Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 6, Kapitel 145


Die Vorwürfe und Zweifel der Jünger.

01] Ich aber verblieb mit den Jüngern den ganzen Tag über im Hause des Matthias und erzählte ihm vieles, was Mir alles auf dieser Reise von mehreren Wochen begegnet ist, was den Wirt in hohem Grade interessierte. Die Jünger aber gingen für sich ins Freie - bis auf den Johannes und Matthäus, die bis zum Abend hin ihre Aufzeichnungen ordneten und in einen größeren Zusammenhang brachten. Auch die zwanzig Judgriechen gingen für sich ins Freie und weideten sich an dem Anblick des sehr belebten und bewegten Meeres.

02] Erst spät am Abend kehrten alle die Jünger wieder ins Haus zurück, als das Abendmahl schon eine Zeitlang bereitet war. Wir nahmen das Nachtmahl in aller Stille ein und begaben uns darauf bald zur Ruhe. Wir brachten dann noch etliche Tage allda zu und beschäftigten uns mit allerlei guten und nützlichen Dingen.

03] Der Hauptmann selbst war alle Tage bei Mir, und Ich heilte mehrere von ihm Mir genannte Kranke bloß durch Mein Wort. Darüber ärgerten sich heimlich etliche Meiner alten Jünger, weil Ich das alles Selbst tat und nicht sie dazu beorderte, daß sie das täten in Meinem Namen, was nach ihrer Meinung Meiner Lehre ein größeres Zeugnis geben würde, als so Ich Selbst in einem fort Zeichen wirke, die wohl für Mich Selbst ein Zeugnis wären, der Ich als ein göttlicher Meister dastehe, aber für die Wirkung Meiner Lehre auch bei Meinen Jüngern nahe gar kein besonderes Zeugnis abgäben, weil die Leute sagen: 'Jetzt ziehen diese schon so lange mit Ihm umher und haben noch wenig gelernt, da sie beinahe gar nichts vermögen!'

04] Ich sagte aber zu ihnen: ”Meine Freunde und Brüder! Es wird die Zeit auch an euch kommen, in der ihr in Meinem Namen Zeichen wirken werdet; aber jetzt ist sie noch nicht da. Ich habe aber den meisten von euch auch dieselbe Kraft verliehen, Kranke jeder Art zu heilen, und ihr habt sie auch geheilt, und dieselbe Kraft ist euch noch eigen bis auf einen, der sich dafür bezahlen ließ. Aber so ihr bei Mir seid, da ist es wohl nicht nötig, daß ihr in Meiner Gegenwart Zeichen wirkt; wo es aber nötig ist, da lasse Ich auch euch ganz besondere Zeichen wirken. Was wollt ihr denn noch mehr?! Ich bin noch nicht aufgefahren dahin, von wannen Ich gekommen bin, zu Meinem Gott und zu eurem Gott, und habe über euch noch nicht ausgegossen den heiligen Geist Gottes, der euch leiten wird in alle Wahrheit und Weisheit. Darum geduldet euch bis dahin, - danach werdet auch ihr das tun, was Ich nun tue! - Seid ihr damit nicht zufrieden?“

05] Sagte nun Thomas: ”Herr, damit sind wir wohl zufrieden; aber eines begreifen wir an Dir noch immer nicht! Sieh, bei den Heiden hast Du Dich in Deinem Zeichenwirken wahrlich nahezu Selbst übertroffen! Der Heiden Tempel und Götzen hast Du auf einen Wink vernichtet, und die starrsten Priester haben sich Dir wie Lämmer gefügt; warum tust Du das gleiche nicht auch in Judäa? Die Templer wären schon lange Deine Jünger, wenn Du ihnen den Tempel mit derselben Leichtigkeit hinweggehaucht hättest, wie Du den Heiden am Euphrat ihre Götzen hinweggehaucht hast! Tue das auch in Judäa,und Deine Lehre ist geborgen!“

06] Sagte Ich: ”Ihr redet, was ihr versteht, und Ich rede, was Ich weiß vom Vater aus, und was Ich auch also gar wohl verstehe! Ihr wisst nicht den Grund, warum dieses und jenes geschehen muß, um diesen und jenen Zweck sicher zu erreichen; Ich aber weiß es nur zu klar und genau, warum dieses und jenes geschehen muß, um diesen und jenen Zweck bestimmtest zu erreichen. Darum ist es wahrlich nicht fein von euch, so ihr Mir nun vorschreiben wollt, was Ich tun soll! Ich habe euch aber schon bei verschiedenen Gelegenheiten klar auseinandergesetzt, warum Ich dies und jenes tue, und warum nun die Verhältnisse der Menschen zu Gott auf einem gar so schlechten und finsteren Boden stehen, und warum es sogar geschehen wird, daß dieser Mein Leib in Jerusalem getötet werden wird.

