Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 5, Kapitel 19


Die eigentliche Absicht des Roklus und seiner Gefährten.

01] Sagt Roklus: ”Ich sage ja nicht, daß des nordischen Königs Gesetze unweise oder gar ungerecht und grausam seien; nur für unsereinen wären sie nun denn doch ein wenig unbequem! Und ich meine darum doch, Rom, dir und dem alten Markus keine Unehre anzutun, so ich ganz festweg behaupte, daß mir Roms gegenwärtige Gesetze um sehr vieles lieber sind denn die sicher nicht unweisen des nordischen Königs, dessen Reich einer alten Sage zufolge gar bis ans Ende der Welt reichen soll und somit wohl das größte Reich der Erde sein wird. Ob es ihm aber möglich sein wird, seine weisen Gesetze allen Völkern seines weitesten Reiches nur zu verkünden, das ist eine ganz andere Frage! Wohl ihm und seinen Völkern, so er dazu imstande sein wird! Nun erlaube mir aber noch eine ganz harmlose Bemerkung; denn so ich schon einmal offen sein muß, da bin ich gerne ganz offen und scheue jede Verdecktheit!

02] Du, hoher Herr, Herr, Herr, hast ehedem die Bemerkung gemacht, daß ein Kaiser keine Wunder wirken könnte und keine Welt erschaffen; aber dem scheint es wenigstens mir nicht völlig also zu sein. Denn dies neue Prachthaus des alten Markus, die große Gartenmauer, woran hundert der besten Maurer mindestens fünf Jahre vollauf zu bauen hätten, wenn man die Behauung der schönsten Granitquadersteine und ihre Herbeischaffung mit in den Anschlag nimmt, und endlich sogar die Versetzung eines so großen Gartens in den vollsten Kulturstand, und gar am Ende noch, wie ich nun erst bemerke, die Erbauung eines sehr großen und sicheren Hafens und mehrerer ganz neuer, großer Segelschiffe, was nach unserer genauen Bemerkung von einem Hügel der Stadt aus alles wie durch einen Zauberschlag auf einmal fix und fertig dastand, ja, wenn das nicht Wunder wirken heißt, dann leiste ich auf alles Verzicht, was bei mir Mensch heißt, und will ein Krokodil sein!

03] Und weil ich denn nun schon einmal ohne Schiffbruch diesen zwar kleinen, aber dennoch sehr kitzligen Punkt berührt habe, so muß ich nun schon im Namen meiner elf Gefährten offen eingestehen, daß mein ganzes früheres, tolles Verlangen eigentlich bloß eine reine Finte war, um durch sie zu diesem Geheimnisse zu gelangen und zu erfahren, wie solches möglich war! Denn auf einem natürlichen Wege ist das alles unmöglich entstanden! Und so sage ich dir nun erst die Wahrheit, daß uns die Neugier auf Leben und Tod hierhergezogen hat! Wir alle dachten einstimmig, als wir das alles in Blitzesschnelle entstehen sahen: Da muß entweder ein Gott oder ein urindischer großer Magier zugegen sein, da so etwas mit natürlichen Menschenkräften doch unmöglich auszuführen ist! Wir entschlossen uns denn auch schnell, unter irgendeinem Vorwande hierherzueilen, um hinter das Wunder und dessen Meister zu gelangen.

04] Alle unsere früher vorgeschützte Rechtsangelegenheit ist eine reine Null, eine pure, nichtige Finte, um doch irgendeinen Anhaltspunkt zu haben, der sich ganz knapp um das entstandene Wunder dreht. Und siehe, die Finte war gut, da wir durch sie doch zum eigentlichen Grunde unseres Hierherkommens gelangten! Wir ersuchen dich nun demnach flehentlichst, uns darüber ein kleines Lichtlein zu geben, - koste es, was es wolle! Wir wollen dem guten, biedern, alten Markus nicht nur nichts wegnehmen, sondern verpflichten uns noch obendrauf, für ihn den andern, noch brachliegenden Grundanteil in den besten Kulturzustand auf unsere Kosten - und müßten wir das Erdreich aus Europa herbeischaffen! - zu setzen; aber nur hinter dies Wundergeheimnis laß uns blicken!“

05] Sagt Cyrenius: ”Ja, das hat nun mit euch freilich ein ganz anderes Gesicht, bei dem ihr offenbar besser fortkommen werdet als mit eurer früheren, höchst ungerechten Anforderung, mit der ihr bei mir wahrlich schlecht zum Teile gekommen wäret!“

