Jakob Lorber: 'Die geistige Sonne' (Band 1)


Kapitelinhalt 23. Kapitel: Wer hier sparsam sät, wird jenseits mager ernten.

(Am 20. Dezember 1842 von 4 bis 6 3/4 Uhr Abends.)

Originaltext 1. Auflage 1870 durch Project True-blue Jakob Lorber

Text nach 6. Auflage 1975 Lorber-Verlag

01] Da wir uns hier gehörig von unserer Reise ausgeruht haben, und haben bei dieser Gelegenheit so manchen weitgedehnten Rückblick dahin senden können, von wannen wir hergekommen sind, so wird uns die Weiterreise ja eben keine so großen Beschwerden mehr machen. - Sehet, da zieht sich sogleich ein so ziemlich breites Thal mit einer kleinen Meereseinbuchtung versehen landeinwärts; - also machen wir unseren Weg zur rechten Seite der Bucht vorwärts. Hier möget ihr schon wieder freier wandeln; denn nun haben wir festen Boden. - Da seht einmal ganz in die Tiefe des Thales hinein nach vorwärts, allda es sich ganz zusammen engt. Dorthin müßten wir sobald gelangen, und unsere erste kleine Station machen; also nur munter darauf los geschritten, und wir werden sobald an Ort und Stelle sein. - Sehet, wie das Thal immer enger und enger wird, und von allen Seiten her die furchterregendsten Hochgebirgsfelsen also herab hängen, als wollten sie jeden Augenblick herabstürzen. Allein laßt euch alles Dessen nicht bange werden; es wird Niemanden dabei auch nur ein Haar gekrümmt werden.

02] Nun sehet, da sind wir schon bei unserer engen Kluft; wie gefällt es euch hier? - Ihr saget: Eben gerade nicht am besten. - Das thut aber nichts zur Sache; wenn wir erst einen schärferen Blick in diese Gegend thun werden, so wird sie euch schon ein wenig besser zu munden anfangen, als es so eben der Fall ist. - Sehet, da neben der Kluft geht zur linken Hand ebenfalls ein enger Graben, sich gegen Mittag hinziehend, hinein; - was erblicket ihr da? - Ihr saget, wie ihr sehet: Wir sehen abhängende Gebirgstriften, hier und da sparsame Aecker über denselben; - hier und da mehr in der Niederung ist ein kleines Häuschen, wie gegen den Berg hinzu gedrückt erbaut. - Hier und da wieder sehen wir große und überaus hoch herabstürzende Wasserquellen; Bäume und Gesträuche giebt es auch hier und da, - und hat dieses Thal das Aussehen einer höchst eingeengten Gebirgsgegend in der Schweiz auf dem Erdkörper.

03] Sehet ihr keine Menschen? - Ihr saget: Bis jetzt hat sich noch nichts Aehnliches unseren Blicken dargestellt; aber wie es uns vorkommt, da nicht ferne bei der ersten Bauernhütte erblicken wir so eben einige ganz armselige Landleute der Hütte entsteigen; - sie sind eben so mit graulodenem Kleide angethan wie auf der Erde. Dort weiter vorne erblicken wir ja auch ganz ähnliche Landleute, die da auf dem Acker damit beschäftiget zu sein scheinen, als jäteten sie einiges Unkraut aus dem besseren Getreide, und, wenn wir uns nicht täuschen, so erblicken wir dort auf einer mehr im Hintergrunde befindlichen Gebirgstrift eine etwas mager aussehende Kuhheerde; - und, lieber Freund und Bruder, wie du dich selbst überzeugen kannst, das ist aber auch Alles, was wir von lebenden Wesen hier erschauen. - Geht dieses Thal noch tiefer hinein, oder hat es mit der letzten Ansicht schon ein Ende?

