Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7


Kapitelinhalt 202. Kapitel: Jesus über die Willensfreiheit des Menschen.

01] Sagte einer aus dem Volke, der in der Schrift auch bewandert war: »Herr und Meister, es gibt unter uns viele, die Deine Lehren gehört und Deine vielen Zeichen gesehen und tiefst bewundert haben, und es entstand unter uns die Rede: »Wenn dieser Mensch bei aller seiner noch nie dagewesenen Weisheit und bei aller der ersichtlichen, völlig gottähnlichen Wundertatsmacht und ebensolcher Kraft, vor der sogar der starre Tod sich beugen muß, noch nicht der verheißene Messias sein soll, da fragen wir ernstlich, ob möglicherweise der rechte Messias, so Er kommen würde, wohl größere Zeichen tun könnte! Wir glauben das nicht und werden es auch nicht glauben! Denn der Mensch, der ohne irgendein Mittel, sondern lediglich nur durch sein Wort alle noch so harten Krankheiten heilt, sogar abgängige Glieder wieder ersetzt - wie wir das bei Bethlehem gesehen haben -, tote Menschen zum Leben erweckt, den Winden und Stürmen gebietet und seinen Willen auch an der Sonne, am Monde und an allen Sternen sichtbar macht, - ist ein Gott und kein Mensch mehr!«

02] Siehe, Herr und Meister, solche Rede ist nun unter uns gang und gäbe, und wir glauben darum, daß Du nicht nur einer der allergrößten Propheten, sondern wahrlich der Herr bist!

03] Du hast zwar wohl auch einen Leib wie wir, aber in solchem Deinem Leibe ist die Fülle der Gottheit verborgen, und Deine Worte und Taten sind Zeugen von ihrem wunderbaren Dasein in Dir. Das glauben wir nun einmal fest und werden uns von den argen Tempelwüterichen nicht mehr irreführen lassen.

Warum Gott mit menschl. Übeln Geduld hat; Zweck der Willensfreiheit

04] Wir aber haben eine Bitte an Dich, o Herr! Verkürze doch Deine heilige Geduld, und strecke einmal vollends Deine unverbesserlichen Feinde unter den Schemel Deiner Füße, und züchtige sie mit der Rute, die sie sich lange wohl verdient haben!«

05] Sagte Ich: »So ihr an Mich wahrhaft glaubt, so müsst ihr Mir in der Weisheit, die alle Dinge in der Welt leitet und schlichtet, auch nicht vorgreifen, sondern eure Geduld mit der Meinen vereinen und euch denken: In dieser Lebensfreiheitsprobewelt ist die Ordnung ein und für alle Male so gestellt, daß da ein jeder Mensch tun kann, was er will; denn nur durch die vollste Freiheit seines Willens kann er sich das wahre, ewige Leben seiner Seele erkämpfen. Wie er aber einen freien Willen hat, so hat er auch eine rechte Vernunft und einen freien Verstand, durch den er alles Gute und Wahre wohl erkennen und beurteilen kann, und da ihm die Kräfte danach reichlichst verliehen sind, so kann er auch völlig danach handeln.

06] Erkennt der Mensch das Gute und das Wahre, handelt aber dennoch freiwillig dawider, so baut er sich selbst das Gericht und seine eigene Hölle und ist darum schon in dieser Welt ein vollkommener Teufel. Und seht, das ist dann die Strafe, die sich ein Mensch ohne Mein Wollen selbst antut!

07] Darum kümmert euch nicht um Meine große Geduld und Liebe zu den Menschen, ob sie gut oder böse sind! Ich ermahne sie nur, wenn sie durch ihre eigene Schuld auf Abwege geraten sind; aber Ich kann sie mit Meiner Allmacht dennoch nicht ergreifen und zurücksetzen auf die rechten Wege des Lebens, weil das soviel hieße, wie ihnen die Freiheit ihres Willens nehmen, was soviel wäre, wie ihnen das Leben der Seele und des Geistes in ihr nehmen.

08] Darum gehe ein jeder, wie er gehen will! Es ist für den Menschen mehr als genug, daß er die Wege kennt und die sicheren Folgen, die er erreichen muß, ob sie gut oder böse sind. Denn ein jeder Mensch, wenn er zum Gebrauch seiner Vernunft und seines Verstandes kommt, weiß es, was nach den Offenbarungen aus den Himmeln recht und gut - oder auch, was da unrecht und böse ist. Die Wahl, danach zu handeln, ist seinem freien Willen völlig anheimgestellt.

09] Wenn ihr das recht erkennt, so dürfet ihr nicht klagen über Meine Geduld und Langmut; denn es muß einmal auf dieser Erde, die ein Erziehungshaus für werdende wahre Kinder Gottes ist, also und nicht möglich anders sein.

10] Wo die Menschen aber berufen sind, völlig gottähnliche Geister und Wesen zu werden, da muß ihre Willensfreiheit auch umgekehrt dahin den ins Endloseste gehenden freiesten Spielraum haben, sich zu einem vollendetsten Teufel zu gestalten, der aber dann freilich als selbst schuldig der elendeste Träger dessen sein wird, was er sich durch seinen Willen selbst bereitet hat.

11] Ich werde darum niemanden seiner bösen Taten wegen durch Meine Allmacht richten und strafen, sondern er sich selbst und das unwandelbare Gesetz Meiner ewigen Ordnung, das jedem auf dem Lichtwege der vielen Offenbarungen kundgemacht worden ist schon von Anbeginn des menschlichen Seins auf dieser Erde.

12] So ihr das nun verstanden habt, so übet euch denn auch in der Geduld und habt auch in euch ein wahres Mitleid nicht nur mit den kranken Leibern, sondern viel mehr noch mit den kranken und blinden Seelen der Menschen, so werdet ihr am leichtesten und ehesten zur wahren und vollen Gottähnlichkeit gelangen und gleich werden den Engeln im Himmel!«



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