Jakob Lorber: 'Himmelsgaben', Band 3, Seite 073


02] Doch hört, dieser Meinung bin Ich durchaus nicht! Ja, denkt nur ein wenig nach und leitet dieses Wörtlein richtig ab, so werdet ihr leicht doch finden, wo und wie die kleine Zungenpflanze ist gewachsen. Kann sie je vom Glauben hergekommen sein als halbgereifte Frucht? O ja, vom Menschenglauben wär's wohl möglich, die da glauben, was dem Eigensinne schmeichelt und in eigener Idee die Wahrheit wähnen oder sie am Ende dafür halten, als wenn Wahrheit dann nur Wahrheit wäre, so auf eignem Grund und Boden sie gewachsen ist. Doch solchen Glauben, solche Wahrheit kann das reine Herz nicht brauchen; sondern redlich nehmen gute Gaben, gute Sagen, und dann wieder redlich geben echte Früchte, echte Liebe, echte Wahrheit. -

03] Seht, meinen aber kommt her von mein, und so ihr sagt: Ich meine, sagt ihr soviel, als wenn ihr sagen möchtet: Seht, das ist mein Urteil, wie auch: Ich denke das aus mir ohn' alle Rücksicht auf das Urteil eines zweiten, dritten, vierten; sondern wie ich's hab' zuerst in mir empfunden, geb' ich es als rein nur selbst erzeugte Ware wortgetreu von mir. Und seht, so ihr sagen möchtet: Höre Freund, was meinst denn du? - so habt ihr recht gefragt, wenn ihr da sagen wolltet: Freund! was gehen dich die Urteile an, die da auf meinem Grunde sind gewachsen? Doch so ihr sagt oder wollt sagen: Freund! laß hören das Urteil, so da gewachsen ist auf deinem Grunde - hört! - da redet baren Unsinn ihr, denn wie soll denn ein zweiter meinen können oder aussprechen ein Urteil des ersten, ohne es gehört zu haben als ein eignes, ohne daß es je gewachsen wäre auf eignem Grund und Boden!

04] Nun, so seht hier die deutsche Sprache, wie sie sich verbessert hat seit alter Zeit und Sitte, da ihr wohl aus Eigenliebe noch geblieben ist das Meinen; doch das Zeitwort deinen, seinen, das gebräuchlich war in einter Zahl, ist lange, lange schon aus allem Kurs gekommen. Und so da denn jemand recht wollt' fügen dieses Wort, müßt' sagen er: Ich meine, du deinst, er seint, wie auch: er seint. Und wie es da gibt eine Meinung dann, so soll's auch geben eine Deinung, wie auch eine Seinung. Und obschon da jeder hat für sich die Meinung, aber wenn er sagen soll des zweiten oder dritten Urteil - hört! - da soll er reden von der Deinung oder Seinung, aber nicht von einer Meinung eines zweiten, dritten oder wohl gar vierten und so weiter. Ebenso ist's auch gefehlt, so da jemand sagt: meine Meinung, da die Meinung ja schon ohnehin die Eigentümlichkeit des Redners zur Genüge kündet - nun, wozu hernach das meine? Unsinnvoller ist hernach die Rede erst, so jemand sagt: Deine oder seine Meinung! Hört, solche Sprachalbernheiten gäb' es eine große Menge noch auf eurer Zunge, ja da wäre noch gar viel zu richten und zu ebnen; aber da der Unsinn gang und gäbe ist geworden bei den Menschen und geworden ist zur harten Kruste um den Stamm der Völker schon seit Babels Zeiten, so wird's hart sein gegen solche alte Narr- und Bosheit streiten!



Home  |    Inhaltsverzeichnis  |   Werke Lorbers