04] Lieben Freunde und Brüder, dieses Thal geht noch gar tief hinein, wird nach und nach stets breiter und freundlicher; jedoch nicht zu vergleichen mit denjenigen Gegenden, die wir vor der ersten Säule erschauet haben. - Ihr fraget: Was bedeutet denn dieses Thal? Ich sage euch: dieses Thal und noch gar viele seines Gleichen ist nichts als eine vollgiltige Enthüllung desjenigen Textes in der Schrift, der also lautet: "Wer sparsam säet, der wird auch sparsam ernten". - Ihr fraget mich abermals: Wer waren denn diese Leute auf der Erde? - Ich sage euch: das waren auf der Erde sehr angesehene und wohlhabende Menschen, und thaten der armen dürftigen Menschheit manches Gute; - die größten Wohlthäter aber waren sie dennoch ihrer selbst.

05] So war der erste Besitzer der Hütte, die ihr da im Vordergrunde erschauet, ein überaus reicher Mann; dieser Mann hat bei jeder Gelegenheit den Armen mitunter ganz ansehnliche Stipendien gegeben; aber alle diese Stipendien zusammen genommen machten nicht den zehntausendsten Theil seines Vermögens aus. - Nun sehet, dieser Mann hatte wohl Nächstenliebe; wäget aber die Nächstenliebe ab mit seiner stark vorherrschenden Eigenliebe, so werdet ihr sobald den Grund einsehen, warum er nun hier ein gar so dürftiger Landmann ist. - Ihr saget: Beiläufig sehen wir ihn wohl ein; aber so ganz gründlich noch nicht. - Gut, ich will euch den Grund alsogleich ganz klar darstellen; solches müßt ihr aber zuvor wissen, daß man allhier im Reiche des Geistes sich auch ganz außerordentlich wohl auf die Kapitals- und Zinsenrechnung versteht, und daß zwar auf die Atome der kleinsten Zinsmünze Rücksicht genommen wird.

06] Und so denn merket wohl auf: Dieser hier dürftige Landmann besaß auf der Erde ein Vermögen so in runder Zahl von zwei Millionen Silbergulden; nach eurem gesetzlichen Zinsfuße warf ihm dieses ansehnliche Kapital jährlich einmalhunderttausend Silbergulden an Zinsen ab; die Früchte dieses Kapitals hatte dieser Mann auf der Erde volle dreißig Jahre hindurch genossen. Dadurch hat er sich sein ursprüngliches Vermögen noch um drei Millionen Silbergulden vergrößert. Sein Hauswesen bestritt er mit den Zinseszinsen; von diesen Zinseszinsen, welche ebenfalls sehr ansehnlich waren, machte er auch allerlei wohlthätige Stipendien, welche am Ende seines Lebens zusammen genommen bei fünfzigtausend Gulden ausmachten. Wie verhält sich diese Summe zu seinem Hauptkapitale, und zu den alljährigen Zinsen, welche dasselbe abwirft? - Es ist ein Fünftel seines jährlichen Haupteinkommens; er bekommt aber das fünffache als Hauptzinsenertrag seines Kapitals nach den erworbenen fünf Millionen alljährig, während diese Summe von fünfzigtausend Gulden für wohlthätige Zwecke verwendet, sich auf seine ganze Lebenszeit erstreckt. - Diese Summe wird bei uns genau auf die dreißig Jahre ausgemessen, und was da fällt auf ein Jahr, wird als Kapital angenommen; von diesem Kapitale kommen ihm nun die Zinsen zu gute. Das Kapital stellt seine ganze Wirthschaft dar, und der Ertrag dieser Wirthschaft steht mit dem gesetzlichen Zinsen stets in der genauen Uebereinstimmung. - Die zwei Personen, die noch an seiner Seite sind, das ist sein Weib und ein verstorbener Sohn von ihm; diese haben gewisserart mit dem Geiste des Vaters mitgearbeitet; daher haben sie gar kein eigenes Kapital, sondern müssen alle Drei von dem Zinsertrage leben, welchen diese Bauernwirthschaft abwirft.

