Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7


Kapitelinhalt 155. Kapitel: Die drei Grade der inneren Lebensvollendung.

01] Sagte Ich: »Versprechen ist um vieles leichter, als das Versprochene halten! Ihr hänget noch zu sehr an der Welt und an euren großen Schätzen, an denen viel Blut von Witwen und Waisen klebt, und das ist für die Weltmenschen stets jene große Kluft, über die sie höchst schwer kommen.

02] Doch wie bei Gott alle Dinge möglich sind, so ist es auch dem noch so verstockten Weltmenschen und Sünder möglich, sich bald und wirksam zu ändern, wenn er ernstlich im vollen Glauben und Vertrauen auf Gott das tut, was die göttliche Weisheit ihm rät. Er muß da an sich selbst durch einen plötzlichen Umschwung seines Willens ein wahres Wunder wirken, und zwar in der gänzlichen Selbstverleugnung bezüglich aller seiner früheren Schwächen, Gewohnheiten, Gelüste und argen Leidenschaften, die aus ungegorenen und sehr unlauteren Naturgeistern seines Fleisches in die Seele aufsteigen und sie verunreinigen und veranstalten.

03] Nun zählet aber nach, mit wie vielen allerartigen Leidenschaften ihr behaftet seid! Fasst den ernstesten Willen, sie alle zu verlassen und dann Mir nachzufolgen! könnt ihr das, so könnt ihr auch bald zu einer inneren Lebensvollendung gelangen; aber ohne das ist es sehr schwer und sehr mühevoll.«

04] Sagten die Pharisäer: »Was den ernsten Willen anbelangt, so soll es bei uns an solchem keinen Mangel haben; denn hatten wir doch des ernstesten Willens zur Sünde in Hülle und Fülle, warum sollten wir ihn nicht auch haben zur Erfüllung des Guten?«

05] Sagte Ich: »Ja, ja, da habt ihr eben nicht unrecht geredet! Aber der Wille zur Sünde findet im Menschen stets eine große Unterstützung, und zwar in den Anreizungen und Leidenschaften seines Fleisches; aber für den Willen zum Guten findet er in seinem Fleische gar keine Unterstützung, sondern allein im Glauben an einen wahren Gott, und besonders in der Liebe zu Ihm, und dazu auch in der Hoffnung, daß die von Gott ihm gemachten Verheißungen in volle Erfüllung gehen werden.

06] Wer sonach durch den festen und lebendigen Glauben, durch die Liebe zu Gott und zum Nächsten und durch die ungezweifelte Hoffnung alle die argen Leidenschaften seines Fleisches bekämpfen kann und sonach völlig Herr über sich wird, der wird dann auch bald Herr der ganzen äußeren Natur und befindet sich eben dadurch, daß er vollkommen Herr über sich geworden ist, auch schon im ersten Grade der wahren, inneren Lebensvollendung, obwohl es da noch zu öfteren Malen an allerlei Versuchungen keinen Mangel haben wird, die ihn zur Begehung einer oder der andern leichten Sünde reizen werden.

07] Versteht er nun auch, mit allen seinen Sinnen dahin einen festen Bund zu schließen, daß sie sich von allen irdischen Anreizungen abwenden und sich pur dem rein geistigen Wesen zukehren, so ist das schon ein sicheres und lebenslichtvolles Zeichen, daß der innere Geist aus Gott die Seele ganz durchdrungen hat, und der Mensch befindet sich da im zweiten Grade der inneren, wahren Lebensvollendung.

08] In diesem Grade ist dem Menschen auch jene Stärke und Lebensfreiheit eigen geworden, daß er, weil er in seiner Seele ganz erfüllt ist mit dem Willen Gottes und nach demselben handeln kann, keine Sünde je mehr begehen kann; denn da er selbst rein geworden ist, so ist ihm auch alles rein.

09] Aber obwohl der Mensch da schon ein vollkommener Herr der gesamten Natur ist und die hellste Überzeugung in sich hat, daß er unmöglich mehr fehlen kann, da all sein Ton von der wahren Weisheit aus Gott geleitet wird, so ist und bleibt er dadurch doch nur im zweiten Grade der inneren Lebensvollendung.

10] Aber es gibt noch einen dritten und allerhöchsten Grade der innersten Lebensvollendung.

11] Worin aber besteht denn diese, und wie kann der Mensch sie erreichen?

12] Diese besteht darin, daß der vollendete Mensch, wohl wissend, daß er nun als ein mächtiger Herr der ganzen Natur ohne Sünde tun kann, was er nur immer will, aber dennoch seine Willenskraft und Macht demütig und sanftmütig im Zaume hält und bei jedem seinem Tun und Lassen aus der pursten Liebe zu Gott nicht eher etwas tut, als bis er unmittelbar von Gott aus dazu beordert wird, - was eben für den vollendeten Herrn der Natur auch noch eine recht starke Aufgabe ist, weil er in seiner vollen Weisheit allezeit erkennt, daß er nach dem in ihm selbst wohnenden Willen aus Gott nur recht handeln kann.

13] Doch ein noch tiefer gehender Geist erkennt es auch, daß zwischen dem sonderheitlichen Willen Gottes in ihm und dem freiesten und endlos allgemeinsten Willen in Gott noch ein großer Unterschied besteht, weshalb er seinen sonderheitlichen Willen ganz dem allgemeinsten göttlichen Willen vollkommen unterordnet und nur dann aus schon immer eigener Kraft etwas tat, wenn er dazu unmittelbar von dem alleinigen und eigensten Willen in Gott beordert wird. Wer das tut, der ist in sich zur innersten und allerhöchsten Lebensvollendung gelangt, welche da ist die Lebensvollendung im dritten Grade.

14] Wer diese erlangt, der ist auch völlig eins mit Gott und besitzt gleich Gott die höchste Macht und Gewalt über alles im Himmel und auf Erden, und niemand kann sie ihm ewig mehr nehmen, weil er vollkommen eins mit Gott ist.

15] Aber zu dieser höchsten Lebensvollendung, in der sich die Erzengel befinden, kann niemand gelangen, bevor er nicht den ersten und zweiten Grad der Lebensvollendung erlangt hat.

16] Es hat aber ein jeder Erzengel die Macht, alles das in einem Augenblick zu bewirken, was endlos alles Gott Selbst bewirken kann; aber dessenungeachtet wirkt doch kein Erzengel pur aus sich etwas, sondern erst dann, wenn er dazu von Gott Selbst beheißen ward. Darum bitten selbst die höchsten Erzengel Gott allzeit, so sie diese oder jene Mängel, besonders bei den Menschen dieser Erde, sehen, daß Gott sie beheißen möge, dieses oder jenes zu tun.

17] Seht diesen Jüngling an! Er befindet sich im vollen dritten Grade der inneren Lebensvollendung, und sein Wille ist schon so gut wie eine vollbrachte Tat; aber er tut dennoch aus sich heraus und für sich nichts, sondern nur das, was Ich will. So Ich ihm aber sage: 'Nun handle pur aus dir und für dich!', so wird er dann auch das tun und zeigen, was in ihm ist.«

18] Sagten die Pharisäer: »So ist der junge Mensch schon einem Erzengel gleich; denn Dein Inneres solle ja eben die Fülle des puren Geistes Gottes sein?«

19] Sagte Ich: »Ja, ja, selig der, der das in seinem Herzen glaubt!«



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