Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 9


Kapitelinhalt 148. Kapitel: Liebe, Sanftmut und Geduld sind besser als gerechter Eifer.

01] Auf diese Worte machte sich der Vorsteher auf, bestieg das Schiff, in dem Ich mit Meinen alten Jüngern und den andern drei Freunden Mich befand, und fuhr dann mit uns nach Jesaira. Wir kamen bald und leicht in den genannten Ort, wo schon ein wohlbereitetes Mittagsmahl auf uns wartete. Es waren nur zwei Stunden Zeit über den Mittag hinaus verstrichen, und so war es noch um die gewöhnliche Zeit, in der wir zu Mittag zu speisen pflegten.

02] Unser Vorsteher war ganz erstaunt über das schöne Weizenbrot und noch mehr über den guten Wein und über die bestbereiteten Edelfische. Nachdem wir das Mahl zu uns genommen hatten, begaben wir uns wieder in unseren schon bekannten Söller, von dem aus unser Vorsteher die sehr schöne Aussicht nicht genugsam loben konnte.

03] Als er sich alles nach allen Seiten angesehen hatte, sagte er: »Es ist doch sonderbar! Kaum zwei Stunden ist unser kleines Dorf von hier entfernt und liegt am selben Meere, und welch ein Unterschied zwischen hier und dort! Hier strotzt die Gegend von Anmut und reizendster Schönheit, und bei mir sieht es eher schrecklich als irgend anmutig aus. Um unser Dörflein sieht es nun durch Deine Gnade, o Herr, freilich wohl ganz erträglich aus, - aber mit einer das Gemüt so erquickenden Fernsicht hat es seine Not! Unsere wahrlich nicht unbedeutende Bucht ist am Eingange zu beiden Seiten mit einem ziemlich hohen und äußerst schroffen Vorgebirge derart eingeschlossen, daß wir von der Höhe unserer Wohnungen und auch von unserem Hintergebirge, soweit es wegen seiner Schroffheit nur höchst mühsam ersteigbar ist, nicht einmal das hohe Meer, geschweige etwas anderes ersehen können, weil sich das rechte Vorgebirge halbkreisförmig weiter ins große Meer hinaus dehnt und uns die Fernsicht vollends benimmt.

04] Aber dafür hat unsere Gegend wieder einen andern Vorzug vor dieser hier. Hier wird man sicher eher zur Weltliebe gewendet als in unserer wahren Wüste; und die Weltliebe taugt schlecht zur Erweckung des göttlichen Geistes im Menschen. Ist dieser einmal erweckt, dann freilich schadet dem Menschen auch der Anblick einer solchen Gegend, wie diese da ist, sicher nicht mehr!«

05] Als unser Vorsteher der Bucht sich über diese Gegend wahrlich sehr sinnvoll ausgesprochen hatte, da erkundigte er sich, wer die zwanzig schlichten Männer seien, die auch die Bucht mit uns besucht, aber weder unter sich, noch mit jemand andern bis jetzt ein Wort gesprochen haben. Und Ich beschrieb sie ihm, worüber er eine große Freude hatte.

06] Ich berief darauf den Bootsmann, er besprach sich mit ihm und erstaunte über dessen Redekraft und über seinen Ernst und großen Mut.

07] Darauf erhob er sich, reichte dem Bootsmanne, wie auch allen seinen Gefährten freundlichst die Hand und sagte: »Mit solchen Männern im Bunde lassen sich große Dinge zum Heile der Menschen ausführen. Wahrlich, wer die Menschen dieser Welt noch fürchtet, der ist zur Ausbreitung des Reiches Gottes besonders in dieser Zeit nicht geeignet, wo Gewalt gegen Gewalt gebraucht werden muß, um der Wahrheit die Tore zu öffnen und ihr Eingang zu verschaffen!

08] Da heißt es nicht mehr im verborgenen wirken, sondern mit dem Lichte aus den ewigen Himmeln Gottes mutvoll auch den Königen und Fürsten dieser Welt entgegentreten und ihnen zeigen, daß auch sie Menschen sind, die so, wie sie sind, nicht ewig leben werden, sondern im großen Jenseits das Gericht und den ewigen Tod zu erwarten haben. Ja, ja, du hast recht: Wie Feuerbrände muß man den Weltlingen die Wahrheit ins Angesicht schleudern und mit flammendem Schwerte gegen die Priester der Lüge, des finsteren Aberglaubens und Betrugs kämpfen, sonst bleibt die Erde ein stetes Jammertal und Totengrab nicht nur ihres Fleisches, sondern auch ihrer Seelen.«

09] Sagte nun Ich: »Ihr habt recht, und Ich lobe euren Eifer; doch merkt euch das zu eurem gerechten Eifer noch hinzu: In der Klugheit des menschlichen Geistes liegt stets eine größere Kraft denn in seiner Faust; und wo der gewisse Ernst für sich wenig oder nichts ausrichtet, da wirkt die Liebe und ihre Geduld und Sanftmut Wunder. Der volle Ernst im eigenen Herzen und dessen Mut beherrsche euch selbst; eure Waffe gegenüber den Menschen aber bestehe stets nur in der Liebe, Sanftmut und Geduld, und ihr werdet auf diesem Wege, den Ich Selbst vor den Menschen wandle, mehr ausrichten als mit dem puren Feuereifer und seinem diamantenen Ernste!

10] Furcht sollt ihr wahrlich vor den Weltmenschen nicht haben, die in ihrem Grimme wohl euren Leib töten, aber eurer Seele nichts Weiteres mehr anhaben können; fürchten sollt ihr allein nur Den, der ein wahrer Herr über Leben und Tod von Ewigkeit her ist!

11] Doch wo ihr sehen werdet, daß ihr mit der Liebe und der rechten Weisheit mit den zu verfinsterten Menschen nichts ausrichten mögt, denen kehrt den Rücken und zieht von dannen, und ihr werdet schon wieder Menschen finden, mit denen ihr in Meinem Namen gute Geschäfte machen werdet.

12] Bekennen sollt ihr Mich vor allen Menschen, da auch Ich euch bekenne vor Meinem Vater; aber aufdringen sollt ihr Mich den Weltfinsterlingen nicht und ihnen, als den Weltschweinen, auch nicht vorwerfen Meine Perlen! Denn Ich sage es euch: Mein Wort ist nur ein rechter Lebensdünger für den Weizen und Meine Lehre ein wahrer Dünger für des Weinberges edle Reben; aber für das Unkraut der Erde habe Ich keinen Lebensdünger, - denn dieses ist nur da, auf daß es zertreten und verbrannt werde und mit seiner Asche dünge den gemeinen Boden der Erde.

13] Wer zum Leben da ist auf der Erde, der soll durch Mein Wort zum Leben erweckt werden; wer aber da ist durch seinen eigenen Willen und Starrsinn für den Tod, der soll auch in den Tod übergehen. Wer auferstehen will zum Leben aus dem Grabe seiner Materie, der erstehe; wer aber fallen will, der falle!

14] Den Teufeln das Evangelium predigen, hieße Öl ins Feuer gießen; darum seid denn auch ihr allzeit wohl klug gleich den Schlangen, aber dabei dennoch so sanft wie die Tauben, und ihr werdet so gar sehr tüchtige Arbeiter in Meinem Weinberge des Lebens werden!«

15] Als Ich solches zu den Feuereiferern geredet hatte, da wurden sie in ihrem Gemüte ganz umgestimmt und dankten Mir aus ihrem Innersten für diese Belehrung.



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