07] Ihr fraget: Können diese Menschen nie zu einem größeren Gute gelangen? - Die Möglichkeit ist wohl vorhanden; aber es geht Solches hier noch um's Bedeutende schwerer als bei euch auf der Erde. Ihr wißt aber, wie schwer es Einem ist, auf dem gesetzlichen Zinswege sich mit einem Capitale von etwas über tausend Gulden zu einer Million zu erheben. - Seht, noch schwerer ist es hier, zu einem größeren Besitzthume sich empor zu arbeiten; denn was dieser magere Grund erträgt, reicht mit der allergenauesten Noth kaum hin, um diesen drei Personen die allernöthigste Subsistenz zu geben; daher ist da mit der Ersparniß nicht wohl weiter zu kommen.

08] Es bietet sich nur ein Fall dar, durch welchen sich die armseligen Bewohner dieser Gegend nach und nach empor helfen können, und dieser Fall besteht darin: es kommen von Zeit zu Zeit ganz entsetzlich arme Pilger durch diese enge Kluft herein; diese sind gewöhnlich nackt und voll des drückendsten Hungers; - wenn diese Pilger solche Häuser erblicken, so verlegen sie sich alsbald aufs Betteln. Wenn dann einem solchen Bettler ein solcher Landmann bei aller seiner Dürftigkeit dennoch mit offenen Armen entgegen geht, ihn führt in seine ärmliche Hütte, ihn daselbst mit der nöthigen Kleidung versieht und sein kärgliches Mahl brüderlich mit ihm theilt, so wird durch eine solche Unterstützung sein Capital um die Hälfte vergrößert, jedoch ihm unbewußter Maßen. - Thut er Solches öfter, oder behält sogar einen gar Armseligen in seiner Pflege, indem er zu ihm spricht: "Lieber Bruder! siehe, ich bin arm und habe wenig; bleibe darum aber dennoch hier, und ich will dieses Wenige allzeit brüderlich mit dir theilen, so lange ich Etwas haben werde, und habe ich mit dir Alles verzehrt, was ich habe, so will ich dann auch mit dir gern den Bettelstab ergreifen".

09] Wann Solches der Fall ist, so wird sobald das Capital eines solchen Landmannes heimlich verhundertfacht; und wenn bei einer solchen Gelegenheit noch mehrere Dürftige zu ihm kommen, und er nimmt sie liebfreundlich auf und bietet alles Mögliche auf, sie zu versorgen, so daß er z. B. mit den Pilgern im Falle seiner gänzlichen Versorgungsunfähigkeit zu den andern Nachbarn geht und für sie um Unterkunft und mögliche Versorgung bittet, so wird dadurch sein Capital vertausendfacht; jedoch ohne sein Wissen.

10] Wenn es denn geschieht, daß er zu Folge seiner Nächstenliebe sich aller seiner Habseligkeit also entblößt hat, daß er dann im Ernste mit seinen Stipendisten den Bettelstab ergreift, so wird er einige Zeit belassen, auf daß er bettele um den Unterhalt vorerst seines armen Aufgenommenen, und so nebenbei erst auch für sich; - für sich aber dennoch also, daß er stets den größeren Theil seinem armen Bruder zuwendet, als sich. Da geschieht es denn, daß ihm unbekannter Maßen vom Herrn ein Engelsgeist entgegen kommt, und sich um seine Umstände erkundiget, und er dann spricht: Lieber Freund, du siehst, daß ich arm bin, jedoch solche Armuth drückt mich nicht; aber daß ich diesem meinen Bruder nicht mehr helfen kann, solche Armuth drückt mich. - Was glaubet ihr, was da geschieht? - Hier kehrt sich der arme Bruder um, und spricht zu ihm: Ich kam nackt zu dir; du hast mich bekleidet, hast mich, den Hungrigen und Durstigen, gespeist und getränkt, und achtetest nicht auf deine Gabe, auf daß du sogar mit mir den Bettelstab ergriffest, -und suchtest allenthalben Brod für mich. Siehe, also bin Ich aber nun auch dein großer Lohn; denn Ich, dein armer Bruder, bin der alleinige Herr Himmels und aller Welten! und kam zu dir, auf daß Ich dir helfe.

