einem denkenden, seiner selbst bewußten Wesen werden?! Warum geführt durch alle die unnatürlichsten Lebensverhältnisse, die mit allem Fluche belastet sind?! Ja, ich war und bin noch ein ganz unnatürliches Wesen! Aber wer wollte es denn so, daß ich das und nichts anderes werden mußte? Was kann wohl ein Kind dafür, daß es blind zur Welt geboren wird und es dann keinen Arzt mehr gibt, einem Blindgeborenen den Star zu stechen? O hartes Fatum, das mich werden hieß! Wo bist du, daß ich zu dir hin mich wende und dir fluche?! Denn mein ganzes Leben bisher war nur ein ununterbrochener Fluch! Ich selbst bin ein Fluch, und meine Taten können darum auch nichts als ein Fluch sein! Aber dennoch sei ferne, daß ich fluchen sollte! Ich will nicht mehr fluchen; denn es ist genug, daß ich selbst ein Fluch bin."

04] Sage Ich zu Robert: "Nun behauche ihm die Ohren!" - Robert tut das.

05] Und der Mönch horcht und spricht nach einer Weile: "Wohin, wohin bin ich denn gekommen? Denn nun vernehme ich ja wie ein Rauschen großer Gewässer und unter dem Rauschen wie Stimmen von allerlei Vögeln! Hm, hm, das ist wahrlich sonderbar, und das Rauschen wird mächtiger und das Getön der Vögel stärker! Werden die Wasser mich denn überfluten und die Vögel dann sich sättigen mit meinem Leichname? O gräßliches Fatum! Warum öffnetest du dem Tauben das Ohr? Warum muß ich denn, da ich untergehe, zuvor die schreckliche Stimme des Verderbens vernehmen! Kannst du, lüsterner Verderber, denn nicht wie ein Meuchelmörder dich über mich endlos Schwachen und Ohnmächtigen hermachen? Aber was hadre ich denn hier? Was nützt es mir? Verlesen ja doch auch die harten Menschenrichter auf der Erde den Übeltätern ihr Todesurteil, bevor sie dieselben wirklich töten! Denn der grausamen Härte des Menschenherzens genügt nimmer der alleinige Tod ihres wehrlosen unglücklichen Bruders; sondern er muß zuvor auch gequält werden. Tun es die Menschen also, warum soll da das harte Fatum ein Blatt vor den Mund nehmen?! Also nur zu mit dem Rasseln mit den Ketten meiner ewigen Vernichtung, auf daß mich zuvor etwa doch die gütige Verzweiflung töte!"

06] Ich sage darauf zu Robert: "Nun behauche ihm die Augen." - Robert tut es.

07] Und der Mönch fängt darauf an, sich die Augen zu reiben und spricht: "Was war denn das? Ich vernahm ja deutlich einen Hauch über meine Augen gleiten, und nun sehe ich plötzlich als wie durch eine Abenddämmerung hindurch und gewahre unter mir nun wieder einen festen Boden! Also kehrt bei mir die Erinnerung wieder zurück! Und da, da sieh, da ist wieder dasselbe Haus, aus dem mich meine echten Feinde hinausgeworfen haben! Ja, ja, es ist auf ein Haar dasselbe, und ich vernehme nun anstatt des ominösen Wasserrauschens die vielen Stimmen meiner Feinde! Und das Vogelgetöne sind Stimmen in meiner Nähe! - Aber ich vermag niemanden zu entdecken!

08] Nun glaube ich doch wieder an irgendeinen Gott! Und der General drinnen im Hause, der meine Messe gewisserart nicht ganz mit Unrecht verschmähte, hatte recht, daß er die Gottheit als viel besser pries, als ich Sie ihm darzustellen mich bemühte. Aber wie die Arbeit, so auch der Lohn! Habe ich schlecht gearbeitet, so kann mir auch kein besserer Lohn zuteil werden. Recht haben sie gehabt, daß sie mich hinausgeworfen haben! Warum wollte ich sogar noch hier ein finsterer Esel sein!?"

09] Sage Ich zu Robert: "Behauche ihm nun den Mund und die Brust!" - Robert tut sogleich, was Ich ihm sage.

10] Und der Mönch spricht: "O wie herrlich und überaus wohltuend umwehte ein zartes Lüftchen meinen Mund! War das etwa eines Engels sanftester Kuß? Ja, ja, so können, so müssen die Engel küssen! Denn ich gewahrte es ja auch in meiner Brust, die ein wonnigstes Leben durchdrang, daß meinen Mund ein Engel geküßt haben mußte, ansonst es mir nimmer gar so wonnigst hätte zu Mute werden können. Es ist wahrlich sonderbar, es wird nun auch auf eine ganz eigentümliche Weise heller und heller in mir, und meine Hände werden voller, und in den Füßen empfinde ich ein wohltuend Drängen. Es ist, als ob eine ganz neue Lebenskraft mein ganzes Wesen zu durchströmen begänne.


