Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7


Kapitelinhalt 150. Kapitel: Das innere Wesen des Menschen.

01] Sagte Raphael: »Nun gut denn, so werde ich es auch also machen! Da ihr nun angenommen habt, daß ich auch der Erbauer und Aufsteller jener Feldsäule dort am Wege gen Jerusalem bin, so sage ich euch nun hinzu, daß es auch also ist. Es ist aber dadurch dargetan, daß die Sache, sich also verhaltend, die Gewißheit darstellt, daß der innerste Geist im Menschen auch ein Herr aller Naturkräfte, die in allen Elementen walten, ist und sein muß, weil sie ohne den Geist, der aus Gott ist und allenthalben wirkt, gar nicht da wären; ist er aber unleugbar das, so muß ihm auch alles nach den ewigen Normen der göttlichen Ordnung möglich sein.

02] Bevor aber ein Mensch zu solch einer Fähigkeit gelangt oder gelangen kann, muß er sich durch die allergenaueste Befolgung des Willens Gottes, der ihm durch Moses und durch die Propheten geoffenbart worden ist, eben diesen Willen Gottes so sehr zu eigen machen, daß er dann frei aus sich nicht anders handeln kann, als wie es ihm der Wille Gottes in seinem Herzen weist, - was für den, der Gott erkannt hat und Ihn über alles liebt, eben nichts Schweres ist, weil ihm die Liebe zu Gott dazu die Kraft stets in dem Maße erhöht erteilt, als er im Herzen in der Liebe zu Gott wächst und in solcher Liebe auch in der Liebe zum Nächsten.

03] Hat sich ein Mensch auf diese Weise mit Gott geeint, so ist er auch schon erfüllt mit dem Geiste aus Gott; denn die Liebe zu Gott und die Erfüllung Seines heiligen Willens ist ja eben schon der vollauf tätige Geist Gottes im Menschen, weil dessen neuer Wille nicht mehr des Menschenfleisches schwacher und ohnmächtiger, sondern der allmächtige reine Gotteswille ist.

04] Wer aber solchen Willen völlig in sich hat, dem muß dann ja auch offenbar alles möglich sein, was er will; denn was er dann will, das will auch Gott in ihm, - Gott aber ist doch sicher wohl alles möglich!

05] Darum sollt ihr euch eben nicht so sehr wundern , wenn die alten Propheten gar oft große Zeichen wirkten. Denn sie wirkten aus sich als pure Menschen ebensowenig irgendwelche Zeichen, wie ihr je wahre Zeichen gewirkt habt; da sie aber durch ihren reinen Lebenswandel oft schon von der Wiege an voll des Geistes aus Gott waren, so wirkte dieser allmächtige Geist die großen Wunderzeichen, und dieser Geist erfüllte auch ihre Herzen mit dem Lichte aller Weisheit aus Gott, und was sie dann aus solcher Weisheit zum Volke redeten, das war nicht mehr Menschen-, sondern Gottes Wort.

06] Da ich aber, wie auch noch einige von diesen hier sich befindenden Menschen, eben auch also mit dem Geiste und Willen Gottes erfüllt bin, so muß mir ja alles werden, was der Wille Gottes in mir will, und es kann sich mir nichts widersetzen. So ich diese ganze Erde zertrümmern und völlig zerstören wollte, so würde das, wenn ich ernstlich wollte, ebenso sicher gelingen, als es mir nun gelingen wird, jenen dort am ziemlich fernen Gebirge hervorragenden großen Felsen in einem Augenblick zu zerstören.

07] Seht hin, dort zwischen Mitternacht und Morgen befindet sich eben der erwähnte stark vorspringende Fels, dessen Vernichtung wohl niemandem einen Schaden bringen wird, da er ohnehin den Besitzern jenes Berges und dessen Wildungen mehr zum Schaden als zu irgendeinem Nutzen gereicht. Ich will, - und seht, der Fels besteht nicht mehr! Seine ganze Masse befindet sich nun schon bei tausend Tagereisen weit von hier in der Tiefe eines großen Meeres!«

08] Sagten die Pharisäer ganz erstaunt: »Aber wir sahen ihn nicht von dannen sich heben und durch die Luft fliegen!«

09] Sagte Raphael: »Habt ihr ja zuvor doch auch diesen Baum nicht langsam aus dem Boden emporwachsen sehen! Was der Geist Gottes will, das geschieht so, wie Er es will; denn Zeit und Raum kommen bei Ihm in keinen Anschlag. Will Er aber, daß da alles in einer zeitenfolgerechten Ordnung geschieht, wie ihr das an der Natur der Dinge dieser Erde seht, so geschieht es auch also, wie Er es will; denn die Zeit wie der Raum sind auch Dinge, die da stets und ewig hervorgehen aus Seinem Willen und aus Seiner Ordnung!