11] Dieweil du auf der Erde warst, hast du zwar sparsam gesäet, und eine sparsame Ernte mußte daher nothwendig dein Antheil sein. Mit deiner sparsamen Ernte aber hast du keinen Wucher mehr getrieben, sondern hast erweichen lassen dein Herz, und mochtest keinen Armen vor deiner Hütte vorüber ziehen sehen, ohne mit ihm zu theilen deine sparsame Ernte. Siehe, Solches hat dir geholfen und dich zu einem reichen Einwohner des Himmels gemacht. Siehe, dieser Bruder, der dir hier entgegen kam, wird dich führen in dein neues Besitzthum.

12] Hier verschwindet der Herr, und der abgesandte Bote führt den liebthätigen armen Bewohner dieser Gegend hinüber in den goldenen Mittag, allda für ihn ein dem Kapitale seiner Liebthätigkeit wohl angemessenes neues Besitzthum harrt.

13] Wenn der also Beglückte spricht zum Boten: Lieber Freund und Bruder, siehe, ich bin unendlich glücklich, darum mir die unendliche Gnade und Erbarmung des Herrn Solches beschert hat; ich weiß, daß dies neue Besitzthum sicher von gar herrlicher und reichlicher Art sein wird. Allein siehe, hier sind andere arme Brüder; an diese trete ich dieses mir bestimmte Gut ab, mich aber lasse wieder zurückziehen in meine ärmliche Hütte; denn es könnte ja geschehen, daß sich unter den vielen Armen, die vielleicht noch meine ärmliche Hütte besuchen werden, wieder einmal der Herr einfinden könnte, und so will ich zurückziehen und in meiner armen Hütte noch jeglichem armen Bruder mit hundertfach größerer Liebe entgegen kommen, als Solches bis jetzt der Fall war. - Wahrlich kann ich dir sagen, wenn ich solch' eines Glückes noch einmal in meiner ärmlichen Hütte möchte gewürdiget weiden, so werde ich in dieser meiner ärmlichen Hütte in alle Ewigkeit glücklicher sein, als gäbest du mir die größten und herrlichsten Güter in einem allerschönsten Theile des Himmels! Und so denn lasse mich wieder zurückziehen.

14] Alsdann geschieht es auch, daß der Geist den armen Landmann mit seiner kleinen Familie zurückziehen läßt; wann dieser aber dann in seine ärmliche Hütte kommt, so harrt auch schon seiner der Herr mit offenen Armen, und macht ihn sobald zu einem Bürger des ewigen Morgens!

15] Sehet, solche Scenen gehen da wohl öfter vor; aber ihr möchtet es kaum glauben, welch' ein hoher Grad der Selbstverleugnung dazu erfordert wird. Denn die Armuth hat nur gar zu häufig die fast nothwendige Eigenliebe unzertrennlich bei sich; darum da auch ein Armer nur für sich um Unterstützung bittet. Hat er dann sich ein kleines Stipendium zusammen gebeten, so reicht dieses kaum für seinen Bedarf hin, und die eigene Noth und Armseligkeit läßt es ihm beinahe gar nicht zu, seine höchst sparsame Gabe mit einem andern armen Bruder zu theilen; aus welchem Grunde ihr schon auf der Erde unter der armen Classe der Menschen nicht selten einen verheerenden Neid antreffet. - Aus Dem geht aber hervor, daß solche armbestellte Einwohner dieses Thales vor den Bettelnden sich so viel als möglich verbergen; aus dem Grunde sehet ihr auch Wenige außer den Häusern, die ihr aber außerhalb erblicket, sind schon von solch guter Art.