11] Und ach, da sieh, es wird auch die ganze Gegend heller und das Haus in allen seinen schönen Bauformen bestimmter ersichtlich! Ach, das ist wohl ein gar wunderherrliches Haus! Drei Stockwerke! Und diese herrlichen Arkaden und Balkone unter den Fenstern! Diese imposante Größe und Höhe! Nein, es kommt mir die ganze Sache wie ein Traum vor! Ich habe ja doch schon ehedem dies Haus gesehen, als uns alle der General hierher brachte und in dieses Haus einführte! Aber ich kann mich nicht erinnern, daß es damals gar so herrlich ausgesehen habe.

12] Ich möchte wohl nun wieder in dies Haus gehen; aber da würde ich sicher schnell wieder hinausgeworfen werden. Daher bleibe ich denn doch lieber hier im Freien und bewundere so ganz im stillen dies ungeheure Prachtgebäude, das nun mit dem Zunehmen des Lichtes, das denn doch von Morgen her zu kommen scheint, stets größer und prachtvoller zu werden scheint. Ja, ja, ich bleibe hier; denn es wird mir nun gar so wohl zu Mute.

13] Ich begreife nur nicht, wie es mir hier nun gar so heimelig vorkommt; es ist, als ob ich schon Gott weiß wie lange hier zu Hause gewesen wäre. Und doch ist mir diese Gegend so fremd, als einem Menschen nur je etwas völlig Fremdes und nie Gesehenes vorkommen kann. Es hat viel Ähnlichkeit mit dem Gefühle, das ich auf der Erde empfand, wenn ich mich in Hochgebirgsgegenden befand. Ach, herrlich, herrlich ist es hier! Es harmoniert aber auch alles: dieser weitgedehnte Garten mit den wunderherrlichsten Anlagen, der schöne Gebirgskreis, der diese Villa in weiter Ausdehnung in den herrlichsten Formen umgibt, sich besonders gegen Morgen stets höher und höher erhebt und gegen Abend und Mitternacht in eine unabsehbare Ebene verflacht. - Oh, das ist herrlich, das ist unbeschreiblich herrlich!

14] Aber da, ganz in meiner Nähe, ersehe ich ja einen gar herrlichen Pavillon! Wie wäre es denn, so ich ihn bestiege? Da müßte sich diese Gegend ja noch wunderherrlicher ausnehmen! Kraft habe ich nun in den Füßen! Es ist zwar hübsch hoch hinauszusteigen, aber das macht nichts. Nur hinauf, hinauf mit mir! - Doch nein, ich bleibe dennoch hier unten, es könnte so etwas dem Eigentümer dieses Hauses denn doch nicht angenehm sein. Und so will ich mich hier selbst verleugnen und meiner zu viel begehrenden Neugier Zügel anlegen. Es ist hier nun schon alles gut. Aber wie es nun um mich her und auch in mir stets lichter und heller wird, so merke ich auch, daß es gleichen Schrittes in meinem Magen heller wird; das heißt, ich fange an zu verspüren, daß der Mensch auch im Geisterreiche hungrig und durstig werden kann. So ein Stückchen Brot und etwas Trinkbares zu dieser gottlob allgemeinen Beleuchtung der Geisterwelt könnte sich wahrlich nicht schlecht ausnehmen!"

15] Sage Ich zu Robert: "Stelle ihm nun Brot und Wein vor!" - Robert nimmt seiner Helena schnell das Brot und den Wein ab und legt es in den Schoß des Mönches. Dieser erfreut und verwundert sich hoch und erschaut wohl sogleich das Brot und den Wein, aber noch nicht die ihn umgebenden Spender.

16] Er betrachtet eine Weile das Brot und den Wein; dann spricht der Mönch zu sich: "Gott Lob! Nun wäre freilich alles beisammen! O du göttliches Tischl deck dich! Nun, nun, so tut es sich ja gottlob in der Geisterwelt! Eine bezaubernde Aussicht und so eine Einsicht für einen lichten Magen, wahrlich, da wird es so schon auszuhalten sein in alle Ewigkeit, amen! Aber nur keine Nacht mehr in dieser Gegend! Denn die Nacht war hier sehr schauderhaft.

17] Aber nun möchte ich denn doch auch wissen, wer hier so dienstfertig ist? - Geister sind es in jedem Falle, und das sicher lauter sehr gute! Aber ich bin ja nun doch hoffentlich auch ein Geist! Wie kommt es denn, daß ich als selbst Geist diese guten, mir unsichtbar dienenden Geister oder Engel nicht sehen kann? - Wahrscheinlich werde ich noch viel zu unheilig sein, um die reinen, heiligen Engelsgeister zu schauen! Aber das Brot und den Wein sehe ich doch! Na, es ist schon auch also gut, hab ich nur Brot und Wein vorderhand! Das andere wird sich nachderhand etwa auch wohl machen! In Gottes Namen und mit Seinem Segen dazu werde ich denn doch mich zuerst ans Brot machen und dann aber auch an den überaus gut aussehenden Wein! - Oh, in Gottes Namen, o in Gottes Namen! Gott segne es! - Ihm allein alle Ehre, alles Lob und allen Preis!"

