Jakob Lorber: 'Himmelsgaben', Band 1


29] Er nehme irgendein geräumiges Gefäß, z.B. etwa irgendeinen großen Gartentopf, gebe in denselben ganz vollkommen gleiches Erdreich, lege in dieses Erdreich aber verschiedene Samenkörner, begieße dieselben mit chemisch gleichem Wasser und, was die Gleichartigkeit der Sonnenstrahlen betrifft, so darf er ohne Sorgen sein, denn diese sind heute noch dieselben, wie sie vor einigen Trillionen Jahren waren. Beobachtet er dann die Pflanzen, die da aus den verschiedenen Sämereien aufgehen werden, dann wird er sich überzeugen müssen, daß seine Arbeit und Sorge eine rein vergebliche war. Denn es wird, alles dessen ungeachtet, aus dem Nelkensamen eine Nelke mit all ihrer Eigentümlichkeit, aus dem Veilchensamen ein Veilchen, aus dem Rübensamen eine Rübe, aus dem Kornsamen eine Kornstaude usw., aus jedem Samen die entsprechende Pflanze mit allen ihren Eigentümlichkeiten zum Vorscheine kommen.

30] Wer da nur einigermaßen denkt und ein Fünkchen Leben hat in seinem Gemüte, das nach oben und nicht nach unten treibt, wird der nicht alsobald wenigstens sich selbst im stillen fragen müssen: »Aber wie ist dieses möglich, daß aus einer und derselben Erde, aus einem und demselben Wasser und aus einem und demselben Licht- und Wärmestrahle der Sonne so höchst verschiedene Produkte zum Vorscheine kommen!? Und doch, wenn ich alle diese Samenkörner chemisch untersuche, so finde ich im Grunde nur immer einen und denselben Grundstoff! Ja selbst, wenn ich jede Pflanze für sich verbrenne, so bleibt mir denn doch stets eine und dieselbe Asche übrig!

31] Wenn ich die grüne Pflanze auspresse, so bekomme ich wohl von jeder einen etwas verschieden schmeckenden und riechenden Saft. Allein zerlege ich die Säfte wieder chemisch, so zeigt sich's am Ende doch nur wieder, daß da alles auf eines hinausgeht. Und bis ich auf meinen wohlbekannten Kohlenstoff und Grundsauerstoff gekommen bin, so bin ich auch mit meiner schweren Untersuchungsarbeit fertig und muß am Ende eingestehen, daß ich in meiner mich so berühmt machenden Kunst ein allerpurster Pfuscher bin?«

32] Seht, wer nach einem solchen Versuch zu diesem Ergebnisse gekommen ist, der ist schon an der Schwelle des Vorhofes! Wenn er da anklopft, so kann er eingelassen werden, wenn auch nicht alsogleich in den Tempel, so doch wenigstens in den Vorhof. Und es ist besser, sich mit geraden Gliedern des Geistes in dem Vorhofe zu befinden, denn als Gichtbrüchiger am dürren Ufer Siloahs zu harren, bis ein Engel, des Teiches Wasser rührend, dasselbe mit Heilkraft sättigt. Denn wer da etwas verloren hat, tut besser, wenn er es sucht, um es wiederzufinden, als daß er unbekümmert auf einem Punkte wartet, bis etwa ein redlicher Finder wiederkehre und ihm den verlorenen Schatz einhändige.



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