16] Nächstens wollen wir das sehr schroffe Thal zu unsrer rechten Hand gegen den Norden zu beschauen; - und somit gut für heute.

01] Da wir uns hier gehörig von unserer Reise ausgeruht und bei dieser Gelegenheit haben so manchen weitgedehnten Rückblick dahin senden können, von wannen wir hergekommen sind, so wird uns die Weiterreise ja eben keine so großen Beschwerden mehr machen. - Seht, da zieht sich gleich ein ziemlich breites Tal, mit einer kleinen Meereseinbuchtung versehen, landeinwärts. Gehen wir unseren Weg zur rechten Seite der Bucht vorwärts. Hier mögt ihr schon wieder freier wandern, denn nun haben wir festen Boden. - Da seht einmal in die Tiefe des Tales hinein nach vorwärts, wo es sich ganz zusammenengt. Dorthin müssen wir sobald gelangen und unsere erste kleine Station machen. Also nur munter darauf losgeschritten, und wir werden bald an Ort und Stelle sein. - Seht, wie das Tal immer enger und enger wird und von allen Seiten her die furchterregendsten Hochgebirgsfelsen also herabhängen, als wollten sie jeden Augenblick herabstürzen. Allein, laßt euch alles dessen nicht bange werden; es wird niemandem dabei auch nur ein Haar gekrümmt.


02] Nun seht, da sind wir schon bei unserer engen Kluft; wie gefällt es euch hier? Ihr sagt: Eben gerade nicht am besten. Das tut aber nichts zur Sache, wenn wir erst einen schärferen Blick in diese Gegend tun werden, so wird sie euch schon ein wenig besser zu munden anfangen, als es soeben der Fall ist. Seht, da neben der Kluft geht zur linken Hand ebenfalls ein enger Graben, sich gegen Mittag hinziehend, hinein. Was erblickt ihr da? Ihr sagt, wie ihr seht: Wir sehen abhängende Gebirgstriften, hier und da sparsame Äcker über denselben; hier und da, mehr in der Niederung, ist ein kleines Häuschen wie gegen den Berg hinzugedrückt erbaut. Hier und da wieder sehen wir große und überaus hoch herabstürzende Wasserquellen; Bäume und Gesträuche gibt es auch hier und da. Dieses Tal hat also das Aussehen einer höchst eingeengten Gebirgsgegend in der Schweiz auf dem Erdkörper.

03] Seht ihr keine Menschen? - Ihr sagt: Bis jetzt hat sich noch nichts Ähnliches unseren Blicken dargestellt; aber, wie es uns vorkommt, da nicht ferne bei der ersten Bauernhütte erblicken wir soeben einige ganz armselige Landleute der Hütte entsteigen. Sie sind ebenso mit graulodenem Kleide angetan wie auf der Erde. Auch dort, weiter vorne, erblicken wir ganz ähnliche Landleute, die auf dem Acker damit beschäftigt zu sein scheinen, einiges Unkraut aus dem besseren Getreide zu jäten und, wenn wir uns nicht täuschen, so erblicken wir dort auf einer mehr im Hintergrunde befindlichen Gebirgstrift eine etwas mager aussehende Kuhherde. Das, lieber Freund und Bruder, wie du dich selbst überzeugen kannst, ist aber auch alles, was wir von lebenden Wesen hier erschauen. - Geht dieses Tal noch tiefer hinein oder hat es mit der letzten Ansicht schon ein Ende?