06] Sagt schnell Roklus: ”Das wußte ich und wir alle recht gut, und das aus vieler Erfahrung! Du bist nun schon stark über die dreißig Jahre unser allergerechtester und zugleich gütigster Gebieter, und wir kennen dich und alle deine schwachen Seiten. Man muß dich zuvor ja allzeit in einen gewissen Eifer versetzen, wenn man von dir etwas Außerordentliches erfahren will, und so war es denn auch hier, was du uns sicher der guten Sache wegen gerne verzeihen wirst!“

07] Sagt Cyrenius: ”Ja, aber auf was stützt ihr denn eure Behauptung dafür, daß dies alles auf eine wunderbare Weise entstanden sei? Ihr habt es wohl heute als fertig entdeckt, habt aber die sieben Tage hindurch wahrscheinlich wenig oder auch gar nicht darauf geachtet, wie meine Soldaten und Krieger daran gearbeitet haben!“

08] Sagt Roklus: ”Herr, Herr, Herr, lassen wir das gut sein! Seit du mitten unter einer bedeutenden Streitmacht dich uns wohlbekanntermaßen hier aufhältst, haben wir unsern Hügel wohl Tag und Nacht nicht verlassen, um von weitem zu erspähen, was etwa doch von hier aus alles von euch Römern unternommen werden möchte. Heute hatte uns der wunderherrlichste Morgen um so früher herausgelockt. Unsere Blicke waren natürlich fortwährend auf diese Gegend gerichtet. Bis vor einer kleinen Stunde sahen wir nichts, als was, seit wir diese Gegend kennen, zu sehen war; aber, wie gesagt, vor einer kleinen Stunde entstanden hier Haus, Garten, Hafen und Schiffe, wie gerade vom Himmel herabgefallen! - Und höre, - das sollte kein Wunder sein?!

09] Haben wir doch vor drei Stunden die ganze Legion, oder wie viele ihrer waren, von Mohren hierherziehen sehen und haben auch bemerkt, wie ihr heute morgen vom Berge herabgegangen seid; denn wir haben ziemlich scharfe Augen! Es ist dies also unbestreitbar ein Wunder der allerkolossalsten Art, und wir möchten darum denn doch nur ein ganz kleines Lichtlein haben, wie und durch wen solches bewirkt worden ist!“

10] Sagt Cyrenius: ”Nun also denn, - wenn ihr es besser wisst denn ich, so bleibt beim Wunder! Das 'Wie' aber und 'Durch wen' braucht ihr gar nicht zu erfahren, denn dazu wird ein mehreres erfordert, als bloß hierherzueilen und schlauerweise hinter solch ein Geheimnis zu gucken!

11] Wenn ein kluger Staatsmann gleich aller Welt seine besonderen Geheimnisse auskramen wollte, da würde er mit seiner Politik ganz verdammt kurze Sprünge machen, und seine Untertanen würden ihn nur zu bald bei der Nase nach rechts und nach links herumziehen! Weil aber ein Staatsmann schon zumeist durch Politik sein Reich und seine Untertanen regieren muß, weil sie als jedes für sich selbständig das allgemeine Staats- und Völkerwohl nicht zu erkennen imstande sind, so würden die Einzelstände, die außer sich niemanden sehen und kennen, sich dazu kaum herleihen, und es wäre damit für irgendein armes Volk schlecht gesorgt.

12] Ein rechter Regent muß daher eine rechte Macht, Wissenschaft in allen Dingen und eine gar feine Klugheit besitzen, - und also ist er erst ein rechter Herr, Gebieter und Leiter von vielen tausendmal Tausenden von blinden Menschen, die gar nicht zu berechnen imstande sind, welch ein großer Wohltäter ihnen ein rechter Herrscher ist! Daß ein rechter Herrscher aus gar sehr weisen Gründen seine Untertanen nicht allzeit in die Karte blicken lassen kann und also vor der Zeit verraten seinen guten Plan, das ist ganz klar und sehr begreiflich, und so wird es auch euch sehr klar und ganz begreiflich sein, warum ich euch dieses Geheimnis nun nicht näher enthülle; denn das werdet ihr wohl einsehen, daß ein Regent mehr zu leisten imstande sein muß denn ein anderer Mensch, ansonst er sicher ein ganz magerer Regent wäre! Welchen Respekt hätten seine Untertanen wohl vor ihm, so er ihnen gegenüber im Notfalle nicht auch so ein bißchen allmächtig wäre? Geht nun hin und beseht euch euer Wunderwerk näher, und kommt dann erst wieder; vielleicht wird sich dann mit euch ein etwas vernünftigeres Wörtlein reden lassen! Aber für jetzt sind wir fertig!“



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