18] Nach diesen Worten bricht der Mönch ein tüchtiges Stück Brot vom ganzen Laibe, fängt an, es zu essen und findet es wunderbar wohlschmeckend. Daher er sich sogleich über den ganzen Laib hermacht und spricht, als er damit ganz vergnügt fertig ist:

19] O gottlob, gottlob! Das war ein Brot, so wohlschmeckend wie eine vollkommen reife Ananas aus Brasilien! Es war gar nicht mehr zum Aufhören, als man einmal hineinbiß! Nun aber will ich auch dem Weine zusprechen! In Gottes Namen, in Gottes heiligstem Namen! Ist fast mehr als eine Maß! Aber das macht nichts, hab' ja öfter auf der Erde auch bei so guten Bersehgängen ein Maßl und manchmal noch etwas darüber, etwa so einen heiligen Johannessegen, mitgenommen. Nun, nun in Gottes Namen! Es wird sich schon auch hier tun! O du liebs, liebs, liebs Weinl du! Was für eine herrliche Goldfarbe! Und was für ein nahezu fingerhohes Olreifl!"


20] Hier setzt er die Flasche an und setzt sie nicht eher ab, als bis der letzte Tropfen draußen ist. Nun kann er sich nimmer genug verwundern über die außerordentliche Güte des Weines und wird ganz über die Maßen heiter und fröhlich und dabei sehr andächtig gestimmt, so daß er am Ende nur in einem fort: "O gottlob, o gottlob!" herausbringt.

21] Nach einer Weile seiner andächtigen Ergießungen richtet er sich endlich ganz auf und spricht bei sich: "Wie hat mich doch dieses Mahl gestärkt! Das war kein irdisch Brot und kein irdischer Wein! Das war ein wahrhaftiges Brot aus den Himmeln und ein wahrhaftiger Wein aus den höchsten Himmeln! Denn das Brot war ganz Nahrung und der Wein ganz Leben! - Nun erst lebe ich wahrhaft wieder, und der Tod scheint für ewig von mir gewichen zu sein! Am Ende ist die alte Mythe von Christo, der das Abendmahl im Brote und Weine seinen Jüngern gegeben und dessen Genuß zur Gewinnung des ewigen Lebens anbefohlen habe, denn doch nicht gar so leer, als wie sie, freilich ganz heimlich, von dem gebildeten höheren Klerus geglaubt ward!

22] Es ist zwar wohl in dieser alten Christuslehre, die durch die vier mythischen Evangelisten sich bis auf diese Zeit freilich wohl schon sehr verkrüppelt erhielt, so manches Widersprechende enthalten, das ein gesunder Geist eben nicht so leicht verdauen kann, wie ich nun dies Brot und diesen Wein. Aber dem ungeachtet enthält sie doch wieder andere höchst folgerichtige Dinge, aus denen man eben nicht gar so unklar ersehen kann, daß der Stifter solch einer Lehre, vorausgesetzt, daß er einmal existiert hat, durchaus kein gewöhnlicher Mensch, sondern offenbar ein Gott sein mußte. Und nun diese Neubelebung durch Brot und Wein gibt mir einen beinahe unwiderlegbaren Beweis, daß Christus auf der Erde einst wirklich existiert hat, und daß es mit Seiner Gottessohnschaft eben nicht gar so schlecht aussehen kann, als wie es heimlich die hohe Klerisei meint.


23] Wer weiß, oder wer kann es wissen, ob es sich denn nun in dieser schönsten Geisterwelt doch nicht einmal begeben kann, daß ich irgendwo mit dem Geiste Christi zusammenkomme! O Gott! Wenn ich solches erlebete, dann würde ich Christum aber doch so lange bitten, mir zu gestatten, dem Papste und sämtlichen Kardinälen einen sicher sehr unwillkommenen Besuch abzustatten und ihnen zu zeigen, wer Christus ist und wessen Geistes Kinder sie sind! Freilich würde das eben nicht viel nützen; denn diese alle sind zu sicher von aller Welt gefangen. Aber wohl täte es unsereinem, wenn man diesen, jedes bessern Gefühls baren Rotmäntlern, diesen offenbarsten Widerchristen zeigen könnte, daß Chritus keine Fabel ist, sie sie wähnen, sondern wahrhaft Der und Das, als wen und als Was Er Sich Selbst geoffenbart hat! Augen wenigstens müßten sie machen so groß wie der allerschönste Vollmond!

24] Aber nun vernehme ich auf einmal ein Gelispel wie von Menschen um mich her, und das Morgenlicht wird stärker und stärker! - Darum stille nun, ganz stille! Vielleicht vernehme ich ganz wohl artikulierte Worte und Sätze!"

voriges Kapitel Home  |    Inhaltsverzeichnis  |   Werke Lorbers nächstes Kapitel