04] Liebe Freunde und Brüder, dieses Tal geht noch gar tief hinein, wird nach und nach stets breiter und freundlicher, jedoch nicht zu vergleichen mit denjenigen Gegenden, die wir vor der ersten Säule erschaut haben. Ihr fragt: Was bedeutet denn dieses Tal? Ich sage euch: dieses Tal und noch gar viele seinesgleichen ist nichts als eine vollgültige Enthüllung desjenigen Textes in der Schrift, der also lautet: »Wer sparsam sät, der wird auch sparsam ernten.« - Ihr fragt mich abermals: Wer waren denn diese Leute auf der Erde? Ich sage euch: Das waren auf der Erde sehr angesehene und wohlhabende Menschen und taten der armen dürftigen Menschheit manches Gute. Die größten Wohltäter aber waren sie dennoch ihrer selbst.

05] So war der Besitzer der ersten Hütte, die ihr da im Vordergrunde erschaut, ein überaus reicher Mann. Dieser Mann hat bei jeder Gelegenheit den Armen mitunter ganz ansehnliche Stipendien gegeben. Aber alle diese Stipendien zusammengenommen machten nicht den zehntausendsten Teil seines Vermögens aus. Nun seht, dieser Mann hatte wohl Nächstenliebe; wägt aber die Nächstenliebe ab mit seiner stark vorherrschenden Eigenliebe, so werdet ihr sobald den Grund einsehen, warum er nun hier ein gar so dürftiger Landmann ist. Ihr sagt: Beiläufig sehen wir ihn wohl ein; aber so ganz gründlich noch nicht. - Gut, ich will euch den Grund sogleich ganz klar darstellen. Solches müßt ihr aber zuvor wissen, daß man hier im Reiche des Geistes sich auch ganz außerordentlich wohl auf die Kapital- und Zinsenrechnung versteht, und zwar mit einer solchen Genauigkeit, daß sogar auf die Atome der kleinsten Zinsmünze Rücksicht genommen wird.

06] Und so denn merkt wohl auf: Dieser hier dürftige ,Landmann' besaß auf der Erde ein Vermögen in runder Zahl von zwei Millionen Silbergulden. Nach eurem gesetzlichen Zinsfuße warf ihm dieses ansehnliche Kapital jährlich einmalhunderttausend Silbergulden an Zinsen ab. Die Früchte dieses Kapitals hatte dieser Mann auf der Erde volle dreißig Jahre hindurch genossen. Dadurch hat er sich sein ursprüngliches Vermögen noch um drei Millionen Silbergulden vergrößert. Sein Hauswesen bestritt er mit den Zinseszinsen. Von diesen Zinseszinsen, welche ebenfalls sehr ansehnlich waren, machte er auch allerlei wohltätige Spenden, welche am Ende seines Lebens zusammengenommen bei fünfzigtausend Gulden ausmachten. Wie verhält sich diese Summe zu seinem Hauptkapitale und zu den alljährlichen Zinsen, welche dasselbe abwirft? - Es ist ein Fünftel seines jährlichen Haupteinkommens. Er bekommt aber das Fünffache als Hauptzinsenertrag seines Kapitals nach den erworbenen fünf Millionen alljährlich, während diese Summe von fünfzigtausend Gulden, für wohltätige Zwecke verwendet, sich auf seine ganze Lebenszeit erstreckt. Diese Summe wird bei uns genau auf die dreißig Jahre ausgemessen, und was da entfällt auf ein Jahr, wird als Kapital angenommen. Von diesem Kapitale kommen ihm nun die Zinsen zugute. Das Kapital stellt seine ganze Wirtschaft dar, und der Ertrag dieser Wirtschaft steht mit den gesetzlichen Zinsen stets in der genauen Übereinstimmung. Die zwei Personen, die noch an seiner Seite sind, das sind sein Weib und ein verstorbener Sohn. Diese haben gewisserart mit dem Geiste des Vaters mitgearbeitet, daher haben sie gar kein eigenes Kapital, sondern müssen alle drei von dem Zinsertrage leben, welchen diese Bauernwirtschaft abwirft.