07] Aber ihr merkt euch nichts und denkt auch nie tiefer darüber nach, so daß Mein Wort in euch nie völlig die rechten Wurzeln greifen und schlagen kann; und seht, eben aus diesem Grunde ist euer Glaube an Mich bei euch noch lange kein lebendiger, und ihr seid denn auch eben darum nicht tauglich und fähig, Zeichen zu wirken, aus denen die Menschen ersehen würden, daß ihr wahrhaft Meine Jünger seid! - Warum merkt ihr euch denn sowenig nur und denkt auch gar sowenig darüber nach?“

08] Sagte abermals Thomas: ”Herr, stärke unser Gedächtnis, und wir werden dann auch alles sicher behalten und darüber nachdenken, was wir alles aus Deinem Munde vernehmen!“

09] Sagte darauf Ich: ”Das habe Ich ohnehin insoweit getan, als es möglich war; weiter, als es eure Natur verträgt, aber geht das nicht. Wenn aber der Geist über euch kommen wird, dann wird er euch ohnehin in alle Weisheit leiten, und ihr werdet dann hinfort eures irdischen Gedächtnisses nicht mehr bedürfen. Aber der Bildung der Seele wegen ist dem Menschen auch ein irdisches Gedächtnis gegeben, das bei einem recht festen Willen stark genug ist, sich eine zahllose Menge von Worten, Wahrheiten und Taten zu merken; nur wenn ein Mensch über allerlei Dinge und Vorkommnisse ganz gleichgültig hinweggeht, so bleiben sie ihm auch sicher nicht im Gehirne haften, wovon Ich euch den Grund bei Cäsarea Philippi klar und deutlich gezeigt habe. Denkt darüber nach, und ihr werdet ihn schon finden!“

10] Auf diese Meine Rede sagte kein Jünger mehr etwas, und Ich redete dann mit dem Hauptmanne, der diese Tage stets anwesend war, so manches, was ihm nun in dieser Zeit so manche Verhältnisse in der Welt aufhellte.

11] Die Jünger aber unterhielten sich in ihrer Art und machten gegenseitig allerlei Betrachtungen. Einige behaupteten, daß Gott in seiner Macht denn auch beschränkt sein müsse, weil Er Sich bei allem, was Er hervorbringen wolle, auch auf gewisse Bedingungen sowohl der Zeit als auch der Beschaffenheit nach binden müsse, ohne die Er so manches gar nicht effektuieren könnte. Andere sagten wieder, solches tue Gott nicht um seiner Selbst willen, sondern der Geschöpfe wegen, um ihnen diejenige Konsistenz zu geben, durch welche sie für die Ewigkeit gediegen und beständig werden. Zudem müsse Ihm das eine eigene Seligkeit bereiten, so Er Seine Werke in einer bestimmten Ordnung, die Er Selbst gestellt habe, erst so nach und nach zu Sich emporreifen sehe. Daß aber Gott durch die Allmacht Seines Willens auch momentan etwas bewirken könne, dafür hätte Ich ihnen schon gar sehr viele Beweise geliefert.

12] Da wurden wieder Gegenbemerkungen gemacht, - kurz und gut, es ward dadurch der Glaube selbst bei dem größten Teile Meiner Jünger etwas wankend gemacht, und einige behaupteten, daß Ich etwa doch nicht mehr sei als ein großer Prophet, etwa Moses oder Elias ähnlich, bei denen es an den großartigsten Zeichen auch niemals gemangelt habe. Mit dergleichen Betrachtungen und Vergleichen kam der Abend, und wir begaben uns nach dem Abendmahle wieder zur Ruhe.



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