10] Die Zeder wächst nach Seinem Willen oft viele Jahrhunderte hindurch, bis sie zu ihrer größten Größe und Stärke gelangt, eine Kleepflanze ist mit ihrer Vollendung in wenigen Tagen fertig; siehst du aber den Blitz aus einer Wolke fahren, so braucht er sehr wenig Zeit zu seiner Herabkunft von der Wolke bis zur Erde, und so seht ihr aus dem, daß dem Geiste Gottes alle Dinge möglich sind. - Begreifet ihr nun etwas davon?«

11] Sagten die noch immer höchst verblüfften Pharisäer: »Ja, ja, wir begreifen das nun wohl schon so, wie das Menschen von unserer alten Blindheit begreifen können; aber die ungeheure Schnelligkeit des Erfolgs des göttlichen Willens im Menschen, wie nun in dir, werden wir wohl schwerlich je begreifen! Das gewisse Hier und Dort zugleich, das faßt ewig kein noch so heller Menschenverstand.«

12] Sagte Raphael: »Warum denn das nicht? könnt ihr euch in euren Gedanken nun nicht sogleich zum Beispiel in eure Wohnungen versetzen?«

13] Sagte ein Pharisäer: »O ja, das wohl, - aber natürlich ohne die allergeringste Wirkung!«

14] Sagte Raphael: »Das sicher, weil ihr mit dem alles erfüllenden, alles durchdringenden und überall wirkenden Geiste aus Gott nicht eins seid! Dieser Geist ruht zwar wohl im innersten Zentrum eurer Seele, aber er ist da noch ganz isoliert von dem allgemeinen Geiste, weil er durch eure zu geringe Liebe zu Gott auch eine viel zu geringe Nahrung hat, daß er sich in der Seele ausbreiten, sie durchdringen und sich also durch euer ganzes Wesen ausbreiten könnte, das heißt nicht etwa räumlich, sondern in der Sphäre der Willensfähigkeit, die in ihm ebenalso vorhanden ist wie in Gott Selbst, von dem er als ein unverwüstbares Lebensfünklein in das Herz der Seele gelegt wurde.

15] In der Willenssphäre ausbreiten heißt aber, daß die Seele selbst ihren Willen dem erkannten Willen Gottes völlig unterordnet und sich freiwillig ganz von ihm beherrschen läßt.

16] Ist daß der Fall, daß sich eine Seele, gleichsam wie von außen herein, von dem erkannten und genau befolgten Willen Gottes bis in ihr Innerstes durchdringen läßt, so erweckt dieser erkannte und befolgte Wille Gottes den in der Seele Innerstem ruhenden und schlummernden Geist aus Gott. Dieser vereinigt sich dann alsbald mit dem ihm gleichen, die ganze Seele durchdrungen habenden Willensgeiste, der der eigentliche Geist Gottes ist, ist dann eins mit ihm in allem, wie das Gott - wennschon für Sich in einem noch endlos höheren Grade - auch also ist und bleibt, gleichsam wie da auch eins ist ein Auge dem andern, obschon bei einem Menschen auch ein Auge stets schärfer und leichter sieht als das andere.

17] Wenn der Mensch es dahin gebracht hat, dann ist sein Gedanke, mit dem er sich an irgendeinen noch so fernen Ort versetzt hat, kein leerer und wirkungsloser, sondern er stellt die ganze, alles bewirken könnende Wesenheit eines solchen vollkommenen Menschen an den Ort geistig hin. Diese sieht, hört und vernimmt alles, weil sie mit dem endlosen Willensgeiste alles durchdringt und beherrscht, ohne dadurch nur einen Augenblick ihre individuelle Selbständigkeit zu verlieren. Weil sie aber alles durchdringt und beherrscht, so kann sie auch als ein mit dem wahren Geiste Gottes erfüllter Gedanke alles bewirken in einem Augenblick, was der vollkommene Mensch will.

18] Aber solange der Mensch diesen seligsten und allein wahren Lebenszustand nicht erreicht hat, vermag er seine Gedanken und Ideen nur durch seine Leibesglieder in irgendeine unvollkommenste Verwirklichung zu bringen, und das nur in der gerichteten Naturmäßigkeit. Der Gedanke für sich aber ist nichts anderes als dein Abbild in einem Spiegel - ohne Wesenheit, ohne Kraft und ohne alle Macht. Aber das sagt er dir dennoch, daß du dich in ihm augenblicklich in einem noch so fernen Orte befinden kannst, wenn auch nach dir gemachten Erklärung ohne alle Wirkung.

19] Du wirst nun wohl verstehen, wie es mir möglich war, jenen Fels dort am ziemlich fernen Gebirge abzulösen und ihn in die Tiefe eines fernsten Meeres zu versenken!

20] Ich habe vor euch diese Zeichen aber nicht darum gewirkt, um euch vor uns in irgendeine Furcht zu versetzen oder euch zur Annahme einer neuen Lehre, die eigentlich wohl die älteste Lehre auf der Erde ist, zu nötigen, sondern bloß darum habe ich die Zeichen gewirkt, um euch zu zeigen den rechten Weg zur Gewinnung der wahren und vollkommenen Lebenskraft aus Gott, ohne die der Mensch in seiner Seele so lange so gut wie wahrhaft tot zu betrachten ist, solange er nicht nach der Art, die ich dir gezeigt habe, völlig eins mit dem Willen Gottes geworden ist.«



Home  |    Inhaltsverzeichnis Band 7  |   Werke Lorbers