07] Ihr fragt: Können diese Menschen nie zu einem größeren Gute gelangen? Die Möglichkeit ist wohl vorhanden; aber es geht solches hier noch ums Bedeutende schwerer als bei euch auf der Erde. Ihr wißt aber, wie schwer es einem ist, auf dem gesetzlichen Zinswege sich mit einem Kapitale von etwas über tausend Gulden zu einer Million zu erheben. Seht, noch schwerer ist es hier, zu einem größeren Besitztume sich emporzuarbeiten, denn was dieser magere Grund trägt, reicht mit der genauesten Not kaum hin, um diesen drei Personen die allernötigste Subsistenz zu geben. Daher ist da mit der Ersparnis nicht wohl weiterzukommen.


08] Es bietet sich nur ein Fall dar, durch welchen sich die armseligen Bewohner dieser Gegend nach und nach emporhelfen können, und dieser Fall besteht darin: Es kommen von Zeit zu Zeit ganz entsetzlich arme Pilger durch diese enge Kluft herein. Diese sind gewöhnlich nackt und voll des drückendsten Hungers. Wenn diese Pilger solche Häuser erblicken, so verlegen sie sich alsbald aufs Betteln. Wenn dann einem solchen Bettler ein solcher Landmann bei aller seiner Dürftigkeit dennoch mit offenen Armen entgegengeht, ihn führt in seine ärmliche Hütte, ihn daselbst mit der nötigen Kleidung versieht und sein kärgliches Mahl brüderlich mit ihm teilt, so wird durch eine solche Unterstützung sein Kapital um die Hälfte vergrößert, jedoch ihm unbewußtermaßen. - Tut er solches öfter oder behält sogar einen gar Armseligen in seiner Pflege, indem er zu ihm spricht: Lieber Bruder! Siehe, ich bin arm und habe wenig; bleibe darum aber dennoch hier, und ich will dieses wenige allzeit brüderlich mit dir teilen, solange ich etwas haben werde, und habe ich mit dir alles verzehrt, was ich habe, so will ich dann auch mit dir gern den Bettelstab ergreifen.

09] Wenn solches der Fall ist, so wird sobald das Kapital eines solchen Landmannes heimlich verhundertfacht. Und wenn ob einer solchen Gelegenheit noch mehrere Dürftige zu ihm kommen, und er nimmt sie liebfreundlich auf und bietet alles Mögliche auf, sie zu versorgen, so daß er z. B. mit den Pilgern im Falle seiner gänzlichen Versorgungsunfähigkeit zu den andern Nachbarn geht und für sie um Unterkunft und mögliche Versorgung bittet, so wird dadurch sein Kapital vertausendfacht; jedoch ohne sein Wissen.

10] Wenn es dann geschieht, daß er zufolge seiner Nächstenliebe sich aller seiner Habseligkeit also entblößt hat, daß er dann im Ernste mit seinem Pilger den Bettelstab ergreift, so wird er einige Zeit belassen, auf daß er bettle um den Unterhalt vorerst seines armen Aufgenommenen und so nebenbei erst auch für sich; - für sich aber dennoch also, daß er stets den größeren Teil seinem armen Bruder zuwendet. Da geschieht es denn, daß ihm unbekanntermaßen vom Herrn ein Engelsgeist entgegenkommt, sich nach seinen Umständen erkundigt und er dann spricht: Lieber Freund, du siehst, daß ich arm bin, jedoch solche Armut drückt mich nicht; aber daß ich diesem meinem Bruder nicht mehr helfen kann, solche Armut drückt mich. - Was glaubt ihr, was da geschieht? - Hier kehrt sich der arme Bruder um und spricht zu ihm: Ich kam nackt zu dir, du hast mich bekleidet, hast mich, den Hungrigen und Durstigen, gespeist und getränkt und achtetest nicht auf deine Gabe, auf daß du sogar mit mir den Bettelstab ergriffest und suchtest allenthalben Brot für mich. Siehe, also bin Ich aber nun auch dein großer Lohn, denn Ich, dein armer Bruder, bin der alleinige Herr Himmels und aller Welten und kam zu dir, auf daß Ich dir helfe.

