Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 9


Kapitelinhalt 9. Kapitel: Frage eines Griechen an Jesus in bezug auf die Schöpfungsgeschichte.

01] Als der Sänger auch zum zweiten Male den Psalm vollendet hatte, da erhob sich unter den Fremden ein ordentlicher Lobes- und Beifallssturm, und sie beschenkten ihn mit vielen Goldstücken und luden ihn ein, sich an ihren Tisch zu setzen und mit ihnen zu essen und zu trinken.

02] Er aber sagte (der Sänger): »Ich danke euch für die mir angetane Ehre und für das mir so reichlich gespendete Almosen; doch ich bin noch ein altreiner Jude - wenn ich auch erst dreißig Jahre Alters zähle - und darf eure Speisen nicht genießen. Zudem hat mir nur dieser Herr hier die Erlaubnis zur Produktion erteilt, und so werde ich auch nur das tun, was er mir gebieten wird!«

03] Da belobten die Fremden des Künstlers Treue, und Ich behieß ihn, sich an unsern Tisch zu setzen und mit uns zu essen und zu trinken, - was er mit vielem Dank denn auch sogleich tat.

04] Es ging aber unser Wirt und der Kado und brachten dem Harfner ein reichliches Almosen, das er beinahe gar nicht annehmen wollte, da er ohnehin schon von den andern Tischen zu reichlich beschenkt worden sei.

05] Ich aber sagte zu ihm: »Nimm du nur an, was man dir mit Freuden gibt; denn du selbst hast ein gutes Herz und teilst gerne mit den Armen auch von dem wenigen, was du dir mit deiner Kunst mühsam erwirbst! So du dir von nun an aber mehr erwerben wirst, so wirst du deinem guten Herzen auch einen größeren Tätigkeitsraum gewähren können.  Den Armen wohltun, ist Gott wohlgefällig, und für die Armen arbeiten und sammeln, ist herrlich vor Gott und wird allzeit schon in diesem und noch mehr im andern Leben belohnt.«

06] Sagte der Harfner: »Ja, du gütigster Herr, also ist es, und ich habe auch allzeit also geglaubt, obschon es mich mit dem diesirdischen Lohne lange stecken ließ, und ich doch schon seit beinahe fünfzehn Jahren treu in diesem Sinne meine schwache Kunst ausgeübt habe. Doch diesmal ist mir eine reiche Ernte geworden, und Gott dem Herrn, der mich in meiner Armut einmal angesehen hat, alles Lob und Ehre und allen meinen Dank dafür immerdar! Aber nun möchte ich dich, du bester Herr, denn doch auch um etwas fragen, wenn du mir das gnädigst erlauben möchtest.«

07] Sagte Ich: »Oh, recht gerne! Frage du nur, und Ich werde dir die Antwort nicht schuldig bleiben!«

08] Darauf fragte Mich der Harfner, sagend: »O du bester Herr, dem ich nächst Gott mein großes Glück zu danken habe, wie weißt du denn gar so genau um alle meine Lebensverhältnisse, - und ich weiß mich doch nicht zu entsinnen, dich jemals irgend gesehen zu haben?«

09] Sagte Ich: »Das ist auch gar nicht nötig; es genügt, so nur Ich dich schon gar oftmals gesehen und gehört habe. Siehe, du hast dich nun hier produziert und bist von uns allen fest angesehen worden! Wir werden dich denn auch leicht überall wiedererkennen, wo wir uns auch treffen mögen; du aber wirst uns alle gewiß nicht so leicht wiedererkennen, und das aus dem ganz einfachen und natürlichen Grunde, weil sogar viele Tausende von Menschen sich einen irgend in etwas besonders ausgezeichneten Menschen leichter merken und ihn in allem beobachten können als der eine Mensch die vielen Tausende, vor denen er sich produziert hatte. Siehe, das ist der ganz natürliche Grund, warum auch allenfalls Ich dich besser kennen kann als du Mich.

10] Es kann aber schon auch andere Gründe geben, die du nun aber nicht wohl verstehen würdest, so Ich sie dir auch sagte; darum ist es der Fremden wegen besser, davon zu schweigen. Du hast aber ehedem selbst gesagt, daß Ich etwa ein Prophet sei, weil du in Meiner Nähe um vieles besser geharft und gesungen habest denn sonst irgendeinmal. Bin Ich für dich allenfalls denn ein Prophet, so kann Ich etwa als ein solcher ja aus dem Geiste Gottes in Mir auch wohl wissen, wie es mit deinen Lebensverhältnissen steht. Und so hast du nun einen natürlichen und einen übernatürlichen Grund, aus dem Ich dich allzeit besser kennen kann als du Mich oder jemand andern von uns. - Bist du nun im klaren?«

11] Sagte der Harfner: »Ja, du bester und wahrlich auch sehr weiser Herr, ich heiße dich nicht umsonst weise! Denn ich habe es auf meinen Hin- und Herwanderungen auf dieser lieben Gotteserde mehrfach erfahren, daß wahrhaft gute Menschen auch stets weise Menschen waren. Daß aber die guten Menschen im Erdenglück den harten und bösen Menschen nachstehen, daran schuldet nicht etwa die aus ihrer Weisheit geschöpfte Klugheit, als wäre sie eine mindere denn die listige der Harten und Bösen, sondern ihre Herzensgüte, die aus ihr hervorgehende Geduld und die Liebe zur Wahrheit, zu Gott und sogar zu den Feinden, die am Ende doch auch noch Menschen sind, wenn auch blind und taub, und aus dem allen erst die rechte und wahre Weisheit, die die vergänglichen Güter dieser Welt eben nie höher schätzt, als sie von allen großen und wahrhaft Weisen allzeit geschätzt worden sind. Und siehe, du wahrhaft bester Herr, darum nannte ich dich denn auch einen Weisen, weil ich so viel Güte in dir fand!«

12] Sagte Ich: »Da bist du am Ende ja auch ein Weiser, weil du meines guten Wissens auch ein guter Mensch bist?«

13] Sagte der Harfner ganz bescheiden: »Bester Herr, ich werde mich dessen wohl nie rühmen, und es mögen darüber die Weisen über mich urteilen! Aber das kann ich von mir aus über mich bekennen, daß ich sehr weise und hochgelehrt sich dünkende Menschen schon um vieles dümmere Handlungen begehen sah, als ich sie je begangen habe. Ich bin der Meinung: An den einen, allein wahren Gott unter allen noch so oft widrigen Lebensumständen ungezweifelt fest glauben und aus wahrer Gottesfurcht und Liebe Seine heiligen Gebote halten, ist offenbar weiser als im Glauben schwach werden, Gott den Rücken zuwenden und sich als ein hochgeehrter Weltweiser in alle erdenklichen Lustbarkeiten der Welt stürzen und also leben und handeln, als hätten die andern Menschen gar kein Recht auf dieser Erde, auf die sie doch auch von Gott aus gestellt worden sind, auch umherzuwandern und sich ihre nötigste Nahrung und andern Lebensunterhalt zu suchen! O bester und weiser Herr, habe ich da recht oder unrecht geurteilt?«

14] Sagte Ich: »Ganz vollkommen recht und somit auch recht sehr weise! Aber nun iß und trinke du nur nach deinem Bedürfnisse!«

15] Der Harfner aß und trank nun nach Herzenslust, da er schon sehr hungrig und durstig war; doch merkte man an ihm keine Eßgier und noch weniger einen Säufersinn.



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