11] Dieweil du auf der Erde warst, hast du zwar sparsam gesät, und eine sparsame Ernte mußte daher notwendig dein Anteil sein. Mit deiner sparsamen Ernte aber hast du keinen Wucher mehr getrieben, sondern hast erweichen lassen dein Herz und mochtest keinen Armen vor deiner Hütte vorüberziehen sehen, ohne mit ihm zu teilen deine sparsame Ernte. Siehe, solches hat dir geholfen und dich zu einem reichen Einwohner des Himmels gemacht. Siehe, dieser Bruder, der dir hier entgegenkam, wird dich führen in dein neues Besitztum.

12] Hier verschwindet der Herr, und der abgesandte Bote führt den liebtätigen armen Bewohner dieser Gegend hinüber in den goldenen Mittag, allda für ihn ein dem Kapitale seiner Liebtätigkeit wohl angemessenes neues Besitztum harrt. -

13] Wenn der also Beglückte zum Boten spricht: Lieber Freund und Bruder, siehe, ich bin unendlich glücklich, darum mir die unendliche Gnade und Erbarmung des Herrn solches beschert hat; ich weiß, daß dieses neue Besitztum sicher von gar herrlicher und reichlicher Art sein wird. Allein siehe, hier sind andere arme Brüder; an diese trete ich dieses mir bestimmte Gut ab, mich aber lasse wieder zurückziehen in meine ärmliche Hütte; denn es könnte ja geschehen, daß sich unter den vielen Armen, die vielleicht noch meine ärmliche Hütte besuchen werden, wieder einmal der Herr einfinden könnte. Und so will ich zurückziehen und in meiner armen Hütte noch jeglichem armen Bruder mit hundertfach größerer Liebe entgegenkommen, als solches bis jetzt der Fall war. Wahrlich, ich kann dir sagen, wenn ich solch eines Glückes noch einmal in meiner ärmlichen Hütte möchte gewürdigt werden, so werde ich in dieser meiner ärmlichen Hütte in alle Ewigkeit glücklicher sein, als gäbest du mir die größten und herrlichsten Güter in einem allerschönsten Teile des Himmels! Und so denn lasse mich wieder zurückziehen.

14] Alsdann geschieht es auch, daß der Geist den armen Landmann mit seiner kleinen Familie zurückziehen läßt. Wenn dieser aber dann in seine ärmliche Hütte kommt, so harrt seiner auch schon der Herr mit offenen Armen und macht ihn sogar zu einem Bürger des ewigen Morgens!

15] Seht, solche Szenen gehen da wohl öfter vor sich, aber ihr möchtet es kaum glauben, welch ein hoher Grad der Selbstverleugnung dazu erfordert wird. Denn die Armut hat nur gar zu häufig die fast notwendige Eigenliebe unzertrennlich bei sich; darum da auch ein Armer nur für sich um Unterstützung bittet. Hat er sich dann ein kleines Stipendium zusammengebettelt, so reicht dieses kaum für seinen Bedarf hin, und die eigene Not und Armseligkeit läßt es ihm beinahe gar nicht zu, seine höchst sparsame Gabe mit einem andern armen Bruder zu teilen; aus welchem Grunde ihr schon auf der Erde unter der armen Klasse der Menschen nicht selten einen verheerenden Neid antrefft. Aus dem geht aber hervor, daß solche armbestellte Einwohner dieses Tales vor den Bettelnden sich soviel als möglich verbergen. Aus dem Grunde sehet ihr auch wenige außer den Häusern, die ihr aber außerhalb erblickt, sind schon von solch guter Art.

16] Nächstens wollen wir das sehr schroffe Tal zu unsrer rechten Hand gegen den Norden zu beschauen. Und somit gut für heute.

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